Melissa Jäger

Raetia


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lösen. Dann griff sie sich an den verbundenen Kopf. Das Stöhnen wurde lauter und Elvas schlug die Augen auf. Sie blickte verwirrt in die erwartungsvollen Gesichter.

      „Was ist los?“, fragte sie mit brüchiger Stimme.

      Alpina antwortete beruhigend. „Jetzt wird alles gut, Mutter! Du hattest einen Unfall!“

      Elvas versuchte sich aufzusetzen, doch Caius hielt sie zurück.

      „Nein Elvas, bleib liegen! Du hast eine Platzwunde an der linken Schläfe und wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung.“

      Wie zur Bestätigung, drehte sich Elvas zur Seite und erbrach sich. Sie stöhnte erneut, als sie sich wieder zurücksinken ließ.

      „Wir sind nicht mehr weit von der Mutatio entfernt und der Stationarius kommt bald, um dich mit dem Wagen zu holen. Er muss gleich da sein. Unsere Raeda ist leider nicht mehr fahrtauglich. Ich hoffe der Wagenbauer wird in der Lage sein, sie schnell wieder zu reparieren. Bleib ruhig liegen, Liebes!“

      „Beneficiarius! Der Wagen kommt!“, stieß Sacrus erleichtert hervor.

      Caius ging dem Plaustrum entgegen. Es war ein einfacher, ländlicher Wagen zum Transport von Heu, Getreide oder Waren, die auf den Märkten der umliegenden Dörfer gehandelt wurden.

      Auf dem Kutschbock saß Tiberius Satto, der Stationarius der Mutatio. Hinter ihm, auf der Ladefläche, konnten sie einen weiteren Mann erkennen. Er war breitschultrig und sein wilder Haarschopf und Bart ließen ihn Furcht einflößend wirken.

      „Ave, Caius Iulius Achilleus!”

      Der Stationarius kannte Achilleus von früheren Reiseunternehmungen. Er war seit ein paar Jahren in dieser Mutatio tätig. Satto sprang Bock des Wagens und lief auf Caius zu.

      „Ave, Tiberius Satto“, begrüßte der Beneficiarius ihn. „Danke, dass ihr so schnell gekommen seid!“

      Der Beneficiarius war sichtlich erleichtert und wandte sich auch gleich dem zweiten Mann zu, der etwas ungelenk vom Wagen geklettert kam.

      Ave!“ begrüßte er ihn. „Bist du der Wagenbauer?“

      Der Mann mit dem wilden Aussehen nickte und trat näher. „Salve, Marcus Essibnus ist mein Name.“ Seine angenehme sonore Stimme schien nicht zu seinem Äußeren zu passen.

      „Ich danke dir, dass du gleich mitgekommen bist. Obwohl ich nicht glaube, dass wir meine Raeda so schnell wieder flott kriegen werden.“ Caius seufzte und warf einen verzweifelten Blick auf den Reisewagen mit der deutlichen Schräglage. Der Wagenbauer warf einen kritischen Blick auf die Raeda und meinte dann nur: „Mal sehen!“

      Der Adiutor und Tiberius Satto hatten inzwischen begonnen, Elvas aus Decken und Heuballen ein halbwegs bequemes Lager auf der Ladefläche des Plaustrum zu bereiten. Dann trat Satto näher an die verletzte Frau heran.

      „Wir werden Euch jetzt so vorsichtig wie möglich auf den Wagen heben. Habt keine Angst, Domina!“

      Elvas stöhnte kurz auf, als die Männer sie anhoben. Caius blickte besorgt in ihr Gesicht. Doch sie hatte die Augen wieder geschlossen. Ein Zucken in den Mundwinkeln verriet, dass sie Schmerzen hatte.

       Essibnus, der Wagenbauer, hatte bereits begonnen, den Reisewagen fachmännisch zu untersuchen. Als Caius hinzutrat, sagte er: „Die Aufhängung der Kabine ist vorne links gerissen. Durch das Gewicht des hölzernen Aufbaus, der mit Wucht auf dem Querträger, der die Aufhängung trägt, aufschlug, ist dieser zerbrochen. Damit war das Fahrgestell blockiert. Ich werde jetzt den Querträger notdürftig reparieren, damit wir die Raeda bis zu meiner Werkstatt schaffen können. Dort werde ich morgen den Wagen reparieren können.“

      Caius hatte Mühe, den Mann zu verstehen. Er sprach einen starken gallischen Dialekt. Doch der Beneficiarius nickte dankbar. Tiberius Satto reichte Sacrus die Zügel des Zugpferdes und kletterte auf den Kutschbock des einfachen Wagens. Er nahm die Leinen auf und trieb das Tier mit einem Zungenschnalzen an.

      Der Plaustrum war nicht gefedert, wie die bequeme Raeda. Er holperte unsanft über die Straße. Zum Glück war es nicht mehr weit bis zur Mutatio. Elvas war erneut bewusstlos geworden. Ihr Kopf rollte auf der weichen Unterlage des zerrissenen Mantels hin und her. Sie war sehr blass. Alpina machte sich große Sorgen und auch Caius blickte ängstlich auf seine Frau.

      Bald trat der Wald zurück und die Mutatio kam in Sicht. Ein Bachlauf mäanderte durch die hügelige Landschaft. Sie überquerten ihn bei einer schmalen Holzbrücke und fuhren dann in den Hof der Mutatio ein.

      Die Ehefrau des Stationarius kam aus dem Haus. Sie trug ein kleines Kind auf dem Arm und an ihrem Rocksaum hing ein weiteres, etwa drei Jahre altes Kind. Die Frau war stämmig, ihre Haut rosig-glänzend und die rotblonden Locken quollen unter einer einfachen Stoffhaube hervor. Sie rief etwas Unverständliches über die Schulter ins Haus und kurze Zeit später erschien eine Magd in der Tür.

      „Lydia, du zeigst den Männern den Weg zu dem Zimmer, das wir vorbereitet haben!“

      Alpina lief dem mageren, jungen Mädchen nach, die eine schmutzige, dunkle Tunika aus grobem Stoff trug. Sie hatte kräftiges, dunkles und gelocktes Haar, das von einem einfachen Lederband im Nacken zusammengehalten wurde. Ganz offensichtlich war sie eine Arbeitssklavin.

      „Normalerweise die Gästekammern sind im ersten Stock“, sagte sie in schlechtem Latein mit einem starken nordafrikanischen Akzent. „Doch für Eure Mutter ich habe meine Kammer im Erdgeschoss hergerichtet.“

      Alpina folgte ihr zu der kleinen Kammer, die sich nahe der Küche befand. Das Bett war schmal und niedrig, aber mit sauberen Tüchern bezogen. Neben dem Bett standen ein Krug mit Wasser, ein Becher und eine hölzerne Waschschüssel. Als die Männer mit Elvas kamen, gingen Alpina und die Magd wieder aus der Kammer, damit genug Platz für die Träger war. Diese brachten die verletzte Frau in den engen Raum und legten sie auf das Bett. Anschließend verließen alle außer Caius die Kammer und Alpina konnte zu ihren Eltern hinein. Ihr Vater kniete neben seiner Frau. Er strich ihr besorgt über die Wange, doch Elvas reagierte nicht.

      Alpina trat hinzu, sie versuchte noch einmal mit Hilfe der Minze Elvas zu Bewusstsein zu bringen. Doch leider reagierte sie diesmal nicht auf den Duft der ätherischen Kräuteröle. Der Puls war schnell, aber kraftlos, die Atmung unregelmäßig. Still verfluchte das Mädchen, dass sie nicht in Augusta Vindelicum waren. Dort gab es einen Medicus, der die Garde des Statthalters und die Angehörigen der Stadtverwaltung medizinisch versorgte. Man hätte ihn rufen können.

      Caius sah seine Tochter ratlos an. „Brauchst du etwas Bestimmtes? Kann ich dir etwas bringen lassen?“

      „Ich könnte auf jeden Fall mehr Licht gebrauchen!“, sagte Alpina. Es dämmerte schon und in die kleine Kammer fiel ohnehin nur wenig Licht. Caius nickte und verschwand.

      Bald war er wieder da und brachte eine Öllampe mit zwei Dochten. Alpina bedankte sich und fragte ihren Vater, ob es möglich wäre, ihr ein oder zwei Decken zu bringen. Sie wollte die Nacht über bei ihrer Mutter bleiben.

      Alpina war nicht lange allein. Bald räusperte sich die Magd vor der Tür und fragte, ob sie eintreten dürfe. „Ich die Decken bringe!“

      „Wie heißt du? Damit ich dich rufen kann, wenn ich etwas benötige“, fragte Alpina.

      Ganz kurz blickte die Sklavin in die Augen der anderen, nur einen Wimpernschlag lang. Sie hatte ganz dunkle Augen, die sich sofort wieder hinter dichten Wimpern versteckten. Alpina schätzte sie auf höchstens achtzehn Jahre. „Lydia, “ nennt man mich, Domina!“ Dann verließ sie die Kammer.

      ***

      Caius trat durch die Tür der Mutatio ins Freie. Drei Gebäudeteile umstanden hufeisenförmig den Hof, der sich zur Straße hin öffnete. Rechts des Hauptgebäudes war ein geräumiger Stall für Pferde, Ochsen und Maultiere, daneben die Werkstatt des Wagenbauers. Es war nur eine kleine Mutatio, die neben dem Pferdewechsel nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten für Kuriere und Reisende bot. Etwa alle dreißig Meilen traf man auf eine größere Mansio, ein Rasthaus mit ausreichend Platz für Kuriere und Reisende. Dort gab