Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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in der Plantage einen weiteren Sklaven, der ähnlich groß war, wie ich. Er war jedoch aus Afrika und durch das war seine Hautfarbe wesentlich dunkler, als die meine. Seine Kleidung bestand nur aus Lumpen, während ich als Vorarbeiter wenigstens ein Hemd und eine Hose, sowie Schuhe besaß. Eines Abends bat ich deshalb diesen Sklaven zu mir. Er hieß Kudda, wobei ich aber nicht weiß, ob dies wirklich sein Name war. Er war des Spanischen überhaupt nicht mächtig und „Kudda“ war das einzige Wort, was man bei ihm verstehen konnte, weshalb wir ihn einfachheitshalber so nannten. Er kam also zu mir und versank vor Ehrfurcht fast in den Boden. Als ich ihm dann auch meine komplette Kleidung schenkte, war er ganz außer sich vor Freude. Er zog sie auch gleich an. Sie passte ihm, wie angegossen. Ich wartete, bis er wieder gegangen war, dann leitete ich die Verwandlung in meine zweite Natur ein. Kaum war ich damit fertig, nahm ich die Verfolgung von Kudda auf, den ich auch kurz später direkt vor mir gehen sah. Ich sprang ihn an und mit einem gezielten Biss trennte ich seinem Kopf von seinem Körper. Ich vergrub den Kopf tief in der Erde, wo man ihn wahrscheinlich nie mehr wieder finden würde. Dann begann ich Kudda in wilder Raserei zu zerfleischen, sodass er am Ende fast nicht mehr als menschliches Wesen zu erkennen war. Dabei achtete ich jedoch darauf, dass trotz aller Raserei meine Kleidung noch erkennbar blieb. Man sollte ihn ja für mich halten. Ich wäre dann tot. Tot und frei und Kudda würde als mein Mörder gejagt und niemals gefunden werden.

      *

      Nur mit einem Lendenschurz gekleidet, floh ich aus der Plantage. Ich rannte die ganze Nacht und brachte dadurch viele Kilometer zwischen die Plantage und mir. Dann am frühen Morgen sah ich ein Lager, an dem zwei Mönche schliefen. Keiner von beiden war auch nur annähernd so groß, wie ich, aber es war besser, als gar nichts, also überfiel ich die beiden und tötete auch sie. Dann nahm ich dem größeren der beiden die Kutte ab, mit der ich mich mühsam bekleidete. Zum Glück hatten diese Kutten einen weiten Schnitt, sonst hätte ich wohl unmöglich hineingepasst. Ich vergrub die beiden Leichen tief in der Erde, dann machte ich mich wieder auf den Weg.

      Ich hatte durch meinen Kriegskameraden erfahren, dass der Winzling in einer Stadt namens Salamanca lebte. Ich wusste, dass diese Stadt irgendwo westlich von meiner momentanen Position liegen musste, also beschloss ich nach Westen zu gehen. Trotz dass mir die Kutte des getöteten Mönchs natürlich viel zu klein war, brachte man mir auf dem Weg sehr viel Erfurcht entgegen. Niemand schien etwas zu spüren. Es schien ihnen auch nicht seltsam zu erscheinen, dass ein riesiger Mönch mit deutlich dunklerer Hautfarbe in einer viel zu kleinen Kutte durch das Land wanderte und nach dem Weg nach Salamanca fragte. Es schien öfters vorzukommen, dass Mönche in Kutten herumliefen, die ihnen so gar nicht passten. Die Verkleidung war also perfekt.

      Nach drei Tagen wusste ich genau, wo Salamanca lag, und kam dem Ziel mit jedem weiteren Tag deutlich näher, bis ich endlich in dieser Stadt ankam. Meiner Meinung nach war Salamanca nicht so schön, wie Tenochtitlán, hatte aber doch seinen Reiz. Ich war beeindruckt, dass die Spanier so etwas fertig gebracht hatten.

      Das Eindrucksvollste in Salamanca waren jedoch die Menschen selbst. Ich hatte noch niemals solch eine Vielfalt von verschiedenen Menschenrassen gesehen, nicht einmal in Tenochtitlán.

      Ich machte mich auch gleich auf die Suche nach dem Winzling. Ich wusste lediglich, dass er ein Adliger war und hier in Salamanca lebte. Die Suche würde also wohl etwas länger brauchen. Ich musste also irgendwie meinen Lebensunterhalt verdienen, um hier überleben zu können. Also ging ich in Richtung des Zentrums von Salamanca und stand plötzlich vor der größten Baustelle, die ich jemals gesehen hatte. Nicht einmal diejenige der großen Pyramide von Tenochtitlán war ähnlich groß gewesen. Es wurde an dieser Baustelle eine große Kirche gebaut. Wie es sich später herausstellte, war es das Kloster San Esteban, dass dort gebaut wurde. Hier würde ich sicher Arbeit finden. Ich musste dazu aber erst einmal die Kutte loswerden, denn einem Mönch würde wohl keine körperliche Arbeit zugetraut werden.

      Ich beobachtete die Kirche einen ganzen Tag lang. Da fiel mir ein großer, sehr kräftiger Arbeiter auf, der eine ähnliche Statur hatte, wie ich selbst, wenn er auch deutlich kleiner war, als ich. Der wäre perfekt für mein Vorhaben. Ich wartete also, bis er seine Arbeit beendete und die Baustelle verließ. Ich folgte ihm. Er ging in eine dreckige, übel riechende Bar. In einem Schatten circa 20 Meter von der Bar entfernt, leitete ich die Verwandlung in meine zweite Natur ein. Dann wartete ich.

      Der Mann kam jedoch nicht mehr hinaus, auch Stunden später nicht. Also ging ich ihn suchen. Mit dem scharfen Blick der Augen meiner zweiten Natur sah ich in die Fenster der Bar und mir wurde bei dem Anblick speiübel. In jedem der dunklen Räumen war ein Mann mit einer Frau – in zwei Räumen sogar mit zwei Frauen – und paarten sich. Es war einfach nur widerwärtig und ich wäre am liebsten in alle Räume gegangen und hätte alle dort befindlichen Personen zerfleischt. Aber ich wollte nicht zuviel Aufmerksamkeit erregen.

      Kurz später fand ich den großen Arbeiter. Auch er paarte sich mit einer Frau, wobei er sie zwischendurch auch immer einmal schlug, was wiederum der Frau zu gefallen schien. In was für eine Welt war ich hier herein geraten? Ich fragte mich, wer denn nun die Barbaren waren.

      Ich sprang also durch das Fenster direkt in das stinkende Zimmer, wo der Arbeiter seiner perversen Neigung nachging. Mit einem einzigen gezielten Biss tötete ich ihn. Die Frau sah mich mit schockgeweiteten Augen an und sagte immer wieder das Wort „Werwolf, Werwolf“. Ich hatte keine Ahnung, was dies bedeutete, war mir aber sicher, dass es mit mir zu tun hatte. Dann merkte ich, dass sie im Begriff war, zu schreien, also schlug ich mit meinen Krallen zu und tötete sie mit diesem Schlag. Ich nahm die Kleider des Arbeiters und ging von dannen. Kaum hatte ich das stinkende Haus wieder verlassen, da hörte ich es hinter mir schreien. Ich drehte mich um und sah eine weitere Frau, die offensichtlich die Leichen gefunden hatte. Schnell lief ich davon.

      Ich verwandelte mich im Schatten eines großen Baumes wieder in meine erste Natur. Dann probierte ich die Kleidung des Mannes, die mir sehr gut passte, auch wenn sie etwas zu kurz geraten war. Komisch, dass es ihn Spanien auch Männer meiner Statur gab und nicht nur Winzlinge.

      Gleich am nächsten Morgen begab ich mich zu der Baustelle des Klosters und fragte nach Arbeit. Natürlich gab es bei einem solch großen Projekt genug zu tun, also wurde auch mir eine Arbeit zugeteilt. Durch meine allüberragende Statur bekam ich die Aufgabe, die schweren Steine an die Plätze zu bringen, wo sie gebraucht wurden. Natürlich machte mir die körperliche Arbeit nichts aus, ich genoss sie sogar.

      Bei jeder sich gebenden Gelegenheit fragte ich nach dem Winzling und schon kurz später wusste ich seinen Namen. Marqués Carlos Alavaréz del Rosário! Ich wurde aber eindrücklich gewarnt, dass es ein sehr gefährlicher Mann sei. Auch das Wort „Werwolf“, das die Frau in der ekelhaften Bar gerufen hatte, fiel wieder. Um nicht für dumm gehalten zu werden, fragte ich da aber nicht genau nach.

      Nach der Arbeit begann ich dann mit meinen Nachforschungen über den Marqués Carlos Alavaréz del Rosário. Da er sehr bekannt in Salamanca war, fand ich sehr schnell raus, wo er wohnte. Aber es war auch offensichtlich, dass die Leute Angst vor ihm hatten. Mehrere Leute machten sogar das Zeichen des Kreuzes auf ihrer Brust, wenn ich sie auf ihn ansprach.

      Am späten Abend machte ich mich auf die Suche nach dem Marqués. Als ich dann vor dem Palast des Winzlings stand, war ich doch sehr beeindruckt. In Tenochtitlán hatte nur der Huey Tlatoani einen solchen Palast.

      Ich leitete die Verwandlung in meine zweite Natur ein und beobachtete den Palast. Kurz später kam tatsächlich der Winzling. Ich konnte gerade noch solange meinen Hass bändigen, bis er die Türe geöffnet hatte, dann sprang ich vor. Er bemerkte mein Kommen erst, als ich schon direkt hinter ihm war. Er drehte sich blitzschnell um, aber ich war schon zu Nah und schlug ihn mit all meiner Kraft und all meiner Wut auf die Brust. Der Winzling wurde quer durch seine komplette Eingangshalle geschleudert. Ich sprang ihm nach, doch auch der Winzling zeigte seine überragende Kraft, die in seiner zweiten Natur entsprang. Er sprang aus dem Liegen hoch, drehte sich und griff mich an. Nur ich war nicht mehr dieser schwache, überhebliche Jaguarkrieger, den er so leicht hatte besiegen können. Die zweite Natur, mit der er mich angesteckt hatte, die war auch in mir, nur dass sie bei mir in einem gewaltigen, kräftigen Körper steckte, und nicht in einer Knabenstatur. Ich fing also den Winzling mit nur einer Hand auf und schmiss ihn wieder zu Boden. Dann sprang