Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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auch etwas andere, als Farbe sein, mit der die Wände gestrichen worden waren. Seltsam war, dass trotz des Gestankes der verwesenden Tiere nicht eine einzige Fliege im Raum zu sehen war. Normalerweise müssten doch Millionen dieser lästigen Insekten im Raum herumschwirren. Warum ließen sie sich solch ein Fastmahl entgehen?

      Im Raum waren keine Bänke, nicht einmal ein einsamer Stuhl. Die Zeremonien wurden also im Stehen durchgeführt. Oder die Leute tanzten sich dabei in Trance, wie der Mann, der jetzt röchelnd im Nebenraum lag.

      Trotz des Ekels, der ihr fast die Fähigkeit nahm, zu atmen, trat Layla ein, dicht gefolgt von Daniel, der ebenfalls scharf einatmete, als er sich umschauen konnte.

      Im Raum war ansonsten nicht eine einzige Verzierung zu sehen, keine Statue, kein Symbol des Glaubens. Layla drehte sich um, um sich den Altar genauer zu betrachten und als sie die Wand hinter dem Altar erblickte, zog es ihr fast die Füße unter dem Hintern weg. Zentral genau hinter dem Altar war genau dasselbe Abbild, das ihr Peter vor einigen Stunden per MMS auf ihr Handy gesandt hatte, nur natürlich wesentlich größer. Es schien fast die gesamte freie Fläche der Wand einzunehmen. Die Bestie! In dieser Größe war das Bild noch viel eindrücklicher und Furcht einflößender. Fast schien es lebendig. Layla hatte das Gefühl, die Bestie würde sie durch das Bild hindurch ansehen und müsste jeden Moment aus dem Rahmen springen, um sie anzufallen. Daniel hatte das Bild ebenfalls bemerkt und fragte mit angewiderter Stimme:

      „Um Gottes Willen, was ist denn das? Es sieht aus, als wäre das Bild direkt in der Hölle gemalt worden!“

      „Es ist ein Werwolf!“

      Daniels Augen weiteten sich. Er setzte zu einer Antwort an, schien aber dann doch nicht die richtigen Worte zu finden. Deshalb sagte er erst einmal gar nichts. Ihm als Vollblutmexikaner schien es leichter zu fallen, diese Erklärung zu akzeptieren, als es bei Layla anfänglich der Fall gewesen war. Im Grunde genommen waren die Mexikaner nicht nur sehr gläubig, sondern oft auch etwas abergläubig.

      Layla riss ihren Blick von der Bestie los und sah sich weiter im Raum um. Der Raum schien ansonsten wirklich völlig leer zu sein, nur eben vor ihrer Nische, da war dieser massive Schrank. Layla ging hin, öffnete die Türen und hätte sich fast übergeben. Wenn es schon in dem ganzen Gebäude – Layla weigert sich, es „Kirche“ zu nennen –, wenn es hier schon stank, dass einem der Atem verging, dann war das gar nichts gegen die Pest, die Layla aus dem Schrank entgegenwehte. Dort waren in drei regalähnlichen Unterteilungen kleinen Schälchen ausgestellt, jedes gefüllt mit einem blutigen Fleischbrocken. Aus dem Biologieunterricht meinte Layla sich zu erinnern, dass es sich dabei um Herzen handeln musste.

      Das wollte Layla jetzt doch genauer wissen. Sie ging zu den geopferten Tieren. Die Hoden waren denen zwar erwartungsgemäß tatsächlich abgeschnitten worden, aber die Brust schien unberührt. Wem gehörten dann diese Herzen? Layla ging zurück zum Schrank und was ihr dann als erstes auffiel, war, dass alle Herzen in etwa die gleiche Größe und die gleiche Form aufwiesen. Konnte es sein, nein, dass wäre dann doch zu grausam und sprengte Laylas Vorstellungsvermögen, aber konnte es nicht doch sein, dass es sich dabei um menschliche Herzen handelte? Jetzt konnte Layla ihren Mageninhalt doch nicht mehr bei sich halten und übergab sich genau vor dem Schrank. Voller Wut schlug sie den Schrank wieder zu. Sie wollte diesen Raum, dieses Gebäude nur noch verlassen. So schnell, als möglich.

      „Das ist ja unglaublich!“

      sagte Daniel, der sich die Wand um das abstoßende Bild der Bestie herum genau betrachtete. Layla trat zu ihm. Zuerst sah sie nur Linien, aber dann erkannte auch sie denn Sinn hinter den Linien. Sie konnte die Pyramide erkennen, die Plaza Mayor, das Gebäude hier und auch eine dunkelrote Linie, die sich in gewundenen Kurven nach oben wandte. Es war offensichtlich eine Landkarte!

      Sie hatten den geheimen Pfad von Cholula gefunden!

      Daniel zückte sein Handy und machte mehrere Fotos von der Karte, aus allen erdenklichen Winkeln.

      Plötzlich schrie Layla gequält auf. Das Silberamulett an ihrer Brust wurde plötzlich glühend heiß, dass sie es nicht mehr auf der Haut aushielt und hervor nehmen musste. Es leuchtete tiefblau. Da fiel Layla auf einem Mal eines auf. Das Amulett war schon deutlich wärmer geworden, als sie das Gebäude betreten hatten und es war regelrecht heiß geworden, als sie diesen Altarraum betreten hatte. Sie hatte dies aber nur ihren überforderten Nerven zugeschrieben und nicht als real angesehen. Jetzt war es aber nicht mehr abzustreiten. Das Amulett wollte ihnen irgendetwas mitteilen, fast so, wie es sie zur Pyramide gesandt hatte, um die arme alte Frau und den Priester zu treffen.

      Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es drohte Gefahr. Dies bedeutete wohl, dass jemand kam. Sie schrie Daniel zu

      „Raus hier, schnell!“

      Zum Glück reagierte Daniel unverzüglich und rannte zur Tür. Layla war noch schneller. Mit großen Sprüngen hetzte sie zum offenen Hintereingang. Daniel war nur Zentimeter hinter ihr. So schnell sie konnten, kletterten sie unter dem Zaun hindurch und hasteten zum Auto. Schon aus fünf Meter Entfernung öffnete Daniel die Türe. Beide waren fast gleichzeitig am Auto, öffneten die Türe und hechteten ins Innere.

      Das Amulett war mittlerweile so heiß geworden, dass es Layla fast ein Loch in die Bluse brannte. Sie musste es abnehmen und tat es in ihre Handtasche. In der Zwischenzeit startete Daniel den Motor und fuhr an.

      Im selben Moment, als Daniel auf die Strasse fuhr und den Wagen beschleunigte, sprang ein untersetzter Mann aus der offenen Tür des verfluchten Gebäudes. Trotz seiner Fülle bewegte er sich elegant und anmutig. Er schaffte es sogar fast, das Auto noch zu erreichen, bevor Daniel das Gaspedal voll durchtrat und der Wagen einen Sprung nach vorne machte. Trotzdem bekam das Fahrzeug noch einen Schlag von der Person ab, der das Fahrzeug zum Schlingern brachte. Wie konnte ein menschliches Wesen nur so hart zuschlagen und vor allen Dingen, wie konnte es sich so unverstellbar schnell bewegen?

      Angsterfüllt drehte sich Layla um. Daniel hatte den Wagen wieder in Beherrschung bekommen und trat das Gaspedal wieder bis zum Boden durch.

      Zum Glück brach der Mann den Angriff ab und setzte dem Auto nicht weiter nach. Er lächelte sogar und winkte dem Fahrzeug hinterher, dann drehte er sich um und ging zum Gebäude zurück.

      Layla nahm vorsichtig das Amulett wieder aus der Tasche und betrachtete es. Es war immer noch warm. Was war dies nur? Es schien sie zu führen und vor Gefahr zu warnen. Nur leider wurde es dabei unerträglich heiß. Und warum hatte es sie nicht davor gewarnt, dass Lupi entführt wurde. Es hatte sie ebenfalls nicht von Antonio Gonzales López bei der Polizeistation gewarnt. Warum nur? Warum führte es sie manchmal, die meiste Zeit jedoch nicht, warum warnte es sie manchmal, manchmal jedoch nicht? Warum bereitete es ihr dabei solche unerträgliche Schmerzen? Layla wurde klar, dass sie noch so vieles nicht wusste. Auch Dinge, die überlebenswichtig für sie waren. Nachdenklich zog Layla die Kette wieder über den Kopf. Jetzt war das Amulett wieder kühl. Es fühlte sich sogar angenehm auf der sich bildenden Brandblase auf ihrer Brust an.

      13

      Da klingelte auf einmal ihr Handy. Sie nahm es aus der Tasche und erschrak, als sie sah, dass Peter sie anrief. Herrgott noch mal, den hatte sie ja total vergessen. Sie antwortete:

      „Hallo Peter!“

      „Mann Layla, ich versuche seit Stunden, Dich zu erreichen. Ich wollte schon einen Suchtrupp losschicken!“

      „Sorry, Peter, es tut mir wirklich sehr leid!“

      „Layla ich kenne Dich ja. Wenn Du an einer Story bist, dann kann Dich nichts, aber auch gar nichts bremsen!“

      „Peter, es tut mir wirklich leid!“

      „Schon gut! Ich habe einige Infos für Dich. Zuerst Mal diese Mercedes Ramírez. Also sie wurde tatsächlich entführt. Ihre Familie hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ihre Familie wohnt in Puebla. Hast Du was zu schreiben, ich gebe Dir die Namen der vermissten Mädchen durch?“

      „Moment bitte!“

      Layla nahm ihre Tasche und begann drin zu wühlen. Sie nahm einen Notizblock und einen