Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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waren. Die Fahrt dauerte nicht sehr lange. Vielleicht fünf Minuten. Es konnte aber auch etwas mehr, oder etwas weniger sein. Layla hatte jegliches Zeitgefühlt verloren.

      Daniel zu finden dauerte auf jeden Fall noch wesentlich kürzer. Er stand mitten auf dem Platz und sprang von einem Fuß auf den Anderen. Layla rannte zu ihm und fragte:

      „Was ist denn passiert!“

      Daniel begann zu weinen. Sie kannte Daniel nun schon fast ihr ganzes Leben, aber sie hatte ihn noch niemals weinen gesehen. Auch Layla konnte sich die Tränen nicht mehr zurückhalten, aber diese wichen immer mehr der ungezügelten Wut. Diese Drecksäcke würden sich noch wundern! Sie hatten sich mit den Falschen angelegt!!! Ihr Zögern auf der Fahrt nach Cholula war wie weggeblasen.

      Daniel versuchte sich zu sammeln. Ein-, zweimal setzte er zum Reden an, überlegte es sich aber dann doch wieder, bis er die richtigen Worte endlich gefunden hatte:

      „Es passierte, als ich gerade hier am Plaza Mayor angekommen bin. Ich habe mich umgesehen und Lupi nicht gleich gesehen, als ich sie plötzlich schreien hörte. Ich drehte mich um und habe da diesen unheimlichen Typen gesehen, der den Polizist so brutal zusammengeschlagen hat. Er hat Lupi hochgehoben, als wäre sie ein kleines Kätzchen. Ich bin….!

      Daniel brach die Stimme. Er musste sich erst wieder fassen. Er fuchtelte wild mit den Händen vor seinem Gesicht herum, als ob er die Geister, die ihn befallen hatten, vertreiben wollte, dann setzte er wieder an.

      „Ich bin losgerannt. Lupi hat mich gesehen und mir hilflos die Hand entgegenstreckte. Sie hat um meine Hilfe gefleht. Der Typ hat sich dann umgedreht und hat mich angeberisch angegrinst. Er hat mir noch einen Fingergruß entgegengestreckt, dann hat er Lupi einfach so in ein Auto geworfen und ist selbst eingestiegen. Gerade als ich ankam, sind sie losgebraust!“

      „Daniel, es ist nicht Deine Schuld. Wenn jemand Schuld hat, dann ich. Ich hätte Euch nicht hierher bringen dürfen!“

      „Was wird er mit Lupi tun?“

      „Im Moment gar nichts. Er wird versuchen, sie gegen mich einzusetzen!“

      Lupi wusste, dass dies an den Haaren herbeigezogen war. Warum sollte Antonio Gonzales López und Sergio Alcazar Angst vor ihr haben? Warum brauchten sie Lupi gegen sie? Aber an das Gegenteil zu glauben, mit den darin beinhaltenden Konsequenzen für Lupi, dass kam für Layla einfach gar nicht in Frage!

      „Es bringt nichts, wenn wir hier einfach nur herumstehen“, dachte Layla. Wir müssen zur Tat schreiten und zwar augenblicklich. Jetzt zählte wirklich jede Sekunde. Sie sagte zu Daniel.

      „Am nördlichen Ortsausgang, direkt am Weg hoch zum Popocatépetl, muss es eine entweihte Kirche geben. Dort soll der geheime Pfad beginnen!“

      „Und das Alles hast Du in dieser kurzen Zeit herausgefunden? Wow, mit mir haben die Leute nicht einmal geredet. Super, na dann los!“

      „Daniel, nochmals, ich möchte Dich nicht in Gefahr bringen. Es wird mich mein Leben lang verfolgen, was ich Lupi angetan habe, wenn auch noch Dir etwas passiert, würde mich das zerstören!“

      „Layla, was soll ich dann sagen? Es war meine Schuld, dass sie entführt wurde und ich war es, der Dich überredet hat, uns mitzunehmen. Was meinst Du, wie ich mich fühle?“

      „Daniel, eines muss klar sein. Es war es nicht Deine Schuld! Nicht einmal zu einem winzigkleinen Prozentsatz. Du hättest Antonio Gonzales López nicht aufhalten können. O.K?“

      Daniel sah sie mit seinen unvergleichlichen Augen an. Ein, zwei Sekunden geschah gar nichts, dann nickte er. Layla fuhr fort:

      „Ich werde Dich mitnehmen zu der entweihten Kirche, aber nach Aguas Verdes, da muss ich alleine gehen. Ich habe noch immer Sergios Wort, dass mir nichts geschieht. Dich würden sie jedoch sofort töten!“

      Daniel nickte nochmals, dann drehte er sich wortlos um und lief in Richtung Auto. Layla folgte ihm. Auf dem Weg zum Auto kamen sie an einem Haus vorbei, wo auf einer Anschlagwand, die „Noticias de Cholula“, also die Nachrichten aus Cholula angeschlagen waren. Zwei, drei Plakate mit zukünftigen Festen, ein Konzert, ein spezieller Markt und die Bilder der verschwundenen Personen aus Cholula!

      Layla blieb wie angewurzelt stehen und rief nach Daniel. Auf dem Poster der Polizei waren sage und schreibe 23 junge Frauen abgebildet und nicht ein einziger junger Mann. Nur ein Greis, der sich anscheinend verlaufen hatte. 23:1, was für ein Verhältnis. Layla würde nur zu gerne wissen, wie viel davon auf das Konto von Sergio Alcazar gingen. Wohl der überwiegende Prozentsatz. Sie sah sich die Bilder der jungen Frauen an. Wirklich alle zwischen 16 und 24 Jahre alt. Das dies niemandem aufgefallen war? Layla kam ein Gedanke.

      „Sag’ mal, Daniel, als Lupi entführt wurde, wie haben da die anderen Leute reagiert?“

      „Jetzt, wo Du es sagst, fällt es mir auch auf. Die haben so getan, als hätten sie nichts gehört, aber innerhalb weniger Sekunden war die Plaza Mayor fast komplett menschenleer!“

      „Was hältst Du da davon?“

      Layla deutete auf das Plakat. Daniel sah es sich konzentriert an. Dann erwiderte er:

      „Mann, das sind aber viele für so eine kleine Stadt und alles nur Frauen. Meinst Du, es hat was mit diesem Superarschloch von Antonio zu tun?“

      „Ich bin sicher, dass es das tut. Und jetzt auf zur entweihten Kirche!“

      Die beiden liefen wieder los in Richtung des abgestellten Autos. Da hatte Layla plötzlich das Gefühl, dass sie beobachtet wurde. Und tatsächlich. An der Strasse stand ein weißer Lieferwagen und auf dem Beifahrersitz saß Antonio Gonzales López. Er grinste sein typisches gruseliges Grinsen, dass Alles auf einmal zu sein schien: Wissend, arrogant, schmutzig, geil, böse, hinterlistig, berechnend. Nur eines war es sicher nicht: Wohlmeinend. Daniel hatte ihn noch nicht gesehen, weshalb ihn Layla an der Schulter zog. Sie deutete in Richtung des Lieferwagens. Daniels Augen weiteten sich, als er Antonio erkannte und er begann, wie ein wilder Stier in Richtung des Lieferwagens zu sprinten. Dabei stieß er einen hohen Schrei aus, fast so, wie es die Indianer in schlechten Wildwest Filmen oft taten. Dabei hatte er die rechte Hand über die Schulter gehoben, als hätte er tatsächlich einen Tomahawk in der Hand.

      Antonio schien dieser „Angriff“ zu amüsieren. Er lachte den näher kommenden Daniel geradezu aus. Kurz bevor Daniel tatsächlich zum Angriff übergehen konnte, gab er dem Fahrer ein Zeichen und die beiden brausten davon.

      Layla war klar, was dies zu bedeuten hatte. Antonio wollte ihr klarmachen, dass er omnipräsent war und die volle Kontrolle über Layla und alles, was sie tat, hatte. Das sie keine Chance hatte und vor allen Dingen, dass er wenig bis gar kein Respekt vor ihr hatte, dass er sich eher köstlich über ihre dilettantischen Versuche amüsierte und dass er deswegen noch etwas mit ihr spielte.

      Daniel hatte einen großen Stein gefunden und schmiss ihn vor ohnmächtiger Wut dem Lieferwagen hinterher, der Stein schaffte aber nicht einmal ein Viertel der Distanz, bevor er wirkungslos zu Boden fiel. Daniel sprang wie wild auf den Boden und bei jedem Sprung schrie er:

      „Mist, Mist, Mist!“

      Dann drehte er sich im Kreis und fragte laut in die Runde:

      „Hat jemand das Kennzeichen des Wagens gesehen?“

      Wieder versuchten die Leute, ihn zu ignorieren. Das machte Daniel fast noch wütender. Er schrie in die Runde:

      „Wenn ihr Euch dem nicht stellt, wird es nie aufhören!“

      Plötzlich klatschte es und Daniel hielt sich den Kopf. Vor ihm lag ein Stein. DIE LEUTE BEWERFEN UNS MIT STEINEN, schrie es stumm in Laylas Kopf. Neben ihr schlug der nächste Stein ein. Sie packte Daniel an der Schulter und schob ihn in Richtung Auto. Die Leute hatten ziemlich deutlich ausgedrückt, was sie von der Hilfe hielten.

      12

      Im Auto angekommen, untersuchte Layla erst einmal Daniels Wunde. Er hatte großes Glück gehabt, dass der Stein nicht voll getroffen hatte. Er hatte