Michael Hamberger

Der geheime Pfad von Cholula


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viel flexibler war, als Daniel, machte sie ihm ein Zeichen, dass es sich im Hinterhof verbergen solle, während sie sich in der Nische verstecken wollte. Daniel rannte so leise wie möglich aus Tür hinaus, während Layla versuchte, sich in die Nische zu quetschen. Daniel schloss gerade die Hintertüre, als die Vordertüre mit einem lauten Quietschen begann, aufzugehen. Layla war immer noch nicht voll in der Nische verschwunden. War sie doch zu optimistisch gewesen und nicht mal sie, der abgebrochene Meter, wie sie Peter oft nannte, passte in diese Miniaturnische. Ihr rechter Fuß war immer noch draußen und sie versuchte sich möglichst weit zu verrenken, um den Fuß endlich hineinziehen zu können. Das Tor war mittlerweile zur Hälfte geöffnet und sie konnte ihren weißen Sportschuh im einfallenden Licht immer noch deutlich sehen. „Mist“, dachte sie „warum muss ich auch diese bescheuerten weißen Schuhe anziehen?“ Es war zu spät, Daniel noch zu folgen und es fehlten noch mindestens zehn Zentimeter, bis sie den Fuß hineinziehen konnte. Layla verstärkte ihre Anstrengungen, aber als die Türe ganz geöffnet wurde, fehlten ihr noch immer fünf Zentimeter. Die Person trat jedoch noch nicht sofort ein, sondern begann fürchterlich zu schimpfen. Hatte er sie schon entdeckt? Layla brach der Schweiß aus allen Poren. Layla konnte den Mann an der Türe schon erkennen, aber er machte weiterhin keine Anzeichen, einzutreten. Er blickte nicht einmal hinein. Also hatte er sie doch noch nicht gesehen. Er war offensichtlich mit irgendetwas beschäftigt, dass nicht so klappte, wie er es sich vorstellte. Layla begann wieder wie wild herumzuhampeln, um den Fuß endgültig nachziehen zu können. Letztendlich gelang es Layla dann doch noch, aber dafür saß sie jetzt in einer furchtbar ungemütlichen Haltung in ihrem Versteck. Na, das konnte ja heiter werden. Lange würde sie diese Position nicht durchhalten können. Sie bekam ja jetzt schon fast einen Krampf in ihrem Hintern. Der Mann trat ein und zog etwas hinter sich her. Layla hörte das Meckern einer Ziege. Das war es also, was den Mann aufgehalten hatte, und dass sie damit letztendlich gerettet hatte. Der Mann band die störrische Ziege an einen Pfahl in der Mitte des Raumes, dann ging er zurück zur Türe. Licht ging an. Layla konnte an einem langen, unbefestigten Kabel eine Halterung mit einer nackten Glühbirne sehen. Sie zuckte zusammen. Trotz ihrer Bemühungen war es ihr nicht ganz gelungen, komplett in der Nische zu verschwinden. Im Licht der provisorischen Lampe konnte sie ganz deutlich ihr Knie sehen. Zum Glück war die Hose durch ihre Turnübungen beim Betreten ihres Verstecks ziemlich dreckig geworden, aber wenn der Mann genau hierher sah, dann musste er sie einfach sehen. Layla begann wieder herum zu ruckeln, aber das verstärkte nur den Krampf in ihrem Hintern. Deshalb ließ sie es lieber bleiben und vertraute auf ihr Glück. Der Mann schloss die Türe und wendete sich wieder der Ziege zu, die ganz aufgeregt zu schreien begann und mit den Hörnern in Richtung des Mannes stieß. Ganz offensichtlich hatte das Tier Angst. Dass diese Angst auch begründet war, zeigte sich auch einen Augenblick später, als der Mann ein großes Messer aus einer Scheide, die er an seinem Gürtel befestigt hatte, zog. Layla konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken. In ihrem engen Versteck konnte sie dabei nicht einmal die Hand vor den Mund drücken. Das Tier, ganz offensichtlich ein prächtiger Ziegenbock begann an dem Seil, dass ihn an den Pfahl fesselte, zu ziehen. Als es ihm nicht gelang, sich zu befreien, begann es wieder mit den Hörnern nach dem Mann zu stoßen. Der Mann lachte auf und versetzte dem armen Tier einen mächtigen Faustschlag, dass das Tier halb betäubte, dann ging er um den Ziegenbock herum und schnitt ihm mit einer geschickten Bewegung die Hoden ab. Das arme Tier schrie vor Schmerzen und Panik auf. Layla stieg wieder der Brechreiz hoch. Der Mann nahm die abgetrennten Hoden und legte sie in eine Schüssel. Dann hob er beide Arme und begann einen Singsang in einer Layla unbekannten Sprache. Dabei begann er zu tanzen, wobei der Tanz sehr ungelenk und unkoordiniert erschien. Der Ziegenbock schrie herzerweichend. Layla hatte Mitleid mit ihm. Das Tier musste unter unerträglichen Schmerzen leiden. Der Mann drehte sich wieder um. Dabei fiel sein Blick auf Laylas Knie. Layla zuckte zusammen, aber der Mann reagierte nicht. Sein Singsang und der Tanz hatten ihn in eine Art Trance befördert. Er nahm anscheinend gar nichts mehr war, außer dem Ziegenbock, seinem Messer und dem Gesang. Abrupt beendete er diesen Gesang und murmelte einige Worte in dieser gutturalen Sprache. Dabei begann er erst sehr leise, wurde aber mit jedem Schritt, den er auf den Ziegenbock zuging, immer lauter. Das Tier begann wieder mit seinen Hörnern nach ihm zu stoßen, fing sich aber nur einen weiteren Faustschlag ein, bevor der Mann das Messer schwang und ihm mit einem einzigen Schnitt die Kehle durchtrennte. Blut spritze aus der Wunde. Der Mann wurde davon getroffen, es schien ihn aber nicht zu kümmern. Ganz im Gegenteil. Entzückt lachte er auf und stürzte sich auf den sterbenden Ziegenbock. Es verbiss sich regelrecht in der immer noch heftig blutenden Kehle. Das Tier versuchte nochmals, sich aufzubäumen, war dazu aber zu schwach. Es verendete, während der Mann ihn immer noch in einer pervers anmutenden Umarmung umschlang. Als sie letzten Zuckungen des gequälten Tieres abklangen, ließ der Mann los. Er war von unten bis oben blutbesudelt. Wie im Gebet mit feierlich erhobenen Armen, stand er vor dem Kadaver. Layla spürte den Krampf in ihrem Hintern wieder, den sie bei der grausamen Zeremonie ganz vergessen hatte. Sie würde es nur noch Sekunden aushalten können. Plötzlich drehte der Mann den Kopf und sah Layla direkt an. Er begann zu lachen und hob wieder sein Messer hoch. Klaustrophobisch versuchte Layla sich zu befreien, aber ihre Muskeln verweigerten ihr den Dienst. Der Mann kam schnell näher. Layla schrie in Panik auf, während es ihr immer noch nicht gelingen wollte, ihren verdrehten, steifen Körper aus der viel zu engen Nische herauszuwinden. Gerade als er mit der freien Hand Layla greifen wollte, öffnete sich explosionsartig die Hintertüre. Die Türe knallte dem Mann mit voller Wucht an den Kopf und warf ihn zurück. Mit einem Sprung war Daniel über ihm und schlug ihm ein großes, massives Holzbrett an den Kopf. Layla konnte hören, wie dabei der Schädelknochen brach. Der Mann blieb bewegungslos liegen. Daniel schaute ihn geschockt an und warf das Holzbrett von sich, das mit einem lauten Knallen zu Boden fiel. Dann übergab sich Daniel. Mittlerweile war es Layla letztendlich doch gelungen, aus ihrem Versteck heraus zu kriechen. Sie war immer noch am ganzen Körper taub, nur in ihrem Hintern, da schienen einhundert Messer von der Größe, wie sie der Mann benützt hatte, zu wüten. Sie legte Daniel die Hand auf die Schulter. Der zuckte zusammen und schluchzte.

      „Ich habe ihn umgebracht!“

      „Nur lass uns doch erstmal kontrollieren, ob er wirklich tot ist und wenn es so ist, dann war es ganz klar Notwehr. Der Kerl hätte mich in Scheiben geschnitten!“

      Layla ging zu dem Mann und suchte an der Halsschlagader einen Puls. Tatsächlich. Sie konnte einen schwachen Puls spüren. Ob er jedoch auch wirklich überleben würde, dass wusste Layla natürlich nicht.

      Daniel zitterte immer noch unkontrolliert und sah Layla mit schockgeweiteten Augen an. Um ihn zu beruhigen, sagte Layla.

      „Er lebt. Mann, muss der eine harte Birne haben!“

      Daniel sah sie immer noch ungläubig an, sah aber schon wesentlich ruhiger aus. Layla sah sich im Raum um. Tatsächlich. Der hintere Teil der Kirche war durch eine nachträgliche eingebaute Wand von der kleinen Kammer, in der sie standen, abgetrennt. Die Kammer war bis auf den Pfahl, vor dem der bedauernswerte Ziegenbock in seinem Blut lag, total leer. Laylas Versteck war gar keine Nische gewesen, sondern war ein einfach ein Teil der nachtäglich eingezogenen Wand, der zu bröckeln begann und bei dem einige Steine fehlten. Der hintere Teil ihrer Nische war dann auch keine Mauer, sondern wie sich später herausstellte ein massiver Holzschrank.

      Layla ging an der Wand entlang, besorgt darauf achtend, weder dem verletzten Mann, noch den toten Ziegenbock anzusehen. Genau am anderen äußersten Ende der Wand, neben dem Eingang, zu welchem der Mann die Kammer betreten hatte, war eine Tür.

      Die Türe war sehr niedrig. Selbst Layla musste sich bücken, um einzutreten. „So stellt man sicher, dass die Leute nur mit gebeugtem Haupt eintreten“ dachte Layla. Ihr war schon lange klar geworden, dass dies keine Holz- oder Möbelgeschäft, sondern der getarnte Tempel einer Sekte war, die hier blasphemischen Rituale durchführte. Layla betrat den Hauptraum und blieb wie angewurzelt stehen. Geschockt rief sie nach Daniel.

      Der Raum war hell erleuchtet. Wahrscheinlich hatte der Mann, als er den Schalter für das Licht im Nebenraum umlegte, auch hier im Hauptraum die Lampen erleuchtet. Layla stand von einem Altar aus geschliffenem Onyx. Der musste ein Vermögen gekostet haben. Auf dem Altar lagen ein toter Hund und ein totes Schaf. Beiden war die Kehle durchschnitten worden. Layla weigerte sich nachzusehen, ob auch diesen armen Kreaturen ebenfalls die Hoden abgeschnitten worden waren. Daher kam also der