Svea Dircks

Tanz der Grenzgänger


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hatte Mr. Perfect empfohlen. Autowäsche, Super-Service, Extra-Vorwäsche. Sie hatte Angst vor Autowaschanlagen, aber der alte Golf war dreckig und sie war dran damit. Mr. Perfect (wie kann man sich nur so einen Namen zulegen?) kam ihr entgegen, lächelnd, schwungvoll, engagiert. Sie war erleichtert und amüsiert zugleich. Er übernahm das Auto, fuhr es auf die Schiene und überliess es dem Programm. Sie mochte nicht darin sitzen, nicht allein. Es war beängstigend, das Getöse, die Bürsten, das Vorwärtsgeschobenwerden.

      Bis heute wusste sie nicht, wie sie ins Gespräch mit diesem Mann gekommen war, es wirkte belebend und persönlich auf sie, absolut nicht alltäglich. Er hatte gemerkt, was für ein Typ sie war, schlug genau die richtige Tonart an. Sie lachten viel. Beide hatten eins gemeinsam: engagiert sein bei dem, was man tut, ob es nun Autowaschen oder Seelenmassage ist. Anders kann man doch nicht leben. Danach fuhr sie nie wieder in eine andere Waschanlage.

      Beim nächsten Mal erkannte er sie, freute sich. Sie musste lächeln. War das ein Trick, um Kunden zu binden? Da waren die Augen, ungewöhnlich in der Farbe, bis heute konnte sie sie nicht beschreiben. Sehr hell, grünlich-golden-klar, eigentlich unpassend zu dem Bild von Mensch, dass sie sich gemacht hatte. Wie alt mochte er sein? Ein jungenhafter Typ, da war das immer schwer zu sagen. Auf jeden Fall eine ganze Ecke jünger als sie, ungefährlich also. Eine Affäre war ausgeschlossen. Sauberes Auto, saubere Angelegenheit. Ungewöhnlich nur, dass ein fremder Mann ihr so viel erzählte. Sie begriff nicht, wovon er sprach. Außerdem war es so furchtbar laut. Sie hatte nicht richtig zugehört, war verwirrt, hielt ihn für einen Wichtigtuer. Aber er hatte auch nach ihr gefragt.

      Welcher Mann fragt schon nach dem Beruf der Frau?

      „Ach, Sie sind Psychologin? Das ist ja interessant. Wie machen Sie das, dass es den Menschen wieder besser geht? Haben Sie da ein Zaubermittel?“ Und sie konnte erzählen, hatte das Gefühl, dass er wirklich zuhörte. Er nahm sich die Zeit. Ja, Zuhören war das Zaubermittel. Welcher Mann hört schon zu, wenn die Frau von ihrem Beruf erzählt?

      Juliane fröstelte. Es war fünf vor elf. Zeit ins Bett zu gehen. Ihr Mann war verreist. Sie genoss die Abende, das Alleinsein. Man konnte in die Luft gucken, ohne den Verdacht zu erregen, komisch zu sein. Gestern Abend hatte sie getanzt, noch spät, barfuß, ganz allein. Heute hatte sie im Garten gearbeitet, Zweige abgeschnitten, Ranken ausgerissen, Moos weggeharkt. Da, es gab doch noch ein Glühwürmchen, ein einziges, das wie ein Irrlicht durch den dunklen Garten geisterte, wer weiß, woher und wohin? Worte und Gefühle spielten mühelos Ping-Pong in ihrem Hirn und wollten aufgeschrieben werden. Sie fischte einen Briefumschlag aus dem Papierkorb und kritzelte mit dem Bleistift hintendrauf:

      Zauberhaft irrt das Glühwürmchen

      Durch den Garten bei Nacht

      Glühend irre ich

      Durch den Zaubernachtgarten

      Irrend glüht die Zaubernacht

      In mir Würmchen

      Kleine Diamanten

      Im dunklen Dickicht des Alltags

      Juliane stand auf. Noch ein letzter Schluck und wieder war ein Tag ihres Lebens vorbei. Gestern war ein besonderer Tag gewesen. Der Schluckauf zwang sie, den Abend zu beenden. Schade. Aber der Körper hat immer Recht. Was zu viel ist, ist zu viel.

      Irgendwann hatte er sich mit seinem richtigen Namen vorgestellt.

      „Bogner, mein Name, Frank Bogner.“

      Juliane Hoffmeister.“ Sie reichten sich die Hände.

      Ein Wort gab das andere, Lächeln, harmloses Spiel, während ihr Polo durch die Anlage geschoben wurde.

      „Haben Sie noch etwas Zeit?“

      „Wieso?“

      „Ich würde Ihnen gern etwas zeigen, hinten in meinem Büro.“

      Sofort meldete sich die Alarmanlage in Julianes Hirn. War das gefährlich? Wollte er auf irgendetwas hinaus? Wohl nicht, hier waren ja viele andere Leute. Sie nickte, eine Mischung aus kitzliger Neugier und drohender Gefahr im Nacken. Sei doch nicht immer so misstrauisch !

      Er fuhr ihr frisch gewaschenes Auto an die Seite, stellte den Motor ab.

      Das Büro lag hinter der Waschanlage, in einem abgewrackten Lagergebäude, schmucklos, nüchtern. Es war überhitzt. Juliane schaute sich um. Akten, Blätter, Briefe, ein Kalender mit halbnackten Frauen an der Wand. Die Fotografie einer Schwarzhaarigen eingerahmt auf einem Regal. Durch eine Türöffnung sah man in einem weiteren Raum eine verlassene Bettcouch, verwühlte Kissen und Decken darauf, eine billige Wanduhr darüber. Ein Ledersessel hinterm Schreibtisch, ein Stuhl davor. Sie nahm Platz auf dem Stuhl Er lehnte sich zurück, sah sie durchdringend an.

      „Ach, ich weiß auch nicht.“ Er druckste rum. „Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ich kenne Sie jetzt schon so lange,...“

      „Sie kennen mich lange? Sie kennen mich kaum!“, wehrte Juliane sich.

      „Naja, ich finde Sie irgendwie sympathisch, man kann mit Ihnen so gut reden“, jungenhaftes Lachen, „da hab‘ ich mir gedacht,... egal“, er winkte ab, „...ich wollte Ihnen was erzählen.“

      Hilfe! Was kommt jetzt? Sie war nicht in der Praxis. Wollte er Probleme abladen? Vielleicht könnte sie ihn als Klienten gewinnen, also erstmal zuhören.

      Mit professioneller Miene, angesiedelt zwischen Interesse und Gleichmut, saß sie in diesem heißen Glaskasten und versuchte, das Chaos auf dem Schreibtisch, die Nacktbilder und das ungemachte Bett nebenan zu ignorieren. Er zog eine Schublade heraus und holte Fotos hervor. Gespannter Gesichtsausdruck.

      „Hier, das ist mein Haus. So sah es früher aus, ... ein ehemaliges Pfarrwitwenhaus. Hab‘ ich alles wieder hergerichtet, war ganz schön verfallen... Das ist der Innenhof, und hier, die Ansicht von der Straße.“

      „Sieht ja sehr akkurat aus... und groß!“ bewunderte sie.

      Es folgten einige Bilder von innen, auf einem war er selber zu sehen, gekreuzte Waffen im Hintergrund an der Wand.

      „Das ist in meinem Büro zuhause. Ich habe eine Waffensammlung. Das ist ein Hobby von mir. Sie wissen ja, dass ich im verkehrten Zeitalter geboren bin.“ lachte er. Sie hatten sich über seine Vorliebe für Rittertum und Helden unterhalten.

      „Jaja, eigentlich müssten Sie säbelschwingend über ein Schlachtfeld galoppieren, statt hier die angestaubten Hochglanzkarossen der Bonzen einzuseifen!“

      Ein bedeutungsvoller Blick!

      „Hier, das ist das Gewölbe unterm Haus, da will ich mir einen Weinkeller einrichten.“

      „Oh , das kann ich mir gut vorstellen. Sieht ja urig aus!“

       Er lehnte sich zurück, wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      „Den Boden muss ich ausheben, sonst kann man darin nicht stehen.“

      Sie sah ihn an. Irgendwas war verändert. Sie sagte nichts.

      Er sprach nicht weiter.

      Dann zog er plötzlich ein Foto hervor. „Passen Sie mal auf, das hab‘ ich da gefunden.“

      Menschliche Knochen, nicht zusammenhängend. Ein Schädel. Kein Rückgrat, aber Beine.

      Juliane war dankbar für ihre gute Ausbildung. Obwohl 1001 Gedanke durch ihren Kopf schossen, - war er doch ein Psychopath, ein Gewalttäter ???, - immerhin besaß er Waffen - was hatte er vor ?, wollte er ein Geständnis ablegen ?, suchte er einen Mitwisser oder hatten die Knochen nichts mit ihm zu tun ? - , blieb sie ganz ruhig und kommentierte einfach, was sie sah.

      „Teile eines menschlichen Gerippes.“

      Bogner beugte den Oberkörper vor, faltete die Hände über dem Papierchaos.

      „Stellen sie sich vor, was das für ein Schock war, als ich darauf gestoßen bin. Das ist schon ein komisches Gefühl.“

      „Glaub‘