Svea Dircks

Tanz der Grenzgänger


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lange in dem Haus – und dann stelle ich auf ein Mal fest, dass da ‘ne Leiche im Keller ist. Die Frage ist doch, wie kommt die dahin?“

      Er nahm ihr die Frage aus dem Mund.

      „Und was haben sie mit dem Gerippe gemacht? Das sind ja einzelne Teile, wie man hier sieht. Wo ist der Rest?“

      „Das ist noch lange nicht alles.“ Er zog ein weiteres Foto hervor, „Skelett ohne Arme, ...

      und hier, noch ein Schädel, ... und hier Beckenknochen, die lagen unter einem Balken.“

      Juliane verschlug es die Sprache. Sie sah eine Reihe Fotos an. Knochen von allen Seiten. Zwischen Feldsteinen, unter einem gemauerten Sockel lag wie eingepasst ein Unterschenkelknochen, lose Rippen im Sand, ein Schädel von allen Seiten, hohnlachend, aberwitzig, seltsam lebendig, wie mit Augen die nicht sehen.

      Das einzige Geräusch im Raum war das Ticken der Uhr von nebenan.

      Ein Brummer stieß von außen gegen die Tür. Immer wieder. So ein Blödmann.

      „Ich weiß auch nicht, wie lange die schon in meinem Keller liegen. Keine Ahnung, was passiert ist.“ Er versuchte das Gespräch wieder aufzunehmen.

      „Haben Sie auch Särge gefunden? Oder Kreuze? Vielleicht war der Friedhof früher da, wo jetzt Ihr Haus steht.“

      Es musste irgendwas gesagt werden. Die Zunge klebte ihr am Gaumen. „Haben Sie vielleicht einen Schluck Wasser für mich?“

      Er stand auf. Im Nebenraum klappte eine Kühlschranktür. Mit zwei Gläsern und einer Flasche Mineralwasser kam er zurück, goss ein und setzte sich wieder.

      Im Märchen von Graf Blaubart findet die jüngste Tochter im Keller hinter der verbotenen Tür lauter Frauenschädel, ein Schicksal, das auch sie erwarten würde, käme sie nicht vom Blaubart los. Juliane versuchte zu spüren, ob ihr Körperempfinden ihr eine Warnung übermitteln wollte, aber es regte sich nichts. Das kalte Wasser tat gut.

      „Das habe ich noch niemand erzählt, nur meiner Frau - und die will davon nichts wissen. Die würde alles in den Container befördern.“, hörte sie ihn reden. „Ich bin noch dabei, die anderen Teile zu suchen. In meiner Freizeit grabe ich Stück für Stück um, jetzt natürlich vorsichtiger als früher. Wissen Sie, für mich sind das nicht einfach Gerippe, die man mit dem Bauschutt zusammen auf die Müllhalde bringt. Ich bin zwar ein moderner Mensch, aber irgendwie hab ich sowas wie Ehrfurcht, Achtung, verstehen Sie, was ich meine? Ich ... , das war doch mal ein Mensch wie Sie und ich, ... man muss den doch irgendwie zusammensetzen, ganz machen. Und dann begraben oder so, wo er seine Ruhe hat, bestatten, stattlich, würdevoll. Und ich mag auch nicht über Leichen gehen, wenn ich mir eine Flasche Wein hole.“

      „Das ist ganz schön unheimlich ... und trotzdem, beeindruckend, wie Sie das so sagen ...“ , sie legte die Fotos aus der Hand.

      Er kratzte sich am Kopf. „Wollen Sie nicht mal kommen, sich das ansehen?“

      Sie sah überrascht auf. Warum sollte sie das tun?

      „Ich weiß nicht. Wissen Sie, wie alt die Knochen sind?“

      „Ich hoffe, dass sie sehr alt sind. Sonst fällt womöglich Verdacht auf mich. Meinen Sie, die Kripo kommt ins Haus?“

      Julianes Fantasie überschlug sich. Fantasie war mehr Fluch als Segen. Vielleicht war er ein Grabschänder. Hatte ein absurdes Hobby. Zelebrierte grausige Kulthandlungen. Als Therapeutin hatte sie gelernt, auf verschiedenen Ebenen wahrzunehmen, Hypothesen zu erstellen und gleichzeitig emotional die Contenance zu behalten, deswegen hörte sie sich trotz ihrer Hirngespinste ganz sachlich sagen:

      „Ich glaube, das müssen Sie nicht fürchten ..... Die werden vielleicht untersuchen, wie lange das Skelett, bzw. die Teile davon schon bei Ihnen im Keller liegen. Vielleicht können die Archäologen ja das genaue Alter feststellen. Moment mal, Sie sagten vorhin ‚Pfarrwitwenhaus‘. Haben die etwa damit was zu tun? Es gab doch diesen Pastor hier in der Gegend, der seine Frau erschlagen hat. Es könnte gut sein, dass die Pfarrwitwen auch mal zuschlagen.“

      „Na, der Mann von ‘ner Witwe ist doch schon tot. Wen sollte sie sonst erschlagen?“

      „Wer weiß?“ Beide lachten. Der Bann war gebrochen, das Unheimliche verflüchtigte sich.

      Allgemeinplätze. Small Talk. Nach einer Weile erhoben sich beide und gingen zu Julianes Auto. Sie war auf eine neue Weise irritiert. Warum erzählt er mir das alles? Wie immer, wenn sie sichergehen wollte, verlegte sie sich auf die analytische Rolle, sachlich distanziert.

      Die Begegnung zwischen Tod und Leben hatte sie immer schon fasziniert. Neugierig war sie, eine Grenzgängerin. In unbekanntes Terrain hinein tasten. Das hatte er wohl gewittert.

      „Ich glaube, ich würde mir das gern mal anschauen.“ Sah ihn nachdenklich an, überlegte fieberhaft.

      „Ja, kommen Sie, rufen Sie vorher kurz an.“

      Sie genierte sich über ihre plötzliche Courage und wollte sich absichern. „Ich spreche erst mal mit meinem Mann, wann er Zeit hat. Dann kommen wir zusammen.“

      So waren die Verhältnisse klargestellt. Juliane fühlte sich besser.

      „Haben Sie meine Telefonnummer?“ fragte er. „Hier, ich schreibe Ihnen auch die Handy-Nummer auf. Für alle Fälle, falls Sie Fragen haben oder so.“

      Sie gab ihm ihre Visitenkarte, es war ihr alles etwas peinlich, aber sie tat souverän, schlug die Autotür zu, hob die Hand und lächelte.

      Es hatte dann nicht geklappt. Zuviel Termine, ihr Mann war nicht begeistert und so wichtig war es auch nicht gewesen. Aber dann hatte Bogner bei ihr angerufen, er habe etwas Neues gefunden. Und bald käme Beton darüber. Sie solle sich beeilen. Daraufhin hatten sie sich an seiner Waschanlage verabredet. Er wollte eigentlich vor ihr her fahren, um ihr den Weg zu zeigen. Naja, es war alles anders gekommen.

      ****

      Krass! Ein Blick auf’s Außenthermometer zeigte 29°, dabei war es schon Abend. Angenehm kühl im Inneren des Chevrolet. Lässig und selbstzufrieden lehnte er sich zurück. Er konnte mit dem Knie steuern, der Tempomat tat das Übrige. Angenehm, ja , er hatte die Möglichkeit, sich sein Leben angenehm einzurichten. Er schob noch einmal die CD mit den mystischen Songs ins Fach und drehte auf volle Lautstärke.

      Gerade hier, an der ehemaligen Grenze, am großen Graben, waren sie ausgestiegen und er hatte ihr seine Heimat gezeigt. Er fuhr über die Brücke. Vor der Wende war hier der Todesstreifen gewesen, Sumpfland, kontrolliert durch russisches Radargerät. Es gab kein Entrinnen. Wie war er nur dazu gekommen, ihr von der Sehnsucht zu erzählen, die er als Junge gehabt hatte? Das weite Land, durchgeschnitten. Drüben sah man die Fensterscheiben im Abendlicht glänzen. Zum Greifen nah war die Freiheit gewesen und doch unerreichbar. Wie er das System gehasst hatte.

      Sie hatte ihm zugehört, nicht mitleidig, zum Glück, naja, sie war ja auch geschult im Zuhören. Trotzdem, soviel Interesse an seiner Person hatte er selten erlebt. Mücken und Bremsen hatten ihn attackiert. Er hatte mit den Armen um sich geschlagen, ohne Erfolg. Sie war ruhig geblieben: „Eine Bremse sitzt auf Ihrem Hemd. Wenn ich sie erschlage, wird Ihr Hemd blutig.“ Sie hatte nicht geschlagen. Mit einem leichten Fächeln entfernte sie die Bremse. Dann waren sie weiter gefahren. Er zeigte auf Hügel und nannte sie beim Namen. „Da, eine Kirchturmspitze genau am Ende der Straße. Gucken Sie mal in den Rückspiegel, da ist auch eine.“ Sie war verblüfft gewesen. Kilometerlange gerade Straße durch die Hügel des Ostens, vorne und hinten eine Kirche. Wie Zeigefinger und Wachtturm, bloß freundlicher. Vielleicht war Gott doch da gewesen.

      Er hatte es jedenfalls ohne Gott geschafft. Rauszukommen aus dem System, aus seinem alten Beruf. Der Job lief gut. Sein Haus konnte sich sehen lassen. Nicht wie die anderen im Dorf, an denen nur notdürftig der Verfall beseitigt war. Er war eben auch in diesen Dingen formvollendet. Er hatte genügend Geld, für jeden Tag in der Woche ein anderes Auto, Frau und Kinder und einen Hund. Viel Arbeit, na klar. Jetzt war er dabei, sich einen Weinkeller einzurichten.

      Während