Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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daran, wie uns die Orokòr gejagt und welche Angst wir ausgestanden haben?" Akandra war schon wieder wütend auf Marc. „Willst du endlich mit diesen Spinnereien aufhören?"

      „Du wirst die Waffen benötigen“, sagte einer der Älteren schlichtend. „Und du wirst mit diesen Waffen töten, um nicht getötet zu werden."

      „Ja“, bekräftigte die Grafentochter noch einmal, „was sein muss, wird getan!"

      Zuletzt wurden die Erits noch mit Kleidern, die sie vor Hitze und Kälte schützen sollten, ausgerüstet. Die Muscheln verstauten die jungen Leute in weichen Umhängetaschen. Schwert und Hammer befestigte Marc an seinem Gürtel, während Akandra sich Bogen und Köcher um die Schultern hing. Das Messer verbarg sie unter ihrem Kleid am Oberschenkel. Dann waren sie bereit zum Aufbruch.

      „Es fehlt noch etwas“, sagten die Älteren und führten die beiden über lange Wendeltreppen in noch tiefere Regionen der Unterwelt. Dort lagen in hohen Gewölben Schätze. Das Gold vieler Völker aus vielen Jahrtausenden war hier gestapelt und aufgehäuft. Aber nicht nur Gold und Silber wurden dort aufbewahrt, man sah auch Muscheln, Edelsteine und Münzen, die irgendwann einmal für ihre Besitzer sehr wertvoll gewesen waren. Mit diesen Schätzen hätte man alle Länder der Erde kaufen können. Fassungslos standen die Erits vor dem unermesslichen Reichtum.

      „Nehmt euch was ihr braucht“, sagten die Älteren. „Aber bedenkt, wenn ihr zu viel davon mit euch herumschleppt, wird das Geld eine Last, die euch am Fortkommen hindert. Nehmt ihr aber zu wenig, so kann es sein, dass es euch gerade in dem Augenblick fehlt, in dem ihr es am nötigsten braucht. Wenn ihr zu große Münzen und zu wertvolle Stücke einpackt, dann fehlt euch etwas für kleine Belohnungen. Man kann nicht jeden Dienst, der einem erwiesen wird, mit einem Goldstück bezahlen, ohne dass sich dieses Ereignis wie ein Lauffeuer im ganzen Land herumspricht. Nehmt ihr aber zu viele geringe Geldstücke, dann tragt ihr eine schwere Last, und doch wird euer Reichtum bald aufgebraucht sein. Sich mit Schätzen richtig einzudecken, ist schwer. Überlegt und wählt gut!"

      Die Erits füllten nach kurzer Beratung ihre Taschen nur mit funkelnden Goldstücken und einigen großen Silbermünzen, denn Akandra vertrat die Meinung, dass man das Geld unterwegs zurücklassen könnte, wenn es zu schwer würde, und Wechselgeld würde sich von selbst ansammeln. Aber, was man habe, das habe man. Später gebe es keine Möglichkeit mehr, die Vorräte zu ergänzen. Schädlicher wäre es, zu wenig mitzunehmen als zu viel. Sie kehrte sogar noch einmal zurück mit zwei Satteltaschen und füllte auch sie mit Gold.

      „Ich hoffe, dass eure Überlegungen richtig sind, und das Geld für euch nicht zu einer gefährlichen Last wird“, bemerkten die Älteren warnend.

      Endlich war alles gerichtet und zum Aufbruch bereit. Das Herz wurde den jungen Leuten schwer, und sie stellten die Frage, wie sie wieder nach oben kämen. Der Gedanke an die lange Treppe schreckte sie.

      „Nur ein Weg führt in unsere Welt hinein, aber viele hinaus. Die Treppe bleibt euch erspart."

      Die Älteren reihten sich noch einmal zu einer Prozession auf. Voraus gingen die Frauen, dann kamen Marc und Akandra, am Ende folgten die Männer. Es wurde kein Wort gesprochen, bis sie endlich zu einem langen Gang kamen. Er war dunkel und schien tief in das Unergründliche zu führen. Zwei Ponys von der Art, die Erits gerne reiten, standen dort. Sie waren gesattelt und scharrten ungeduldig mit den Hufen.

      Die Abenteurer knieten nieder, und die Älteren gaben ihnen ihren Segen. Dann kam der Abschied mit Küssen und vielen guten Wünschen. Alle hatten Tränen in den Augen. Vater und Mutter blieben zurück, während die Kinder in die Welt zogen. Die jungen Leute kletterten auf die Rücken der Ponys und trabten los. Im Gang leuchtete ein schwaches Licht, das sie begleitete, bis sie das Tageslicht wiedersahen. Marc und Akandra ritten sieben Tage. Der Gang war breit und gerade und stieg stetig an. Hin und wieder rasteten sie, schliefen und aßen von den Vorräten, die sie in den Satteltaschen fanden. Auch Heu für die Pferde war vorhanden. In Abständen rann Wasser die steinernen Tunnelwände herab, von dem sie tranken. Am achten Tag sahen sie weit vor sich einen Lichtschimmer und gaben den Pferden die Sporen. Im Galopp jagten sie auf das Ende des Ganges zu. Dann standen sie im blendenden Licht der Sonne.

       Süden

      

      

       Akandra und Marc haben von den Älteren den Auftrag erhalten, nach Osten zu reisen. Sie sollen dem König der Rutaner die Zauberkette abnehmen und damit ihn und sein Volk aus dem Bann der Vespucci befreien. Gelingt dies, so wird das Kräftegleichgewicht zwischen den beiden so verschiedenen Völkern wiederhergestellt. Dann werden die Vespucci von ihren Nachbarn in Schach gehalten und können sich nicht mehr um Centratur kümmern. Ihr Eroberungswille wird gedämpft. Ohne den Einfluss der Glatzköpfe lässt aber auch die Macht des Zauberkönigs Ormor nach. Die Menschen in Centratur können dann ihn und seine ihm treu ergebenen Völker besiegen.

       Wie schlimm die Zustände auf dem Kontinent bereits sind, erlebt eine Reisegesellschaft, die tief im Süden unterwegs ist. Ihre Mitglieder haben sich zufällig getroffen und wandern auf der Alten Südstraße zur Pforte von Equan.

       Die Reisegesellschaft

      

      Es regnete seit Tagen. Sie waren durchfroren und sehnten sich nach etwas Wärme. Doch das nasse Holz wollte trotz aller Mühe, die sie sich gaben, nicht brennen. Sie hatten die unteren Äste der niederen Tannen, die immer trocken bleiben, abgehackt und sich dabei Arme und Gesicht zerkratzt. Bevor sie aber mit Feuerstein und Zunder ein kümmerliches Flämmchen erzeugen konnten, war das trockene Holz vom Regen so durchnässt, dass selbst Blasen und andere Bemühungen fruchtlos blieben.

      „Wir werden wohl wieder kalte Bohnen essen müssen, dabei hängt mir dieser Fraß zum Hals heraus."

      „Du wirst dich noch nach kalten Bohnen sehnen, es gibt nämlich keine mehr. Die letzten haben wir heute Mittag gegessen und neue können wir nicht kochen."

      „Ich habe aber einen Riesenhunger und friere mir den Hintern ab. Eine warme Suppe und ein Becher Tee wären das Schönste, was ich mir vorstellen kann." Galowyn klapperte mit den Zähnen und war ganz blau im Gesicht. „Und dann dieser ewige Regen! Vorgestern Regen, gestern Regen, heute Regen, morgen Regen! Ich hasse Regen. Warum gibt es nichts Ordentliches zu essen? Du bist meine Dienerin! Du hast dafür zu sorgen, dass es mir gut geht. Die Grundlage allen Wohlbefindens aber ist das Essen. Also tue etwas! Besorge etwas Gutes."

      „Als deine Dienerin würde ich das sicherlich versuchen und mich sogleich quer durch Centratur auf den Weg machen. Aber ich bin nicht deine Dienerin. Dienerinnen werden nämlich bezahlt. Ich aber habe schon seit Monaten keinen Heller mehr gesehen. Du hast zurzeit keine Dienerin, wann kapierst du das endlich?"

      „Mit dem Hinweis auf das Geld versuchst du nur, deine Unfähigkeit zu entschuldigen. Du bist die schlechteste Dienerin, die ich jemals hatte."

      „Dienerin? dass ich nicht lache! Du hattest nie Dienerinnen, sondern immer Sklavinnen. Wer sich nicht versklaven lassen wollte, lief von dir weg, so rasch es ging."

      „Kommt schöne Frau, wir kriechen unter den Wagen, da ist es wenigstens halbwegs trocken." Eine ruhige Stimme versuchte den Streit zu beenden. Die Worte kamen von einer seltsamen Gestalt. Sie war lang und spindeldürr. Schüttere Haare umrahmten ein eingefallenes Gesicht mit rotem Bart.

      „Ihr solltet ganz ruhig sein! Wer hat mir seit Tagen versprochen, dass wir in der kommenden Nacht ein Dach über dem Kopf haben würden?" Die Angriffslust der Dame hatte ein neues Ziel gefunden.

      „Sicher, ich habe gesagt, dass wir nach Rudia und damit in bewohnte Gebiete und zu Menschen kommen werden. Ich konnte nicht wissen, dass sie die Stadt vor uns verrammeln."

      „Ach, das lag doch nur an Euch. Die haben Euch gesehen und das Schlimmste vermutet. Nur Euretwegen bekamen wir kein Quartier. Ich will Euch etwas gestehen, wenn ich an Stelle der Leute gewesen wäre, hätt’ ich Euch auch nicht rein gelassen."

      Der hagere Mann war beleidigt: „Niemand