Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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bestimmt. „Von diesem Pack lasse ich mich nicht aufhalten.“

      „Auch ich sehe keinen Grund, die Alte Südstraße zu verlassen“, fügte Aramar hinzu. „Nur auf ihr kommen wir rasch durch diese öde Gegend nach Equan.“

      Allen war klar, dass mit den Soldaten aus Strawen nicht zu spaßen war. Dennoch setzten sie den freudlosen Marsch fort. Am Abend gelang es ihnen, im Schutz eines Felsblocks ein Feuer zu entzünden. Sie rösteten gerade ein wenig von dem ausgetrockneten Brot, da bekamen sie noch einmal Gesellschaft. Zuerst hörten sie das Schreien eines Säuglings und eine Männerstimme, die flüsternd um Ruhe bat. Die Gegend sei gefährlich und das Kind werde Räuber und Mörder auf sie aufmerksam machen. Dann keifte eine Frau, er, der Mann, sei an allem schuld. Er habe sie bei diesem Wetter in die Einöde geführt. Er trage die Verantwortung für alle Krankheiten, die sie höchstwahrscheinlich bekämen.

      Glaxca stand im Regen Wache, die anderen saßen unter der Plane des Wagens. Sie sahen sich an und schmunzelten.

      „Vorsicht“, mahnte der Goldgräber. „Dies kann auch eine List von Feinden sein.“

      „Ich glaube nicht“, sagte Aramar und erhob sich. Er trat aus dem Lichtschein und lief den Streitenden entgegen. Als er kurze Zeit später zurückkam, war er in Begleitung einer ganzen Familie. Die Frau war noch jung und trug auf den Armen ein schreiendes Mädchen, der Mann hatte schon graue Haare und zog einen Leiterwagen hinter sich her. Darauf lag noch ein Kind, das aber schlief.

      Es waren Bauersleute, wie sich herausstellte, die einen Hof in einem Tal des Thaurgebirges gehabt hatten. Räuber waren gekommen und hatten ihn angezündet. Zwar konnte sich die Familie rechtzeitig verstecken und ihr Leben retten, aber sie verlor all ihre Habe. Nun waren sie auf dem Weg nach Westen. Dort hatte der Mann Verwandte, und dort hofften sie unterzukommen.

      Die Frau war mit diesem Plan überhaupt nicht einverstanden. Sie hatte bleiben und den Hof wiederaufbauen wollen. Erst durch die Flucht, so klagte sie, hätten sie wirklich alles verloren. Nun seien sie bettelarm. Und weil sie am Klagen war, fuhr sie gleich fort und fragte, warum sie überhaupt geheiratet und zwei Bälger bekommen habe? Da wäre sie doch besser Magd geblieben. Nun habe sie einen alten Mann und seine Kinder am Hals, aber keinerlei Besitz. Der Bauer versuchte sie zu beruhigen, aber die ganze Nacht hindurch ging der Streit weiter, und alle in der Reisegruppe waren froh, als die Familie am nächsten Tag weiterzog.

      Durch den Regen war die Alte Südstraße so aufgeweicht, dass die Räder des Wagens immer häufiger tief einsanken. Das Maultier kam dann nicht weiter, und alle mussten in die Speichen greifen, um das Gefährt wieder flott zu machen. Sie waren durchnässt und mit Schlamm beschmiert, als ihnen eine Karawane gegen Nachmittag aus Süden entgegenkam. Voraus ritten Soldaten und ihr Befehlshaber, der sie am Vortag von der Straße gescheucht hatte. Dann folgte eine Sänfte, die zwischen vier Pferden hing, dahinter liefen Diener mit großen Gepäckstücken auf den Schultern, und endlich kamen wieder Soldaten als Nachhut. Die Sänfte war prächtig geschmückt. Sogar den Pferden hatte man Federbüschel an ihre Halfter gesteckt, die nun allerdings schlaff und nass herunterhingen. Doch der Glanz war sogar in diesem Unwetter noch sichtbar.

      „Jetzt gibt es Ärger“, murmelte der Zauberer.

      Tatsächlich trabte der Anführer der Soldaten sogleich auf sie zu. Er hatte seine Lanze gesenkt und fragte mit kalter Stimme, was sie hier noch zu suchen hätten. Urial trat vor, stellte sich hoch erhobenes Hauptes vor das Pferd und rief, er habe das Recht diese Straße zu benutzen. Nun eilten die anderen Soldaten auch herbei. Waffen wurden auf beiden Seiten gezogen, und in der Sänfte der Vorhang ein wenig beiseitegeschoben. Neugierige Augen beobachteten das Geschehen. Worte flogen hin und her. Der Kampf würde gleich beginnen. In diesem Augenblick wurde die Klappe der Sänfte weit geöffnet, eine gebieterische Stimme gebot Einhalt und dann wälzte sich ein ungeheuer dicker Mann heraus. Er sprang ächzend auf den durchweichten Boden und ging auf die sich gegenüberstehenden Gegner. Diese hatten innegehalten und verfolgten das Schauspiel. Der Mann war bunt gekleidet, trug kostbare Pelze und teure Tuche. Seine Füße steckten in weißen Schuhen, die sofort vom Schlamm beschmutzt wurden. Ohne zu zögern durchquerte der Koloss die feindliche Linie und achtete nicht auf die gezogenen Schwerter in den Händen der Gegner.

      Geradewegs schritt er auf die Frauen zu und rief mit Donnerstimme: „Galowyn, meine Liebe! Wie schön, dass ich dich treffe.“

      Nachdem die Sängerin ihr Erstaunen überwunden hatte, tat sie einen Schrei und flog in die Arme des seltsamen Mannes.

      „Orasnika, was tust du hier?“

      Er hielt sie mit beiden Händen an der Taille und schob sie ein wenig von sich, um sie besser betrachten zu können. Der Frau klebten die Kleider am Körper und die Haare am Kopf. Hände und Gesicht waren mit Dreck beschmiert. Sie sah heruntergekommen und müde aus. Der Mann vor ihr, glänzend und frisch, rief nun mit seiner Donnerstimme: „Galowyn, warum hast du mich damals verlassen?“

      „Ach, du Dummer, das ist doch schon viele Jahre her.“

      „Ich habe dich niemals vergessen.“

      „Auch ich habe oft an dich gedacht.“

      Er nahm sie in die Arme, und seine prachtvollen Kleider wurden durch die ihren nass und schmutzig. Es kümmerte ihn nicht. Nach wiederholten Begrüßungsworten und Umarmungen mischte sich Aramar ein: „Es ist immer schön, wenn sich alte Freunde treffen. Aber wir stehen hier im Regen und wissen nicht, ob wir uns nun gegenseitig umbringen sollen. Könntet Ihr uns wenigstens diesbezüglich einen Hinweis geben?“

      Da wandte sich der Koloss um, ohne die Sängerin loszulassen, und gab den Soldaten einen herrischen Wink. Auf Befehl von Orasnika wurden Zelte aufgestellt und Wein und köstliche Speisen ausgepackt. Schließlich saßen alle auf Feldstühlen, während ihr Gastgeber auf einer Truhe Platz genommen hatte. Sein Bauch quoll zwischen seine Oberschenkel. In den riesigen Pranken hielt er ein Hühnerbein und nagte daran. Um Zelt, Wagen und Sänfte hatten die Soldaten einen Kordon gezogen. Sie saßen im Regen auf ihren Pferden und bewachten aufmerksam die Straße.

      „Ich frage dich noch einmal, geliebte Galowyn, warum bist du damals von mir gegangen?“ Orasnika kaute auf beiden Backen und ein wenig Fett lief ihm aus den Mundwinkeln.

      „Wie schade, dass du dich nicht mehr erinnerst, Orasnika! Du hattest damals zwei neue Freundinnen und sagtest voller Liebe, ich solle verschwinden und dir nicht länger die Haare vom Kopf fressen. Nun, da bin ich gegangen.“

      „Man sagt so viel und meint es nicht so. Wer wird denn jedes Wort auf die Goldwaage legen! Wir waren doch beide vertraut, und ich wollte dich ein wenig necken. Nie hätte ich geglaubt, dass du tatsächlich gehst. Du warst meine große Liebe.“

      Aramar, dessen Geduld mehr als erschöpft war, mischte sich ein: „Wohin seid Ihr unterwegs?“

      „Oh, in Geschäften! In wichtigen Geschäften!“

      „Und wohin führen Euch diese Geschäfte?“

      „Nach Norden! Weit nach Norden!“

      Als sich Stille im Zelt ausbreitete und Orasnika merkte, dass seine Gäste ihn sehr seltsam ansahen, sagte er mit veränderter Stimme: „Warum soll ich es Euch nicht sagen! Es ist schließlich kein Geheimnis. Wir reisen zum Zauberkönig. Ormor hat mich rufen lassen, um mit mir Geschäfte zu machen. Deshalb hat er mir auch eine Eskorte geschickt. Ihr müsst wissen, dass man bei mir die besten Waffen Centraturs bekommt. Ich liefere nur Qualität. Die allerdings hat ihren Preis.“

      „Wozu braucht Ormor so viele Waffen?“

      „Was weiß ich? Es ist mir auch gleichgültig. Kümmert sich der Müller darum, ob Kuchen oder Brot mit seinem Mehl gebacken werden?“

      „Mehl ist zum Töten ungeeignet“, sagte Fallsta rasch.

      „Da habt Ihr Recht! Das ist gut! Diesen Scherz muss ich mir merken!“ Der fette Mann lachte und prustete und spuckte ein wenig von dem Hühnerbein im Zelt herum.

      Dann kam der Aufbruch und Orasnika sagte bedauernd zu der Sängerin: „Ich kann dich leider nicht mitnehmen, meine Liebe. Aber wir werden uns wiedersehen, denn wir sind