Detlef Wolf

Sail Away


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war ein stattlicher Hüne, schätzungsweise Anfang sechzig mit vollem, grau meliertem Haar und einem gewaltigen Schnauzer, der verschmitzt lächelnd aus seiner tadellos sitzenden Uniform herauslugte.

      „Mein Name ist übrigens Gabor“, sagte er nach einer Pause. „Vorname Willy. Von Geburt Österreicher, jetzt Weltbürger. Ich fahre seit dreißig Jahren auf Kreuzfahrtschiffen und bin seit fuffzehn Jahren Hoteldirektor auf den Schiffen unserer verehrten Reederei.“

      „Na, dann kennen Sie sich ja reichlich gut aus“, antwortete Martin, sprang auf und streckte Gabor die Hand hin. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Und ich freue mich noch mehr, daß mir einer mit ausreichend Erfahrung zur Seite steht. Denn von den Sitten auf einem Fleisch…, hrm, einem Kreuzfahrtschiff hab ich echt keinen blassen Schimmer. Ich hoffe, Sie können mir das beibringen.“

      Gabor nahm Martins Hand und drückte und schüttelte sie. „Kann ich und werde ich. Und darum nochmal, ich heiße Sie auf der “Hanseatic“ ganz herzlich willkommen. Zum “Gesellschaftslöwen“ kann ich Sie machen, Herr Schöller. Das Schiffchen fahren müssen Sie aber schon alleine.“

      „Ach, das soll mein geringstes Problem sein“, winkte Martin ab. „Ich sag ja, Ihre “Hanseatic“ ist ein gutes Stück übersichtlicher als die gute, alte “Essen-Express“, auf der ich bis jetzt gefahren bin. Wann soll’s denn eigentlich losgehen?“

      „Soweit ich weiß, müssen wir den Liegeplatz bis spätestens Mitternacht geräumt haben. Aber das müssen Sie mit Ihren Offizieren besprechen. In siebzehn Tagen wär’s gut, wenn wir dann in Papeete auf Tahiti ankommen würden, diese Reise planmäßig zu Ende geht und von wo aus die Törns planmäßig weitergehen sollen. Wie’s dazwischen aussieht, darüber müssen wir noch reden.“

      „Hm“, machte Martin, sah auf seine Armbanduhr und dachte einen Moment nach. „Also gut. Dann schlage ich vor, wir legen um dreiundzwanzig Uhr ab. Jetzt ist es kurz vor sechs, das gibt mir genügend Zeit, mich bei der Besatzung vorzustellen und mit denen auszumachen, wohin wir überhaupt fahren.“

      Gabor klatschte in die Hände. „Ausgezeichnet. In weiser Voraussicht habe ich alle Passagiere schonmal für einundzwanzig Uhr an Bord zurückbestellt, die Besatzung schon gleich um achtzehn Uhr. Und für einundzwanzig Uhr dreißig steht die Begrüßung des Kapitäns auf dem Programm. Das dürfte sich zeitmäßig ausgehen.“

      „Die Was steht auf dem Programm?“ Martin sah den Hoteldirektor entsetzt an.

      „Die Begrüßung der Passagiere durch den Kapitän“ erklärte Gabor. „Die Leute wollen schließlich wissen, wie das hier jetzt weitergeht und, viel wichtiger noch, wer denn jetzt der neue Kapitän ist. Was haben Sie denn gedacht?“ Er legte Martin beruhigend die Hand auf die Schulter. „Aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Ich helfe Ihnen natürlich. Nur die Begrüßung, die müssen Sie schon alleine machen.“

      Martin pustete die Backen auf. „Mein lieber Scholli, da haben die Hamburger mich ja vielleicht in was reingeritten.“

      Lachend gab der Hoteldirektor seinem neuen Kapitän einen Klaps auf die Schulter.

      „Nehmen Sie’s nicht so schwer, Herr Schöller. Kommen Sie, ich bringe Sie jetzt mal auf die Brücke.“

      ***

      Genau dreieinhalb Stunden später betrat Martin mit seinen Offizieren und dem Hotelmanagement im Schlepptau die Bühne der Explorer Lounge, des größten Gesellschaftsraumes an Bord der Hanseatic. Die Lounge war bis auf den letzten Platz besetzt. Alle einhundertdreiundfünfzig Passagiere waren gekommen, um sich den neuen Kapitän anzusehen. Was man vom ihm zu halten hatte, wußte man inzwischen bereits. Martins Auftritt nach seiner Ankunft hatte sich herumgesprochen. Der Neue war ein stoffeliges, arrogantes Bürschchen, das nicht einmal ordentlich ‚Guten Tag‘ sagen konnte. Obwohl, einigermaßen fesch sah er ja schon aus in seiner Uniform, das mußte man zugeben. Eine Kapitänsuniform war das allerdings nicht, in der er steckte. Dreieinhalb Streifen nur. Die Kreuzfahrterfahrenen hatten es sofort bemerkt. Was das wohl jetzt wieder zu bedeuten hatte?

      Martin stellte sich an den vorderen Rand der Bühne und wartete, bis die Anderen um ihn herum Aufstellung genommen hatten. Er blinzelte in die auf ihn gerichteten Scheinwerfer.

      „Ich weiß nicht ob das Absicht ist“, begann er, als das allgemeine Gemurmel sich gelegt hatte, „aber diese dämlichen Lampen blenden mich dermaßen, daß ich Sie von hier aus überhaupt nicht sehen kann.“

      Er trat von der Bühne herunter ein Stück auf die davorliegende Tanzfläche, aus dem Bereich der Scheinwerfer heraus. Von dort aus sah er in die Runde. Erwartungsvolle Gesichter allenthalben.

      „So, jetzt kann ich Sie auch sehen. Sie mich vielleicht nicht mehr ganz so gut, aber bei meiner mangelnden Schönheit dürfte das kaum ein Problem darstellen.“

      Vereinzelt wurde gelacht. Verhalten zwar, aber immerhin.

      „Mein Name ist Martin Schöller und aufgrund eines unerfindlichen Ratschlusses der Hohen Priester unserer verehrten Reederei hat man mich zum neuen Kapitän auf Ihrem wunderschönen Schiff bestellt.“ Er streckte die Arme aus. „Wie Sie vielleicht an der Anzahl und der Größe der Kolbenringe hier auf meinen Ärmeln gesehen haben, bin ich eigentlich gar keiner. Jedenfalls war ich noch keiner, als ich vor einigen Stunden hier ankam. Ich hatte nämlich nicht den Hauch einer Ahnung, was mich hier erwarten würde. Den hab ich zwar jetzt, viel mehr aber auch nicht. Immerhin hat sich inzwischen die Schneiderin an Bord bereiterklärt, die Sache mit den Kolbenringen über Nacht in Ordnung zu bringen. Das ist ja schonmal ein Anfang. Was den Rest angeht, nun, darüber werden wir noch zu reden haben. Zumindest weiß ich schon, wann wir hier losmachen und wohin wir als nächstes fahren.“

      Er sagte es ihnen. Dann gab er einige Erklärungen zu seiner Person und bat um Entschuldigung für seinen verpatzten Auftritt am Nachmittag. Je länger er redete, desto öfter wurde er von Beifall unterbrochen. Vor allen Dingen bei der Vorstellung seiner Offiziere, deren Namen er von einem Zettel ablas, den Gabor ihm vorher zugesteckt hatte. Als er den Leitenden Ingenieur vorstellte, wies er mit dem Daumen auf ihn, nannte seinen Namen und sagte dann:

      „Also, das ist der Chief hier an Bord. Blöd, daß ausgerechnet ich den vorstelle. Ich kenn den Typ überhaupt nicht. Als ich vorhin kurz unten in der Maschine war, hat er sich wohlweislich hinter seinen Dieselmotoren verkrochen, und ich hab ihn gar nicht gefunden. Aber ich geh mal davon aus, daß er der Chief ist. Er riecht nämlich genau so wie der Chief auf der “Essen-Express“, nur daß der hier ein dezenteres Parfüm benutzt, um den unvermeidlichen Duft von Maschinenöl zu übertünchen, der allen Chiefs der Welt immer und ewig anhaftet.“

      Die Leute prusteten los und applaudierten. Mehr und mehr schienen sie sich für den neuen “Alten“ zu erwärmen. Als er dann zum Schluß kam, hatte er die meisten von ihnen auf seiner Seite. Er stellte sich neben den Hoteldirektor.

      „So, verehrte Gäste, und den hier habe ich mir bis zum Schluß aufgehoben. Willy Gabor, unser Hotelmanager. Sie kennen ihn längst, und ich jetzt auch. Eigentlich sollte er Theodor mit Vornamen heißen, das Gottesgeschenk. Denn sowas Ähnliches ist er. Für mich jedenfalls, weil er mich so nett und freundlich empfangen hat und mir erstmal kräftig aus der Bredouille rausgeholfen hat. Deshalb bin ich auch zuversichtlich, daß wir eine schöne Reise haben werden. Ob das eine Expeditionskreuzfahrt werden wird, das weiß ich noch nicht. Aber eine Abenteuerreise wird’s auf jeden Fall, das kann ich Ihnen schonmal versprechen. Für mich jedenfalls. Und darauf möchte ich jetzt mit Ihnen anstoßen.“

      Der Beifall, den es diesmal gab, war lang anhaltend. Martin prostete den Leuten zu, nahm einen winzigen Schluck aus seinem Glas und verließ dann zur Musik der Bordkapelle durch die Reihen der immer noch klatschenden Passagiere die Lounge. Draußen sprach ihn der Chief an.

      „Ist es wirklich wahr, daß ich so nach Maschinenöl rieche, Käpt‘n?“

      Martin sah ihn an und lachte. „Quatsch. Sie doch nicht. Aber unser Chief, der hat. Erbärmlich. Wenn Sie mit dem im Schlepptau in eine Bar gegangen sind, haben sich die Mädels immer gleich ans andere Ende der Theke verzogen. Da hatten Sie keine Chance. Aber ich fand, das war ein