ist es keineswegs. Als Kapitän können Sie essen wo Sie wollen. Im “Marco Polo“-Restaurant oder im Bistro “Lemaire“ oder auch in der Offiziersmesse. Ganz nach Lust und Laune. Morgen Abend aber auf jeden Fall im Restaurant. Sie sind nämlich der Gastgeber…“
„Was bin ich“, unterbrach Martin.
„Sie sind der Gastgeber. Und als solcher nehmen Sie natürlich am Kapitänstisch Platz. Und wir müssen uns darüber einig werden, wer die Ehre haben soll, mit Ihnen am Tisch zu sitzen.“
Martin winkte ab. „Mir völlig egal. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich hab mich bis jetzt noch mit jeder Tischgesellschaft vertragen.“
Gabor lachte. „Wenn Sie an Bord ein Schlachtfest veranstalten wollen, dann müssen Sie das genau so sagen. Es würden beim Kampf um die Plätze am Kapitänstisch garantiert ein Dutzend Tote zurückbleiben. Kulant gerechnet. Von den Kollateralschäden gar nicht zu reden.“
„Herr Gabor, hören Sie auf, mich zu verscheißern. Wer legt schon gesteigerten Wert darauf, mit dem Bootsfahrer zusammen am Tisch zu sitzen. Da gibt’s doch bestimmt interessantere Leute. Diesen Geologie Professor, zum Beispiel, der hier die Vorträge macht. Der hat wenigstens was zu erzählen. Zu dem würd ich mich an den Tisch setzen. Aber doch nicht zum Kapitän. Gut, ich hab mich auch immer zum Alten gesetzt, wenn noch Platz war und ich nicht gerade mit ihm überquer lag. Jeder hat das gemacht. Aber was besonderes war das doch nicht.“
Der Hoteldirektor schüttelte amüsiert den Kopf. „Der Geologe fällt aus. Der gehört zum Personal.“
„Na und? Ich doch auch“, erwiderte Martin, dem die ganze Sache langsam zu bunt wurde.
„Aber Sie sind der Kapitän. Sozusagen der Boß von dem ganzen Laden hier. Wenn Sie das bitte endlich mal zur Kenntnis nehmen würden. Und eine Tischdame brauchen Sie außerdem noch.“
Martin stöhnte. „Was ist das jetzt wieder für ein Blödsinn? Ich bin nicht verheiratet, und wie Sie gesehen haben, bin ich allein an Bord gekommen. Ist also nix mit Tischdame.“
„Dann wird diese Rolle ein Mitglied des Teams an Bord übernehmen. So ist das üblich.“
„Also doch jemand vom Personal.“ Martin grinste. „Na gut. Dann von mir aus die Kleine, die mir heute morgen das Frühstück gebracht hat. Die war ganz witzig. Caro heißt sie. Ich hab mir das gemerkt, weil sie genau so heißt wie der Kaffee, den sie serviert hat. Ein schauderhaftes Gesöff. Sagen Sie mal, gibt’s hier eigentlich auch anständigen Kaffee, oder muß ich mir den jedesmal auf der Brücke selber brauen?“
„Natürlich kriegen Sie auch stärkeren Kaffee, wenn Sie den wollen…“
„Will ich.“
„…Aber lenken Sie nicht ab. Eine Stewardeß als Tischdame geht natürlich überhaupt nicht. Es sollte schon jemand vom Führungsteam sein.“
„Ja, dann müssen Sie mir eine aussuchen. Ich kenn doch hier niemanden. Ich werd mich schon mit ihr vertragen, solange sie mit Messer und Gabel umgehen kann, weder schmatzt noch rülpst und bei Tisch nicht in der Nase bohrt. Das kann ich nämlich nicht leiden.“
„Sowas gibt’s auf einem Schiff auch gar nicht.“
„Na, Sie würden sich wundern.“
„Jedenfalls nicht auf einem Fünf-Sterne Kreuzfahrtschiff.“
„Hm.“
Der Hoteldirektor stand auf. „Ich lasse Ihnen heute Nachmittag eine Vorschlagsliste zukommen. Einverstanden?“
„Geschenkt, Herr Gabor. Machen Sie die Liste, und gut ist. Wen soll ich aus einer Liste von Unbekannten aussuchen?“
„Aber es sind eine Reihe von VIP’s an Bord, die Sie bestimmt kennen. Schauspieler, unter anderem.“
Martin sprang auf. Mit einem Mal wurde sein Gesicht hart. „Auf keinen Fall! Ich will keine Schauspieler an meinem Tisch sehen, hören Sie? Auf gar keinen Fall. Von denen hab ich die Nase gestrichen voll. Die sollen galadinnieren mit wen sie wollen aber nicht mit mir.“
„Aber, Herr Kapitän…“
„Kommt nicht in die Tüte, Herr Gabor. Ein für allemal: Ich will mit Schauspielern nichts zu tun haben! Ist das klar?“
Gabor deutete eine Verbeugung an. „Wie Sie wünschen, Herr Kapitän.“
Sobald der Hoteldirektor die Kapitänswohnung verlassen hatte, schossen Martin die Tränen in die Augen. Franziska. Lange hatte er es geschafft, sie aus seinen Gedanken zu verdrängen. Jetzt war sie mit einem Mal wieder da. Seine “Kleine Krabbe“, seine süße, liebe, wunderbare, kleine, die er so sehr geliebt und dann verloren hatte und die er nie, nie wieder zurückbekommen würde.
Jetzt war er wirklich der “Große Kapitän“, als den sie ihn immer bezeichnet hatte. Doch was nützte ihm das? Er konnte es ja nicht mit ihr teilen. Sie wäre die ideale Tischdame gewesen, witzig wie sie war, schön, charmant, geistreich. Sie hätte sie alle an Bord bezaubert, da war er sich ganz sicher. Aber sie war fort. Unerreichbar. Seit fast zehn Jahren jetzt. Und nichts und niemand würde sie wieder zurückbringen.
Jenny, Johannes, Reto und René und seinen Vater, André Schindler, sie alle gab es noch. Und sie alle standen auch noch in Verbindung. So oft es sich machen ließ, besuchte er sie reihum. Aber Franziska, seine kleine Krabbe, war nicht dabei. Sie gab es eben nicht mehr. Und Schuld daran war ihre Mutter, eine Schauspielerin. Sicherlich war es ungerecht, von ihr auf die ganze Zunft zu schließen. Aber Martin konnte nun einmal nicht anders. Mit Schauspielern wollte er nichts zu tun haben. Er hoffte nur, daß Gabor sich an seine Anweisung hielt.
***
Zwei Stunden später betrat Martin den Frisiersalon hoch oben auf dem Observation Deck. Die Friseuse hinter dem kleinen Tresen brauchte einen Moment, bis sie in ihm den neuen Kapitän erkannte. Doch dann straffte sie sich.
„Guten Tag, Herr Kapitän. Was kann ich für Sie tun?“
Martin hob die Hand. „Hallo“, grüßte er wenig förmlich zurück. „Man hat mir eingeredet, ich müßte mir die Haare schneiden lassen.“
Die junge Frau hinter dem Tresen musterte ihn kurz und nickte.
„Stimmt.“
„So? Finden Sie? Ich nicht. Aber gut. Dann machen Sie mal. Geht’s jetzt?“
Sie nickte. „Natürlich. Sie haben doch einen Termin.“
Martin platzte der Kragen. „Erzähl mir doch keinen Scheiß, Mädchen! Termin. Vor zwei Minuten hab ich ja selber noch nicht gewußt, daß ich herkomme. Wo kann da ‘n Termin herkommen?“
Eingeschüchtert wich sie einen Schritt zurück. Die beiden älteren Damen, die mit ihren Köpfen unter Trockenhauben steckten, sahen erstaunt von ihren Zeitschriften auf.
„Herr Gabor war hier und hat mich gebeten, Sie sofort dranzunehmen, wenn Sie kommen“, erklärte die Friseuse leise.
„So, hat er das. Na denn mal los. Und entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so angeschnarcht habe. Sie können ja nun wirklich nix dafür. Aber das Getue um meine Person geht mir langsam auf den Sender, verstehen Sie? Also, nicht böse sein. Wie heißen Sie denn?“
„Karola“
„Häh?“ Martin sah sie verwirrt an. „Aber nicht zufälligerweise auch Karo genannt, oder? So eine hatte ich heute nämlich schon mal. Die hat mir den Kaffee gebracht, der so unterirdisch schlecht war, daß ich den wie sie bezeichnet habe.“
„Sie meinen die Caro aus dem Marco Polo?“
„Keine Ahnung wo die herkam. Aber sie kam mit einem Frühstück, das locker für zehn Personen gereicht hatte, und außer an diesem grauenhaften Kaffee zu nippen bin ich nichtmal dazu gekommen, was davon zu probieren. Jetzt muß ich auf diesem Luxuseimer Kohldampf schieben. Ein Scheiß-Geschäft.“
Sie