durchfuhr ein seltsames Gefühl, als er sich so reden hörte. ‚Hier spricht der Kapitän von der Brücke‘. Und der Kapitän, das war er. Kapitän Martin Schöller aus Neustadt in Holstein. Während die eine Hälfte seines Gehirns damit beschäftigt war, den auf dem Zettel stehenden Text fehlerfrei abzulesen, versuchte die andere Hälfte mit dieser Tatsache fertig zu werden. Irgendwie wollte das noch nicht so richtig gelingen. Also beendete er den Versuch zusammen mit seiner Durchsage.
Es blieb ihm auch nichts weiter übrig, denn sobald er das Mikrophon ausgeschaltet hatte, wurde er vom Hoteldirektor mit Beschlag belegt.
„Guten Morgen, Herr Kapitän, ich müßte dringend mit Ihnen reden.“
Martin seufzte. „Das kann ich mir vorstellen. Wo? Hier? Beim mir? Oder bei Ihnen?“
Im Vorbeigehen sah er den Wachhabenden sich köstlich amüsieren.
„Grinsen Sie nicht so blöd“, raunzte er ihn an. „Das ist kein Date. Der Typ will zwar was von mir, aber nicht das, was Sie meinen.“
Worauf der Wachhabende anfing zu prusten. Martin gab ihm einen Schlag auf die Schulter. „Knalltüte“, meinte er.
Dann rief er Gabor zu: „Kommen Sie, lassen Sie uns aus diesem Kindergarten verschwinden.“ Und stürmte hinaus.
Zwei Passagiere, die sich auf der zu dieser Zeit offenen Brücke aufhielten, hatten die kurze Szene ebenfalls amüsiert beobachtet.
„Wie ist der denn drauf?“ fragte einer von ihnen den Wachhabenden.
„Och, der ist schon ganz okay“, antwortete der Offizier. „Humor scheint er jedenfalls zu haben. Und Dampfer fahren kann er auch. War zwar nicht besonders schwierig, aus dem Hafen rauszukommen, gestern Abend, aber dafür daß er dieses Schiff noch nie gefahren hat, hat er’s erstaunlich gut hingekriegt. Er benimmt sich zwar noch ein bißchen so, als wenn er auf seinem Frachter wäre, aber das wird bestimmt noch.“
„Sie meinen, seine “Uniform“, gestern Abend, beim Auslaufen?“
„Naja, seine war ja bei der Schneiderin. Wegen der vier Streifen. Und seine Mütze hat er ja aufgehabt. Obwohl die anderen Kapitäne gerade die meistens weglassen.“
***
Unterdessen saß Martin mit dem Hotelmanager, dem Kreuzfahrtdirektor und der Reiseleiterin zusammen in seiner Kabine. Es ging um die weitere Reiseroute, und die Diskussion verlief gemäßigt. Martin erläuterte den Plan, den er mit seinem Ersten Offizier in der Nacht ausgearbeitet hatte. Die Anderen waren überrascht. Damit hatten sie nicht gerechnet, daß der neue Kapitän bereits nach so kurzer Zeit an Bord schon Pläne vorlegte. Und dann auch noch solche, die Hand und Fuß hatten. Man brauchte nicht lange, um sich endgültig zu einigen. Das größte Problem stellte die Organisation der Ausflüge, die Beschaffung der notwendigen Transportmittel und die Verpflichtung von lokalen Reiseleitern dar. Allerdings war die Tour Managerin des Schiffes keine Frau, die sich lange mit Problemen aufhielt. Sie werde das schon hinkriegen, meinte sie.
„Gut, damit wär das dann ja geklärt“, beschloß Martin die Diskussion. Schäfer kann sich dann um die Formalitäten in den Häfen kümmern. Lotsen, Liegeplätze und so weiter.“
„Liegeplätze ist gut, meinte die Reiseleiterin. „Wir liegen fast überall auf Reede. Erst in Papeete gehen wir wieder an die Pier.“
„Um so besser. Dann können wir wenigstens machen was wir wollen.“ Er stand auf. „War’s das? Ich muß nämlich rennen. Ich hab noch unheimlich was auf dem Plan, heute. Vor allem will ich mich mit den Leuten treffen. Das ist mir das Wichtigste.“
„Einen Plan hätte ich auch für Sie, Käpt’n“, sagte der Hoteldirektor und schwenkte mit einem Blatt Papier.
Martin sah ihn überrascht an. „Ach ja? Na, dann lassen Sie mal sehen.“
Er nahm Gabor den Zettel aus der Hand und begann, ihn zu lesen. Allerdings kam er nur wenige Zeilen weit.
„Hä? Was soll das denn?“ Er tippte auf eine Zeile des Textes. „Friseur und Schneiderin? Was ist das für’n Quatsch? Die Schneiderin hat meine Uniform heute Nacht schon verarztet, das sehen Sie ja.“ Er streckte seine Arme aus, so daß die neuen Streifen am Ärmel zu sehen waren. „Und beim Friseur war ich erst vor sechs Wochen.“
„Ja, das sieht man“, platzte die Reiseleiterin heraus und hielt sich gleich die Hand vor den Mund in Erwartung einer heftigen Reaktion des Kapitäns.
Die blieb allerdings aus. Stattdessen stellte sich Martin vor einen Spiegel und strich sich über die üppigen blonden Locken, die ein Stück über den Kragen seiner Uniformjacke hinausreichten.
„Echt? Aber so lang sind die doch noch gar nicht.“
„Doch, sind sie. Sie sehen aus wie ein Rauschgoldengel auf dem Christkindlsmarkt.“ Die Reiseleiterin war jetzt mutiger geworden, nachdem es keinen Anraunzer gegeben hatte. „So können Sie hier unmöglich rumlaufen.“
Martin stieß einen Seufzer aus. „Auf was man hier alles achten muß.“
„Ein Kreuzfahrtschiff ist eben kein Containerfrachter“, meinte Gabor.
„Ach was, Frachter bleibt Frachter“, entgegnete Martin und zwinkerte ihm dabei zu.
Gabor drohte mit der Faust. „Sie!“
Die beiden anderen waren verwirrt. „Wie jetzt, Frachter bleibt Frachter?“ fragte der Kreuzfahrtdirektor. „Das hier ist doch kein Frachter.“
„In seinen Augen schon“, antwortete Gabor und deutete auf Martin.
„Ich habe unser Schiff gestern Abend als Fleischfrachter bezeichnet“, erklärte Martin. „Herr Gabor fand das höchst unpassend.“
Die Tour Managerin plusterte sich auf. „Das ist es ja wohl auch.“
Martin nickte. „Ja, ist es. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich mit diesem Sklaventreiber von Hotelmanager alleine ließen, damit wir endlich meinen Tagesplan fertigstellen können.“
Nachdem die Beiden gegangen waren, ließ er sich in seinen Schreibtischstuhl fallen und sah den Hotelmanager an.
„Also, was ist das jetzt mit der Schneiderin, Herr Gabor?“
„Sie brauchen eine Galauniform. Für den Willkommensabend. Eigentlich hätte der heute stattfinden sollen, aber das schafft sie unmöglich, hat sie gesagt. Also haben wir uns gedacht, wir machen das morgen. Bis dahin ist die Uniform fertig.“
„Wer ist wir, und was soll das mit dem Willkommensabend? Ich hab die Leute doch schon begrüßt.“ Er deutete auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch. „Und setzen Sie sich endlich, Sie machen mich nervös.“
Gehorsam nahm der Hotelmanager Platz. „Also. Wir, das waren der Kreuzfahrtdirektor und ich. Und der Willkommensabend ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse auf jeder Kreuzfahrt. Da begrüßt der Kapitän jeden Passagier einzeln. Anschließend lädt er die Passagiere zu einem Cocktail ein und erläutert ihnen die Einzelheiten der bevorstehenden Reise.“
„Sie haben ja wohl nicht alle Tassen im Schrank!“ Martin war empört. „Ich lad doch nicht die ganze Bande zum Freibier ein. Ich denk ja gar nicht dran. Die sehen alle so aus, als wenn sie genug Knete hätten, um ihre Cocktails selber zu bezahlen.“
„Haben sie auch und müssen Sie auch nicht. Für den Kapitänscocktail haben die Gäste längst bezahlt. Als Teil des Reisepreises. Außerdem gibt’s da kein Freibier, sondern Champagner und Cocktails. Es ist ein Spiel, und so sind die Spielregeln. Ein Kapitän in Galauniform gehört jedenfalls dazu. Und deshalb wäre es besser, wenn Sie sich möglichst schnell mit der Schneiderin träfen.“
Martin nickte. „Gut. Dann aber gleich. Und danach geh ich zum Friseur. Bevor ich mir das nochmal anders überlege. Sonst noch was?“
Gabor lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Das Galadinner.“
„Was