Detlef Wolf

Sail Away


Скачать книгу

      Gabor winkte den Steward heran. „Bringen Sie uns diesen chilenischen Rotwein. Den Carmenére.“

      Kurz darauf hatten sie beide ein Glas davon vor sich stehen. Martin kostete ihn mit Kennermiene.

      „Ja, der ist okay. Den können Sie bringen“, stellte er fest.

      Die älteren Damen am Nachbartisch registrierten es mit Wohlbehagen. Der neue, junge Kapitän war offensichtlich doch nicht ganz so ein Tölpel wie sie zuerst angenommen hatten. Man würde sehen.

      ***

      Tatsächlich präsentierte sich am Abend des folgenden Tages ein Kapitän, der witzig war, geistreich und voller Esprit, aufgeräumt und gestanden, trotz der knapp dreißig Jahre, die er erst alt war.

      Adrett sah er aus in seiner neuen Gala-Uniform, die, natürlich, rechtzeitig fertig geworden war und die ihm wie angegossen paßte. Die wilden Blondlocken waren gezähmt, und seine strahlend blauen Augen gaben ihm etwas von einem Wikinger. Mindestens achtzig Prozent der an Bord befindlichen Damen verliebten sich spontan in ihn, trotz der Pommes mit Majo vom Vorabend, die natürlich alle mit Grausen zur Kenntnis genommen hatten, nachdem sich die Geschichte darüber wie ein Lauffeuer an Bord verbreitet hatte.

      Er ließ sich mit allen photographieren und strahlte dabei wie ein Filmstar. Er hielt eine launige Rede, die, öfter als ihm lieb war, von Beifall unterbrochen wurde, erklärte ihnen den weiteren Verlauf dieser Reise und schloß mit den Worten:

      „Keine Ahnung, ob das je so klappt, wie wir uns das ausgedacht haben, aber wir werden uns bemühen. Auf jeden Fall garantiere ich Ihnen, daß Sie alle Ihren Flug nach Hause erreichen werden. Was dazwischen passiert, schaun mer mal.“

      Auch das anschließende Galadinner verlief besser als Martin es erwartet hatte. Eine Tischdame hatte er nicht, darauf hatte er sich nach einer längeren Auseinandersetzung mit Gabor geeinigt. Also hatte der zu vier Ehepaaren eine alleinreisende Dame mittleren Alters eingeladen und rechts neben Martin plaziert. Statt einer zwanglosen Unterhaltung entspann sich mehr ein Frage-und-Antwort Spiel, bei dem Martin die Rolle des Antwortengebers zugewiesen wurde, während die Anderen unentwegt Fragen stellten. Er spielte das Spiel mit und antwortete soweit er es für angemessen hielt. Es dauerte jeweils zwei Flaschen Weißwein und zwei Flaschen Rotwein lang. Von dem Martin jedoch nur nippte, sehr zum Mißfallen seiner Gäste.

      „Aber Herr Kapitän, Sie trinken ja kaum etwas“, kam die prompte Beschwerde, nachdem er zum wiederholten Male bei sich das Nachschenken abgelehnt hatte.

      „Ich muß vorsichtig sein“, erklärte Martin. „Morgen früh wollen wir vor der Robinson-Crusoe Insel vor Anker gehen, und ich möchte ungern den Kahn dabei in den Schlick setzen, nur wegen zu viel Wein am Vorabend.“

      „Können Sie das denn, so jung wie Sie sind?“

      Martin lachte. „Was denn? Das Schiff in die Klippen fahren? Hab’s noch nie versucht. Bislang hatte ich noch immer soviel Wasser unten drunter, daß noch einer bequem durchgepaßt hätte beim Kielholen. Auf Grund gesetzt hab ich noch nie ein Schiff. Das heißt, doch, einmal, das Segelboot meines Onkels. Aber da war ich zwölf. Und Senge hab ich dafür gekriegt, daß ich mir geschworen habe: Das machst Du nie wieder.“

      Nach dem Essen wurde der Cognac serviert. Martin bekam so einen kleinen, daß kaum der Boden des voluminösen Cognacschwenkers bedeckt war. Er hatte dem Kellner zuvor mit Daumen und Zeigefinger ein entsprechendes Zeichen gegeben.

      Nachdem sich alle noch einmal zugeprostet hatten, hob Martin die Tafel auf, bedankte sich bei seinen Gästen für einen angenehmen Abend und verschwand in seiner Kabine. Er war hundemüde. Und die Nacht würde kurz werden. Denn schon um sieben Uhr hatten sie den Lotsen, und um acht Uhr spätestens wollte er vor Anker liegen. Der Anlegesteg auf der Robinson-Crusoe Insel war zu klein, als daß er dort hätte festmachen können. Also mußte getendert werden.

      Martin hatte sich ausgebeten, eins der Tenderboote selbst zu fahren. Er wollte ein Gefühl dafür bekommen, wie die kleinen Schiffe sich handhaben ließen. Zumindest ein paar Runden wollte er drehen. Es klappte besser als er dachte, und die Passagiere fühlten sich geehrt, von ihrem Kapitän höchstpersönlich an Land gebracht zu werden.

      Nach ein paar Runden ging er zurück auf sein Schiff und befaßte sich mit dem anfallenden Schreibkram. Er war es gewohnt, daß eine Menge davon zu erledigen war, aber daß es hier auf diesem Schiff soviel sein würde, hätte er dann doch nicht gedacht.

      Lange kam er allerdings nicht dazu, denn das Auslaufen war bereits für dreizehn Uhr am Mittag festgelegt worden. Sie hatten den Aufenthalt auf der kleinen Insel auf einen halben Tag begrenzt, denn inzwischen waren sie vier Tage im Zeitverzug. Also ließ Martin aus den beiden Antriebsmotoren herausholen, was herauszuholen war, und es gelang ihm, die Fahrzeit bis zur Osterinsel um fast einen Tag zu verkürzen.

      Auf der Fahrt dorthin kam er ein wenig zur Ruhe. Langsam gewöhnte er sich an die neue Umgebung, und es gelang ihm auch, eine gewisse Tagesroutine zu finden. Das Frühstück nahm er zusammen mit dem Hotelmanager und der Kreuzfahrtdirektorin im Restaurant ein. Dabei besprachen sie das Tagesprogramm. Danach erledigte er seine Büroarbeit und widmete sich den Offizieren, mit denen er dann in der Offiziersmesse zu Mittag aß. Den Nachmittag verbrachte er damit, sich mit den verschiedenen Abteilungen des Schiffes vertraut zu machen. Gegen Abend ließ er sich auf den offenen Decks bei den Passagieren sehen, hielt hier einen Schwatz, beantwortete dort ein paar Fragen. Abends “hielt er Hof“ am Kapitänstisch, jeden Abend in wechselnder Besetzung. Die Leute wußten es zu schätzen. Es folgte der abendliche Rundgang über das ganze Schiff, einschließlich einem mehr oder weniger langen Aufenthalt auf der Brücke. Danach zog er sich in seine Kabine zurück.

      Bemerkenswert war der Tag, an dem sie vor der kleinen Insel Pitcairn vor Anker lagen, um den Nachfahren der Meuterer von der “Bounty“ einen Besuch abzustatten. Eine Anlandung dort war nur mit den Zodiacs möglich, robusten Schlauchbooten, von denen die “Hanseatic“ nicht weniger als vierzehn Stück an Bord hatte.

      An diesem Tag waren beinahe alle davon im Einsatz, denn es waren nicht nur die Passagiere auf die Insel zu transportieren, sondern auch reichlich Vorräte für die Bewohner, die das Schiff von Chile aus mitgebracht hatte. Lebensmittel vor allem und andere Güter des täglichen Bedarfs.

      Natürlich ließ Martin es sich nicht nehmen, eines der Schlauchboote selber zu steuern. Kartoffeln hatte er an Bord, Zwiebeln, Mineralwasser, Bier und andere Getränke. Das Anlanden war nicht ganz einfach, denn es drückte eine starke Dünung geradewegs in den kleinen Hafen. Die Zodiacfahrer schimpften nicht schlecht darüber.

      Martin ließ sich von dem Gezeter nicht beirren. Er tauschte seine Uniform gegen abgeschnittene Jeans und eines seiner “unmöglichen“ T-Shirts, zog Sandalen an die nackten Füße, setzte aber seine Mütze auf. Wenigstens das, damit sie ihn auf der Insel nicht von vorneherein für einen Piraten hielten.

      Dann fuhr er los, volle Fahrt voraus. Das kleine Boot tanzte auf den Wellen, daß man meinen konnte, es werde jeden Augenblick kentern. Aber nichts dergleichen. Martin fuhr wie der Teufel und war bei der Ankunft an der Pier klatschnaß, aber Boot und Ladung waren unversehrt. Es gab einige bewundernde Kommentare der Inselbewohner, als er festmachte. Den Kapitän des Kreuzfahrtschiffes, das vor der Insel vor Anker lag, erkannte niemand in ihm. Und Martin hielt es auch nicht für nötig, es ihnen zu erklären. Er wurde wie ein Kumpel begrüßt. Man lachte und schlug ihm anerkennend auf die Schulter.

      Bis einer der Passagiere fragte: „Fahren Sie immer so, Herr Kapitän?“

      Erst da ging den Leuten auf, wen sie da vor sich hatten.

      „Nee, nur wenn der Klabautermann mich gebissen hat“, antwortete er. „Und heute hat er. Also, wenn Sie mit mir zurückfahren wollen, machen Sie sich auf was gefaßt.“

      Das war nicht unbedingt eine Antwort, die die Spaßbremsen der Reederei für gut gehalten hätten, aber die waren ja, zum Glück, einige zehntausend Kilometer weit entfernt. Ebensowenig wie die Bemerkung, die er fallen ließ, nachdem er andere “Opfer“ gefunden hatte, die sich nach zwei weiteren Anlandungen, die er inzwischen hinter sich hatte, von