Detlef Wolf

Sail Away


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kamen sie in einen heftigen Sturm, den schlimmsten, den Martin bis dahin erlebt hatte. Es machte ihm nichts aus. Unerschüttert tat er seine Arbeit. Nur eben etwas langsamer als gewöhnlich, denn der starke Seegang warf das Schiff hin und her und seine Besatzung mit ihm. Es war unmöglich, für längere Zeit an einem Ort stehenzubleiben. Ständig mußte man Ausgleichsschritte machen, um die Balance zu halten.

      Es ging allerlei zu Bruch in diesen Tagen. Der Smut stellte den Betrieb in der Kombüse ein und legte sich seekrank ins Bett. Sehr zum Unmut der halben Besatzung, die noch auf den Beinen war. Der anderen Hälfte machte es nichts aus. Sie lagen ebenfalls seekrank darnieder. Selbst den Zweiten hatte es erwischt. Also übernahm Martin seine Wache, nachdem Kapitän Paulsen ihn kurzerhand zum “Aushilfszweiten“ ernannt hatte.

      „Aber Mann, Käpt’n, ich hab doch noch gar kein Patent“, protestierte Martin. „Wenn da was passiert.“

      Der Alte knurrte nur. „Na und? Ick hebb ‘n Seemann nodich. Un Du biss’n Seemann, unn’n patenten noch dazu. Auch wenn’de kein Patent hast. Wat soll denn schon passier’n? Du sollst den Kahn ja nich durch’n Panamakanal schippern. Sondern nur schön grade-us. Dat wirs‘ doch wohl hinkriegen, wat? Unn’nu sabbel nich lang und mach Dich op de Brück. Der Friseur steht am Ruder. Mit dem wirs‘ schon klorkomm‘. Ihr kennt Euch ja ganz gut.“

      So kam Martin zu seiner ersten Wache. Die Spätabendwache von zwanzig Uhr bis Mitternacht. Mitten im schlimmsten Sturm, den diese Gegend in dem Jahr erlebte. Und dunkel war’s natürlich auch um die Zeit. Die Radarbilder konnte man vergessen. Nicht auszumachen, was auf dem Schirm Küstenlinie, andere Schiffe oder auch nur Sturmwolken waren. Die Sicht durch die Scheiben war auch nicht die beste. Regen prasselte darauf, so heftig, daß die Scheibenwischer Mühe hatten, das Wasser beiseitezuschieben. Jedesmal wenn der Bug heftig eintauchte hoffte Martin, daß es nicht krachte und sie ein Fischerboot darunter begraben hatten. Selbst die Funkerei machte Schwierigkeiten. Nie war die Verständigung so beschissen gewesen wie jetzt.

      Aber all das focht “den Alten“ nicht an. Nicht ein-mal ließ er sich auf der Brücke sehen, während Martin dort Blut und Wasser schwitzte. Erst nachdem die Wache zu Ende war und Martin völlig erledigt von der Brücke torkelte, kam er aus seiner Kabine, zog den jungen Mann zu sich herein und drückte ihn in einen Sessel. Ein gut gefülltes Wasserglas hielt er ihm hin.

      „Hier, dat trinkste jetzt, damit dat Du wieder runterkommst und schlafen kannst. Prost min Jong. Dat hast Du gut gemacht.“

      Daß es sich bei der wasserhellen Flüssigkeit in seinem Glas mitnichten um Wasser handelte, wußte Martin sofort. Tatsächlich war es weißer Rum von Puerto Rico. Der, der einem das besondere “Feeling“ verleiht. Und von diesem “Feeling“ bekam Martin in dieser Nacht reichlich. Als er in seine Kabine torkelte, war er sturzbesoffen. Aber glücklich. Ein richtiger Seemann eben.

      In der Folge bekam Martin regelmäßig eine Wache übertragen.

      „Dat mutt Du lernen, min Jong“, führte Kapitän Paulsen als Begründung an.

      Und Martin entgegnete: „Ay, ay, Käpt’n“ und schob Wache.

      ***

      Dann gingen die Ferien zu Ende, Martin mußte wieder von Bord. Ein paar Tage verbrachte er bei seinen Eltern in Neustadt, anschließend besuchte er André Schindler in der Schweiz, und an den letzten beiden Ferientagen schaute er bei Jenny und Johannes in München vorbei.

      Danach stürzte er sich wieder in sein Studium in Bremen. Alles war so wie im vergangenen Semester. An jedem Werktag stand er früh genug auf, um ausgiebig frühstücken zu können, bevor er sich auf den Weg zur Uni machte. Das Mittagessen nahm er in der Mensa ein, die Zeit bis zum Beginn der Nachmittagsvorlesungen verbrachte er in der Bibliothek. Nach dem Ende der Vorlesungen machte er sich sofort auf den Heimweg. In seiner Wohnung nahm er ein frühes Abendessen zu sich und widmete sich danach noch einmal einige Stunden lang seinen Büchern. Gegen zehn Uhr lag er im Bett.

      Der Samstag gehörte dem Haushalt. Waschen, Putzen, Einkaufen. Der Sonntag gehörte ihm selber. Da unternahm er, wonach ihm gerade der Sinn stand. Meist lief er durch den Bürgerpark, gleichgültig wie das Wetter war. Oft kehrte er dann am “Haus im Walde“ ein, um zu Abend zu essen. An den Wochenendabenden saß er zu Hause in seinem gemütlichen Wohnzimmer, hörte Musik, las und trank ein paar Gläser Wein dazu.

      Für einen jungen Mann in seinem Alter, noch dazu einen Studenten, war Martin Schöller ein richtiger Langweiler. Er war zwar nicht gerade kontaktscheu, aber Freundschaften pflegte er keine. Einladungen lehnte er konsequent ab mit der Begründung, er habe keine Zeit. Wenn überhaupt, traf er sich mit seinen Kommilitonen, um zu arbeiten. Meistens saßen sie dann in einem der Übungsräume der Uni, von Zeit zu Zeit trafen sie sich aber auch in Martins Wohnung.

      „Ist das Deine Freundin?“ fragte einer von ihnen dabei und nahm Franziskas Bild von Martins Schreibtisch, um es zu betrachten.

      „Ja, das ist meine Freundin“, antwortete er ruhig.

      „Sieht ziemlich jung aus.“

      „Ist schon ein paar Jahre her, daß das Bild gemacht wurde. Aber ich find das so schön, deshalb steht’s immer noch da.“

      „Warum bringst Du sie nicht mal mit?“

      „Geht schlecht. Sie ist ziemlich weit weg.“

      „Schade. Sie sieht niedlich aus auf dem Photo.“ Er stellte das Bild wieder auf den Schreibtisch zurück. „Ich hätte gar nicht geglaubt, daß Du ‘ne Freundin hast“, meinte er dann.

      Martin lachte. „Warum nicht? Meinst Du, ein Freund würde besser zu mir passen, oder was?“

      „Nein, nein, so war das nicht gemeint“, beeilte sich der Andere zu sagen. „Ich dachte nur, so wie Du immer drauf bist.“

      „Wie bin ich denn drauf?“

      „Na, Du hast nix als Uni im Kopf. Disco oder mal einen trinken gehen, total Fehlanzeige. Wie kann’s da ‘ne Freundin bei Dir aushalten?“

      Martin blies die Backen auf. „Och, sie hat sich nie beschwert.“

      „Wart’s ab. Wenn Du so weiter machst, dann kommt das garantiert.“

      „Das ist mehr als unwahrscheinlich“, erwiderte Martin und wechselte das Thema. „Soll’n wir loslegen?“

      Der Andere sah Martin an. „Von mir aus. Aber was ist denn los mit Dir? Du siehst aus, als ob sie Dir die Erdbeeren vom Teller geklaut hätten.“

      Martin winkte ab. „Ach, nichts weiter. Es ist nur, das Wetter geht mir auf den Keks. Wahrscheinlich ist es deshalb.“

      Mehr als drei Stunden saßen sie zusammen und arbeiteten. Als Martins Kommilitone sich schließlich verabschiedete, meinte er noch:

      „Also, Deine Freundin würd ich doch gern mal kennenlernen. Ich frage mich, wie die wohl tickt, daß sie mit Dir zusammen ist.“

      Martin gab ihm darauf keine Antwort. Er lachte nur. „Tschüß, mach’s gut. Wir sehen uns morgen in der Vorlesung.“

      Dann saß er lange vor Franziskas Bild und weinte.

      ***

      Zum Semesterabschluß war alles so wie immer. Dreißig von dreißig möglichen Punkten in allen Fächern. Zufrieden meldete sich Martin auf der “Essen-Express“ bei Kapitän Paulsen.

      So reihten sich die Semester aneinander. Das sechste davon verbrachte er abermals auf dem Schiff. Das zweite Praktikum war fällig. Inzwischen war Martin schon längst nicht mehr der “Moses“. Paulsen ließ ihn mehr und mehr Aufgaben auf der Brücke übernehmen. Eines Tages, kurz vor der Ankunft in Hamburg, waren sie, wie üblich, auf der Brücke versammelt.

      „So min Jong“, meinte Paulsen eher beiläufig“, nu sieh man tau, dat Du den Kahn an die Pier bringst.“

      Martin sah seinen Kapitän entgeistert an. „Ich soll was?“

      „Anlegen, Mensch“, blaffte der Alte. „Sieh