Detlef Wolf

Sail Away


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Martin. „Na klar. Fürs erste hab ich ja mal Geld verdient auf dem Schiff. Das reicht bestimmt für die ersten beiden Semester, wenn ich einigermaßen sparsam bin. In den Ferien will ich dann wieder aufs Schiff. Die in Hamburg haben gesagt, ich kann jederzeit wiederkommen, wenn ich will. Ganz wird das vielleicht nicht reichen, aber es bleibt bestimmt ‘ne Menge übrig. Mit meinen Eltern hab ich auch gesprochen, die können mir ‘n bißchen was dazugeben. Na, und dann krieg ich ja auch BaföG. Das muß ich zwar hinterher zurückbezahlen, aber das ist ja egal. Wenn man auf dem Schiff fährt, braucht man ja nicht viel Geld. Also kann ich das locker machen.“

      Schindler sah ihn lächelnd an. „Schöner Plan, wenn auch ziemlich anstrengend, findest Du nicht?“

      „Schon“, antwortete Martin achselzuckend. „Aber ich finde, er ist machbar. Außerdem hab ich ja gar keine andere Wahl. Ich will nun mal Schiffsoffizier werden, und dazu muß man halt studieren. Hilft ja nix. Und was anderes hab ich ja auch nicht mehr.“

      Er senkte den Kopf. Schindler betrachtete ihn eine Weile. Dann lehnte er sich in seinem Schreibtischstuhl zurück.

      „Jetzt laß mal nicht die Ohren hängen, mein Junge. Du bist noch so jung, und Du hast noch eine ganze Menge. Als erstes hast Du mal einen guten Plan. Den ich voll unterstütze. Deshalb hab ich mir auch überlegt, Dir bei der Finanzierung des Studiums ein wenig unter die Arme zu greifen. Damit Du Dich voll und ganz darauf konzentrieren kannst und Dir keine Sorgen um’s Geld machen mußt.“

      Martin fuhr hoch. Er wollte eine heftige Antwort geben, aber Schindler ließ ihn nicht zu Wort kommen.

      „Nein, Du sagst jetzt nichts, Martin. Ich weiß sowieso, was Du mir antworten willst, aber diese Antwort will ich gar nicht hören. Sieh mal, ich bin ein relativ alter Mann, der hier ganz alleine lebt. Und ich habe soviel Geld, daß ich gar nicht weiß, was ich damit anfangen soll. René braucht nichts davon, der verdient selber mehr als genug. Und sonst hab ich doch niemanden. Also laß mich Dein Studium finanzieren, dann kann ich wenigstens etwas von meinem Geld sinnvoll ausgeben. Einverstanden?“

      Martin war wieder in sich zusammengesunken. Er kämpfte mit sich, ob er das Angebot annehmen sollte. Ablehnen konnte er es nicht ohne seinen väterlichen Freund tief zu kränken. Und das wollte er auf keinen Fall. Andererseits konnte er sich aber doch auch nicht so ohne weiteres aushalten lassen. Klar, es stimmte, Schindler war so schrecklich reich, daß er die Ausgaben für Martins Studium wahrscheinlich nicht mal bemerken würde. Warum also nicht?

      Schließlich sah er zu Schindler auf. „Also gut. Wahrscheinlich haben Sie recht. Wieder mal. Wie Sie ja immer recht haben.“

      Er grinste. Schindler lachte zurück.

      „Na also. Ich hab doch gewußt, daß Du vernünftig sein würdest.“ Er zwinkerte Martin zu. „Und weil ich mir darüber ziemlich sicher war, hab ich Dir nämlich auch schon eine kleine Wohnung gemietet. Du kannst sofort einziehen. Ist nicht weit von den Unigebäuden in der Werderstraße. Dein Auto brauchst Du da gar nicht.“

      Martin schüttelte den Kopf. Aber er strahlte seinen Gönner an. „Sie sind unmöglich, Herr Schindler.“

      „Ja, ja, ich weiß“, winkte Schindler ab. „Freust Du Dich wenigstens?“

      „Ob ich mich freue? Ich bin ganz erschlagen vor lauter Freude. Und ich hab keine Ahnung, wie ich das je wieder gutmachen kann.“

      Schindler blies die Backen auf. „Och, da fällt mir schon was ein. Spätestens, wenn Du erstmal Kapitän geworden bist.“

      „Na da können Sie aber noch lange warten. Kapitäne werden nämlich ernannt. So ohne weiteres wird man das gar nicht. Und ob ich je mal das Glück habe?“

      „Hast Du, mein Junge, da bin ich mir ganz sicher.“

      Damals hatte Martin gelacht. Er ahnte nicht, wie schnell André Schindlers Prophezeiung in Erfüllung gehen sollte.

      ***

      Aber zunächst war keine weitere Rede davon. André Schindler bestand darauf, daß Martin noch ein paar Tage bei ihm in der Schweiz verbrachte, um sich wenigstens eine kurze Zeit lang Ferien zu gönnen. Er nahm sich die Zeit, ihn zu verwöhnen, machte Bergtouren mit ihm, fütterte ihn mit gutem Essen und trank mit ihm den hervorragenden Wein aus seinem Keller, wobei sie beide gemeinsam Martins Lieblingsmusik hörten.

      Aber dann war es Zeit für den jungen Mann, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Zwei kurze Wochen noch verbrachte er mit seinen Eltern in Neustadt, dann zog er um nach Bremen, in seine neue Wohnung, die André Schindler ihm zur Verfügung gestellt hatte.

      Vom ersten Tag an vertiefte er sich in sein Studium. Es gab nichts anderes für ihn. Nie kam er unvorbereitet zu den Vorlesungen, nie versäumte er eine der Übungsstunden. Er vergrub sich hinter seinen Büchern, einem strengen Ritual folgend und sorgfältig darauf achtend, es nicht zu übertreiben. Er gestattete sich Auszeiten, durchaus. Dann saß er in seiner kleinen, gemütlichen Wohnung und hörte Musik. Dazu schmauchte er seine Pfeife, trank ein Gläschen Portwein oder zwei und las. Bücher über die Seefahrt waren seine hauptsächliche Lektüre. Manchmal amüsierte er sich selbst über sein absonderliches Verhalten. Aber er fühlte sich wohl dabei. Also, was sollte es?

      Die Ergebnisse der Prüfungen in den Fächern des ersten Semesters resultierten in dreißig von dreißig möglichen Punkten. André Schindler bestand darauf, daß er ihn in seinem Haus in der Schweiz besuchte, um das Ergebnis zu feiern. Jenny und Johannes waren auch eingeladen und selbst René und Reto waren da, extra aus New York angereist. Er weinte bittere Tränen, als Jenny ihn zärtlich in den Arm nahm und Johannes nach seinen Händen griff und sie gar nicht mehr loslassen wollte. Aber dann wurde es ein schönes Fest.

      Jedesmal wurde es das, nachdem Martin ein Semester abgeschlossen hatte. Dreißig von dreißig möglichen Punkten. Immer und in allen Fächern.

      „Du bist ein verdammter Streber“, sagte Jenny, und sie lachte dabei und gab ihm einen dicken Kuß auf den Mund. „Genau wie der da.“ Und dabei zeigte sie auf Johannes, der prompt drei Schritte zurückwich und einen roten Kopf bekam.

      Vater und Sohn Schindler, zusammen mit Reto lachten sich derweil kaputt über zwei gestandene, junge Männer, die sich von einer quirligen, jungen Frau in Verlegenheit bringen ließen.

      „Womit fährst Du diesmal?“ fragte René.

      „Mit der “Essen-Express“, wie immer“, antwortete Martin. „Kapitän Paulsen hat schon gefragt, ob ich wieder mitkomme. Natürlich hab ich ja gesagt. Die ganze nordamerikanische Küste runter, durch den Panamakanal und rauf bis nach Vancouver. Von da flieg ich dann zurück, weil das Schiff weiter nach Japan fährt und so. Aber das geht dann nicht mehr, weil dann die Ferien fast zu Ende sind. Ich freu mich schon wahnsinnig auf die Reise, denn da war ich noch nie.“

      „Wenn Du in New York bist, mußt Du uns aber unbedingt besuchen“, verlangte René.

      „Gern. Das geht sich bestimmt aus. Soweit ich weiß, liegen wir da mindestens einen ganzen Tag, weil die ganze Ladung umgeschlagen wird. Das dauert. Ich ruf Euch an, und dann machen wir was aus.“

      Natürlich erwarteten ihn René und Reto im New York Container Terminal auf Staten Island, nahmen ihn mit in ihre Wohnung in Central Park West, wo sie ein fürstliches Dinner organisiert hatten und anschließend in die Metropolitan Opera zu Mozarts “La Nozze di Figaro“ für die es Karten schon eigentlich gar nicht mehr gab. Aber sie hatten welche besorgt, und Martin heulte die ganze Vorstellung hindurch, so sehr freute er sich an der Musik.

      Dann brachten sie ihn zurück zum Hafen nach Staten Island, gerade noch rechtzeitig bevor das Schiff auslief. Der Kapitän empfing ihn an der Gangway.

      „Dat war knapp, min Jong.“

      Und er gab Martin einen kräftigen Klaps auf die Schulter.

      Später dann, als sie losgemacht hatten und Kurs auf die offene See nahmen, dröhnte “Steuermann laß die Wacht“ aus Richard Wagners “Fliegendem Holländer“ über die Decks, zum Entsetzen der Wachhabenden und der übrigen Besatzung. Aber der Kapitän lachte sich darüber kaputt,