war. Ist jetzt schwerreich, die Dame.“
„Hat sie vielleicht dran gedreht?“
Obermeyer wiegte den Kopf hin und her. „Glaub ich nicht. Wieso hätte sie sollen. Soweit die Kollegen rausgekriegt haben, hat er sie auf Händen getragen.“
Huber schlug mit beiden Händen auf den Tisch und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Wie auch immer, ich glaub, das bringt uns nicht weiter. Ich denke eher, irgendjemand hier hatte ein Hühnchen mit ihr zu rupfen.“
„Fragt sich nur, wer“, gab Obermeyer zurück.
„Das ist die große Frage“, meinte Huber nachdenklich.
Aber soviel sie auch nachdachten, nachforschten und ermittelten, es ließ sich nicht feststellen, wer der Schauspielerin so übel mitgespielt hatte. Es gab keinen Hinweis, so sehr sie auch Angelika von Weerendonks Lebensgeschichte ausleuchteten.
***
Die Schauspielerin, Mädchenname Angelika Härtel, stammte aus kleinen Verhältnissen. Die Familie war im Münsterland zu Hause, der Vater arbeitete in einem Malerbetrieb, die Mutter war Hausfrau. Mit Mühe schafften es die Eltern, ihr einziges Kind zum Gymnasium zu schicken, das sie allerdings nicht bis zum Abitur besuchte. Sie ging vorher ab und bewarb sich an einer Schauspielschule, wo man ihr Talent entdeckte. Sie wurde gefördert, nicht zuletzt deshalb, weil sie es skrupellos und ohne Rücksicht auf irgendwen oder irgendetwas verstand, sich ins rechte Licht zu rücken. Was bei ihren körperlichen Vorzügen, die sie bei jeder Gelegenheit einsetzte, schließlich auch zum Erfolg führte. Sie bekam kleinere, dann größere Rollen beim Film, wurde bekannt, machte sich einen Namen.
Sie lernte den Geschäftsmann Albrecht von Weerendonk kennen, heiratete ihn, kaum dem Teenageralter entwachsen und nahm seinen Namen an. Der Mann war ein gutes Stück älter als sie, doch er vergötterte die junge Frau. Entscheidend für sie war, daß er steinreich war und sie mit seinem Geld verwöhnte. Für sie hatte die ganze Affäre mit Liebe nichts zu tun. Sie wurde schließlich berühmt als Angelika von Weerendonk, entwickelte sich zu einer wahren Diva mit allen Eigenschaften, die mit diesem Ruf einhergehen. Inwieweit das Geld und der Einfluß ihres Ehemannes auf ihrem Weg an die Spitze eine Rolle spielten, läßt sich nur vermuten. Wahrscheinlich war es eine entscheidende, aber es ist durchaus möglich, daß ihr Ruhm sich tatsächlich nur auf ihr Talent gründete. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht.
Bald nach der Hochzeit gebar sie eine Tochter. Franziska. Besonders glücklich war sie nicht darüber. Ein Kind, was sollte sie mit einem Kind? Für Albrecht von Weerendonk hingegen war es die Erfüllung eines langgehegten Traums. Er hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als mit dieser, in seinen Augen anbetungswürdigen Frau ein Kind zu haben. Die sorgte allerdings dafür, daß dieses Kind, das sie nie im Leben haben wollte und das sie nur wie einen Klotz am Bein empfand, sie in ihrem von Luxus und Glamour geprägten Leben so wenig wie möglich behinderte. Schon bald nach der Geburt überließ sie es der Obhut einer Kinderfrau. Wechselnder Kinderfrauen, genauer gesagt, denn die Betreuerinnen des Kindes kamen und gingen.
Erschien es der Mutter sinnvoll, trat sie mit dem Kind auf. Und Auftritte waren es. Denn mit Füttern, Wickeln, am Bett zum Einschlafen Lieder singen oder Geschichten vorlesen, hatte Angelika von Weerendonk nichts zu schaffen. Ihre Tochter war für sie lediglich ein Marketingobjekt.
Und der Vater? Albrecht von Weerendonk glänzte die meiste Zeit durch Abwesenheit. Seine Geschäfte trieben ihn mal hierhin, mal dorthin. Wenn er zu Hause war, verwöhnte er seine Tochter über die Maßen, aber zu Hause war er eben äußerst selten.
Also wuchs das Kind Franziska auf mit der zurückhaltenden Liebe stets wechselnder Kinderfrauen und der seltenen ihres Vaters als das Klischee des armen, reichen Mädchens, diesseits und jenseits der Schwelle zum Unglücklichsein.
Die Familie lebte in einer schloßartigen Villa mit riesigem Grundstück im Münsterland. Obwohl ganz in der Nähe ihres Elternhauses, spielten die Eltern Angelika von Weerendonks in ihrem Leben eine höchst untergeordnete Rolle. Nachdem sie eine gewisse gesellschaftliche Stellung errungen hatte, wollte sie von den einfachen Leuten, die ihre Eltern waren, kaum mehr etwas wissen. Als Schauspielerin hatte sie vor allem zwei Dinge im Auge: Ansehen und Reichtum. Alles andere interessierte sie nicht. Sie suchte die Nähe von denen, die diesen beiden Zielen förderlich sein konnten und mied den Kontakt zu allen anderen. So auch ihren Eltern.
Das Kind, das sie irrtümlicherweise geboren hatte, war mehr das Aushängeschild einer intakten Familie, soweit es der Karriere nützlich war. Ansonsten wurde es der Obhut anderer übergeben, die sich um Versorgung und Aufzucht dieses Nachwuchses kümmern sollten. Folgerichtig kam das Mädchen in ein Internat, sobald es das nötige Alter erreicht hatte. Franziska war eine reine Nebensache. Das Verhältnis der Drei zueinander war entsprechend. Tiefere Gefühle, wie sie normalerweise zwischen Eltern und ihren Kindern üblich sind, entwickelten sich nicht.
Mit vierzehn Jahren lernte Franziska den vier Jahre älteren Martin Schöller kennen. Sie verliebte sich in ihn, es entwickelte sich eine innige, intime Beziehung zwischen den beiden, die der Mutter mißfiel, sobald sie davon erfuhr. Martin Schöller war durchaus nicht der Typ, den sich Angelika von Weerendonk als den Partner ihrer Tochter vorstellte. Obwohl selbst aus sehr einfachen Verhältnissen stammend, betrachtete sie das Verhältnis der beiden jungen Leute als eine Mesalliance, die es unter allen Umständen zu verhindern galt, zumal sie es mißbilligte, daß sich ihre Tochter bereits in so jungen Jahren einem anderen anschloß.
So unternahm sie alles in ihrer Macht Stehende, um das Verhältnis der Beiden zu durchkreuzen, bis hin zu einer Anklage gegen den jungen Mann, ihre Tochter vergewaltigt zu haben. Ihre Bemühungen blieben letztlich erfolglos, denn das Mädchen hatte es verstanden, nicht zuletzt auch zurückgehend auf eine versuchte Intrige seiner Mutter, in dem Schweizer Finanzmagnaten André Schindler einen mächtigen Verbündeten zu gewinnen, der Franziska nach Kräften unterstützte und gegen den die Mutter mit ihren Ränkespielen nicht ankam.
Tapfer durchkreuzten die beiden jungen Liebenden alle Versuche der eifersüchtigen Mutter des Mädchens, ihre Beziehung zu hintertreiben. Alle, bis auf den letzten Schachzug, den Angelika von Weerendonk, die sich mittlerweile von Albrecht von Weerendonk getrennt und in dem Rechtsanwalt Doktor Harry Kern einen neuen Partner gefunden hatte, sich mit diesem ausgedacht hatte. Darüber verzweifelte das junge Mädchen so sehr, daß es keinen anderen Ausweg mehr sah, als im Alter von sechzehn Jahren den Freitod zu wählen.
Das alles erläuterte Kommissar Markus Obermeyer seinem Kollegen und Vorgesetzten, Hauptkommissar Georg Huber und schloß:
„So sieht’s aus. Wenn Du so willst, hat also die Mutter ihre Tochter in den Selbstmord getrieben, und der Junge ist die tragische Figur dabei. Ein starkes Motiv hätte er also schon, sich an der Mutter zu rächen, aber so wie’s aussieht, hat er’s nicht getan. Und so wie die Bremer Kollegen ihn schildern, wäre er auch gar nicht der Typ dazu.“
„Und was ist mit diesem väterlichen Freund, diesem Schweizer?“
„Du meinst André Schindler?“ Obermeyer atmete tief durch. „Der hätte die Möglichkeiten natürlich, gewaltige Möglichkeiten. Aber das läßt sich nicht nachweisen. Er könnte eine solche “Bestrafung“ der Mutter des Mädchens durchaus eingefädelt haben. Die Mittel hätte er allemal. Aber seine Spur nachzuverfolgen ist nahezu unmöglich. Kaum jemand weiß, wo er sich wann gerade aufhält. Er reist mit gemieteten Flugzeugen, ist ständig unterwegs, und sein jeweiliger Aufenthaltsort ist schwer festzustellen. Natürlich sollten wir versuchen, rauszukriegen, wo er an jenem Abend gerade war, als Angelika von Weerendonk überfallen wurde, aber ich glaube, das bringt uns kaum weiter. Erstens wird sich so ein Typ kaum selbst die Hände schmutzig machen, und zweitens glaube ich nicht, daß irgendjemand in seiner Umgebung den Mund aufmachen wird. Aber versuchen sollten wir’s auf jeden Fall.“
Kommissar Obermeyer sollte mit seiner Vermutung recht behalten. So sehr sich seine Leute auch bemühten, alle Nachforschungen bezüglich André Schindlers verliefen im Sande. Die Mauer des Schweigens, die diesen mächtigen Schweizer Finanzmagnaten umgab, erwies sich als zu stabil und zu hoch. Es war äußerst unbefriedigend, aber schließlich mußten sie die ganze Sache erfolglos abbrechen. André Schindler,