Detlef Wolf

Sail Away


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dann hatte er es endlich geschafft. Und die ganze Zeit stand der Kapitän dabei, kaute auf seinem Zigarillo herum und grinste sich eins.

      „Dat mut wie noch üben“, stellte Paulsen klar, als sie endlich fest waren.

      Und sie übten es. Solange, bis Martin es endlich begriffen hatte. Mehr als einmal wurde es dabei gefährlich eng. Aber der Alte hatte Nerven wie Drahtseile.

      „Wenn Du so weiterfährst, hat der da vorn gleich’n Loch in den Kaldaunen“ kommentierte er trocken, als er feststellte, wie Martin, halbe Kraft voraus, auf einen Supertanker zuhielt.

      Es war dann doch gerade nochmal gutgegangen, aber eine Flasche Brunello war fällig.

      Bei der Rückkehr nach Hamburg klappte schließlich alles wie am Schnürchen. Selbst die Festmacher hatten nichts zu meckern. Martin brachte das Sechzigtausend-Tonnen-Schiff an die Pier, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Auch der Hafenlotse war beeindruckt. Und das wollte was heißen, hatte er doch Martins ersten Versuch ebenfalls begleitet.

      Zwei weitere Semester später hatte Martin sein A6-Patent in der Tasche. „Kapitän auf großer Fahrt“ stand auf seinem Zeugnis. Nur, von einem Kapitän war er noch meilenweit entfernt. Als “Vierter“ heuerte er an, natürlich bei seiner Hamburger Reederei und natürlich auf seinem Schiff bei seinem “Alten“. Drei Jahre lang fuhr er dort. Diente sich allmählich hoch bis zum “Ersten“.

      Er war hochzufrieden mit seinem Leben. Etwas Schöneres als zur See zu fahren konnte er sich nicht vorstellen. Nur etwas vermißte er immer noch, auch nach all den Jahren: Franziska. Oft dachte er an sie, vor allem während der einsamen Wachen, nachts auf hoher See, wenn alles ruhig war. Dann glaubte er manchmal ihr Spiegelbild zu sehen in den Scheiben auf der Brücke, durch die er hinaussah auf das Auf und Ab der Wellen, aus denen sie plötzlich aufzutauchen schien und ihm zulächelte aus der anderen Welt, in der sie jetzt war.

      Die Rudergänger auf der “Essen-Express“ kannten seine Stimmungen, wenn sie auch nicht wußten, woher sie kamen, und sie hüteten sich dann, ihn anzusprechen. Wenn er wieder einmal ganz vorne auf der Brücke stand, bewegungslos und das Fernglas in der Hand, hinausstarrte auf die nächtliche See, als ob es dort etwas wer-weiß-wie Interessantes zu sehen gäbe. Für Martin gab es etwas zu sehen, etwas, das er niemandem verriet. Außer seinem Kapitän. Dem hatte er sich anvertraut. Irgendwann, in einer stürmischen Nacht, nachdem sie zwei Flaschen Brunello miteinander geleert hatten und “der Alte“ dann noch einen kräftigen Schluck Rum “drübergestreut“ hatte, wie er sich ausdrückte. Da hatte Martin sich ihm offenbart. Aber sein Geheimnis war bei Paulsen gut aufgehoben. Er mochte ein vierschrötiger, alter Seebär sein, aber er hatte ein Gefühl für das, was seine Leute umtrieb. Und zu Martin sagte er nur:

      „Ick versteh man, dat Du se nich vergeten kannst.“

      ***

      Dann kam der Tag, an dem Martin in seinem Urlaub einen Anruf von seiner Reederei erhielt, auf einem Schiff für plötzlich erkrankte Offiziere einzuspringen.

      Paulsen wußte davon, und er hatte es den Leuten in Hamburg gesagt:

      „Dä Schöller, dat is de geborene Seemann. Wenn einer de Käpt‘n sein kann, dann is dat de Martin. Ick mut dat segg’n, obwohl ick’n nich gern zieh’n lot. De Jong iss’n ganz Groß’n.“

      Und er hatte weiter auf sie eingeredet, bis sie schließlich überzeugt waren, ihm das Kommando zu geben. Das Kommando auf einem ihrer besten Kreuzfahrtschiffe: Kapitän auf “MS Hanseatic“.

      3 Angelika von Weerendonk

      Das fahle Licht eines weiteren, trüben Tages fiel durch das Fenster des Krankenzimmers herein, in dem Angelika von Weerendonk langsam aus der Bewußtlosigkeit erwachte. Sie brauchte eine Weile, bis ihr klar wurde, wo sie war und vor allem, warum sie an diesem Ort war. Zuerst glaubte sie, aus einem schrecklichen Albtraum erwacht zu sein, aber als sie die Verbände an ihrem Körper spürte und das geschiente Bein, wußte sie, daß es kein Traum gewesen war.

      Die Schmerzen kamen zurück, gedämpft zwar, durch die Schmerzmittel, die man ihr gegeben hatte aber doch immer noch recht heftig. Sie erinnerte sich an die Schläge, zuerst ins Gesicht, dann auf dem ganzen Körper und auch an den Satz, den der Arzt in der Notaufnahme gesagt hatte: „Mag sein, daß die mal eine sehr schöne Frau war, aber so wie die jetzt zugerichtet ist, kriegt die kein Schönheitschirurg der Welt mehr hin.“

      Sie mußte das sehen. Sie mußte sich sehen, wie sie aussah, ob der Mann recht haben könnte oder ob er doch nur übertrieben hatte. Sie versuchte aufzustehen, aber das gelang nicht wegen ihres eingegipsten Beins. Also klingelte sie nach der Schwester.

      „Helfen Sie mir auf und bringen Sie mich zu einem Spiegel“, verlangte sie harsch.

      Die Krankenschwester blieb höflich aber bestimmt. „Nein, das geht nicht. Die Ärzte haben Ihnen strikte Bettruhe verordnet, und ich werde mich an diese Anweisung halten. Brauchen Sie sonst noch etwas?“

      Verärgert schüttelte die Schauspielerin den Kopf. „Nein. Nicht im Moment“, war die knappe Antwort.

      „Fühlen Sie sich in der Lage, einige Fragen zu beantworten?“ wollte die Schwester weiter wissen.

      „Wenn’s sein muß.“

      „Gut, dann werde ich das ausrichten.“ Sie drehte sich um und ging hinaus.

      Einige Zeit später betraten zwei Männer das Krankenzimmer. Sie waren nicht wie Ärzte gekleidet, sondern trugen normale Straßenanzüge, die ziemlich schlecht saßen, wie Angelika von Weerendonk sofort feststellte. Billige Stoffe, von der Stange und schon etwas abgetragen.

      „Mein Name ist Georg Huber“, stellte der eine, ältere von beiden sich vor, „das hier ist mein Kollege Markus Obermeyer, wir kommen von der Kriminalpolizei in München.“ Er hielt ihr einen Ausweis vor die Nase, den sie allerdings kaum eines Blickes würdigte.

      „So? Und was wollen Sie von mir? Ich kann mich nicht erinnern, in der letzten Zeit falsch geparkt oder die Geschwindigkeitsbegrenzung mißachtet zu haben.“

      „Das mag sein, aber das interessiert uns auch nicht. Man hat uns vom Krankenhaus aus benachrichtigt, daß in der vergangenen Nacht eine Frau eingeliefert wurde, die aufgrund fehlender Papiere nicht zu identifizieren war. Außerdem war sie aufgrund schwerwiegender, entstellender Gesichtsverletzungen nicht zu erkennen. Offensichtlich war sie Opfer eines Verbrechens geworden. Als man uns heute Vormittag erneut anrief, die Frau sei jetzt bei Bewußtsein und ansprechbar, sind wir sofort gekommen, und man hat uns zu Ihnen geführt. Ich bitte Sie daher, uns Ihre Personalien anzugeben und die Umstände zu schildern, wie Ihnen diese Verletzungen zugefügt wurden, damit wir unsere Ermittlungen aufnehmen können.“

      Übellaunig nannte die Schauspielerin ihren Namen und ihre Adresse. Der Name schien den beiden Beamten nichts zu sagen. Huber machte sich lediglich eine Notiz.

      „Wo sind Sie beschäftigt?“

      „Ich bin Schauspielerin“, antwortete sie gereizt. „Angelika von Weerendonk“, setzte sie pointiert hinzu.

      Hubers einzige Reaktion bestand in einem Nicken. „Wo?“ fragte er weiter.

      „Ich habe kein festes Engagement. Wenn Sie öfter ins Kino gehen oder fernsehen, sollte Ihnen mein Name etwas sagen.“ Sie war jetzt richtig wütend.

      „Dazu hat man in meinem Beruf kaum Gelegenheit.“ Huber schien sie wirklich nicht zu kennen. Obermeyer hingegen schien etwas zu dämmern.

      „Ich glaube, ich habe Sie kürzlich mal in einem Tatort gesehen“, warf er ein.

      „Sowas siehst Du Dir an?“ fragte sein Kollege verwundert.

      Obermeyer zuckte die Achseln. „Gelegentlich. Es entspannt.“

      „Wenn Du meinst.“ Huber wandte sich wieder an die Schauspielerin. „Also, dann schildern Sie mal, was vorgefallen ist. Wann fand der Überfall statt?“

      „Gestern,