Gert Podszun

Der rasierte Fisch


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führen. Danach kann ich Ihnen etwas über die weiteren Aktivitäten in unserer zukünftigen Zusammenarbeit sagen. Frau Brammert wird die entsprechenden Termine rechtzeitig mit Ihnen abstimmen.“

      Frau Elisabeth Brammert war die Vorzimmerdame für den Bereich Marketing und Vertrieb. Sie begleitete Richard Benn zu seinem neuen Büro.

      „Ich kenne den Doktor schon einige Jahre. Bis vor einem Jahr saß ich noch in seinem Vorzimmer.“

      Richard hielt seine spontane Frage nach dem Grund für diese Veränderung zurück und ließ sich in die Büroorganisation einweisen.

      „Hier habe ich ein Organigramm für Sie. Da sind auch die Namen Ihrer Mitarbeiter eingetragen. Wenn Sie jetzt schon Näheres über die Damen und Herren wissen wollen, kann ich die Personalakten jederzeit aus der Personalabteilung holen.“

      Richard winkte ab.

      „Ich werde erst einmal die Gesprächsrunde wahrnehmen. Danach schauen wir weiter. Ich sehe hier, dass Herr Santier als Produktmanager für die Fernüberwachungssysteme arbeitet. Ihn würde ich gerne als ersten Mitarbeiter zum Gespräch bitten.“

      Frau Brammert nahm die Wünsche auf und organisierte die Gesprächsrunde. Richard arbeitete konzentriert. Er hatte während seiner bisherigen beruflichen Laufbahn viele Mitarbeiter kennen gelernt, erlebt und beurteilt. Jetzt saß er demjenigen gegenüber, der als Produktmanager zu den Schlüsselfiguren seiner eigenen Zukunft gehörte.

      „Sie sind Diplom-Ingenieur wie ich, Herr Santier.“

      „Seit Abschluss meines Studiums arbeite ich für diese Firma.“

      „Wie ich aus ihrer Akte sehe, leben sie mit Ihrer Familie in Berlin Hennigsdorf.“

      Ferdinand Santier trug einen kleinen Kinnbart und eine Nickelbrille.

      „Ich liebe unser Haus dort, eine Doppelhaushälfte mit Garten. Dort können die Kinder spielen. Das gibt mir die Basis für die Arbeit und den Willen zum Erfolg.“

      „An dem Projekt Fernüberwachung ist ja schon lange gearbeitet worden.“

      „Ja, natürlich. Ich war auch involviert. Aber es ist vor einiger Zeit stillgelegt worden. Ich weiß nicht genau warum. Es soll mit der Budgetierung zu tun gehabt haben. Man hatte vermutet, dass die Koordination zwischen der Planung und der Produktion nicht so richtig funktioniert hat.“

      „Wer war der Projektleiter?“

      „Es war mehr ein Projektkonsulat. Das waren Ihr jetziger Chef, der Doktor Hartweich und der Produktionsleiter, Herr Breuer.“

      Richard merkte sich den Tonfall dieser Antwort, wollte aber wegen des Vorprojektes im Moment nicht weiter hinterfragen.

      „Mir ist Ihr Name aufgefallen. Er klingt französisch.“

      „Ja, das kann ich verstehen, ich werde oft deswegen gefragt. Meine Ahnen sind französische Protestanten. Die wurden auch Hugenotten genannt.“

      „Ich habe erfahren, dass Sie immens viele eigene Ideen in das bisherige Projekt eingebracht haben. Ohne die wären wir jetzt nicht so weit, wie wir sind.“

      „Ich hätte gerne weiter gemacht, weil noch einige Überlegungen nicht genutzt worden sind. Wir haben ja auch einige entscheidende Laborergebnisse vorliegen. Ich hoffe, dass ich die Ergebnisse jetzt werde einbringen können. Auf jeden Fall bin ich scharf darauf, in dem neuen Projekt aktiv mitzumachen.“

      „Ich habe in den letzten Jahren in dem Gebiet der Fernüberwachung eine Konkurrenzübersicht aller Hersteller erstellt. Das wird uns in dem Projekt sicherlich helfen.“

      Herr Santier nickte.

      „Glauben Sie, dass ich das einsehen kann?“

      „Das ist doch selbstverständlich.“

      Frau Brammert betrat den Raum und fragte nach, ob die Herren noch einen Wunsch hätten. Sie sollte noch etwas frischen Kaffee bringen. Während sie etwas Geschirr vom Tisch räumte, und den Raum wieder verließ, betrachtete Herr Santier sie ausgiebig.

      „Sie hat immer noch eine tolle Figur.“

      „Was hat das mit dem Projekt zu tun?“

      „Nun, bei dem Vorprojekt spielte das eine Rolle. Sie war sehr engagiert. Auch in der Projektleitung.“

      Richard ging nicht auf diese Anmerkung ein. Entweder hatte sie wirklich einen Einfluss auf das Projekt und damit eine besondere Beziehung zur Projektleitung oder Herr Santier hatte eine Schwäche für Frau Brammert oder für Frauen mit Figuren wie die ihre. Als Santier sich verabschiedete, hatte Richard ein etwas mulmiges Gefühl. Er wollte von etwaigen alten Beziehungen zwischen den Mitarbeitern nichts wissen. Und schon gar nicht, wenn es eventuell seinen neuen Chef, den Co-Leiter des Vorprojektes, betraf. Er räumte weiter seine mitgebrachten Unterlagen ein.

       12

      Elvira gesellte sich zu zwei Damen an der Champagnerbar im KaDeWe. Hinter ihnen entdeckte sie Rico, der sich einen blauen Schal umgelegt hatte. Er hatte schon zwei Gläser Champagner bestellt.

      „Champagner rosé, in Blau können sie leider noch nicht liefern.“

      „Rico, Du bist ein Spinner. Danke, auf Dein Wohl!“

      „Auf unser Wohl!“

      „Hast Du inzwischen eine konkrete Vorstellung für das Bild in Blau?“

      Elvira schaute auf seinen blauen Schal, fühlte den Stoff zwischen zwei Fingern, schmiegte sich kurz an den Kaschmirstoff und schaute Rico über dem erhobenen Glas an.

      „Du hast Dich heute noch gar nicht rasiert, mein Lieber.“

      „Ich hatte einfach keine ruhige Hand, weil ich so aufgeregt war wegen unseres Treffens.“

      „Wahrscheinlich hast Du zu lange geschlafen.“

      „Nein, ehrlich, ich bin gut geduscht, habe ein wenig Obst gefrühstückt und stehe mit offenem Herzen vor dir. Alles für Dich.“

      Elvira stellte fest, dass sie seine Stimme mochte.

      „Alles für mich? Was würdest Du für mich tun?“

      „Verehrte Elvira, wisse, dass ich Dir gehöre. Du bist mein Traum. Für diesen Traum gebe ich alles. Meine Bilder sind nicht von mir. Sie sind unsere Kinder. Wenn ich male, führst Du meine Hand. Du bist meine Muse. Können wir nicht im Atelier weiter sprechen?“

      Elvira nickte, hakte sich unter und behielt das Ende seines blauen Schals in ihrer Hand. Bis zum Atelier in der Wichmannstraße war es nicht sehr weit. Das Atelier ist von der Straßenseite nicht einsehbar. Die große Arbeitsfläche mit einigen Staffeleien, wenigen Skulpturen aus Sandstein und zwei Werkbänken mit allerlei Werkzeug grenzen an einen offenen Raum, der als Ruhezone dient. Ihm gegenüber ist eine Küche mit einem schweren Holztisch und einer Bestuhlung aus verschiedenen Stilrichtungen eingerichtet. Ein Barwagen befindet sich vor der Küche. Rico reichte Elvira eine Flute.

      „Blau ist eigentlich die Farbe aller denkbaren Sehnsüchte. Nicht umsonst haben die Menschen in vielen Kulturen diese Farbe ...“

      Sie nahm das Glas aus seiner Hand, stellte es auf den Barwagen, ergriff beide Enden seines blauen Schals und zog Rico an sich, bis sich ihre Lippen trafen.

      „Du kannst mich ruhig kratzen mit Deinem Bart, Du blauer Künstler.“

      Rico umarmte sie im Kuss. Sie schwebten. Elvira ließ die blauen Blätter um sich wachsen und spürte das ersehnte große Blau auf ihrer warmen, nach und nach entblößten Haut. Die vierte Dimension und eine weitere nahm sie gefangen. Elvira wusste, dass ein Bild nie fertig ist, auch wenn es einen Rahmen hat. Es gibt eine unendliche Auswahl an Blautönen. Und da kann es stimmen, dass eine Komposition gefällt, wie die Komposition aus Küssen