Gert Podszun

Der rasierte Fisch


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wenn wir da feiern würden.“

      „Einverstanden, Angelika. Morgen früh sprechen wir mit den Kindern und fragen sie, wie sie den Abschied feiern möchten. Dann sprechen wir mit Deiner Mutter.“

      Grete Brömmelsiek, die Mutter von Angelika, hatte das Lieblingsgericht ihrer Tochter, Ochsenzunge in Madeirasauce, vorbereitet und den Tisch im selten genutzten Wohnzimmer gedeckt.

      „Ich freue mich, dass wir noch ein wenig Zeit haben, bevor Dein Mann mit den Kindern kommt.“

      „Ja, weißt Du, die Kinder wollten eine Abschiedsparty mit ihren Freunden machen und da gehört ein Besuch bei McDonalds dazu. Wir haben also noch genug Zeit.“

      „Ich bin froh, dass wir Zeit mit uns alleine haben, mein Kind. Du bist hier aufgewachsen. Du hast hier Deine Schulfreunde. Du bist hier in die Kirche gegangen. Ich sehe noch Dein Gesangbuch mit dem Goldschnitt vor mir. Kind, ist das der richtige Weg? Nach Berlin? Du kennst doch so etwas nicht. Solche Großstädte. Da bist Du schnell allein. Der Sohn von der hiesigen Brotfabrik war immer hinter Dir her. Sogar Blumen hatte er Dir geschenkt, Und der Pfarrer hätte es auch gut gefunden.“

      „Mama, das ist doch alles vergessen.“

      „Aber Du bist doch von hier.“

      „Ja, aber wir sind mittlerweile keine Dorf- und Stadtmenschen mehr, sondern Europäer oder Kosmopoliten.“

      „Schmeckt es Dir?“

      „Gut wie immer.“

      „Siehst Du, das wirst Du dann nicht immer haben können.“

      „Ich kann mittlerweile auch kochen, liebe Mama.“

      „Ich kann Dir ja nichts verbieten oder vorschreiben. Vielleicht sind ja so zugereiste Männer wie der Richard ganz gut. Aber ich werde Dich sehr vermissen. Deswegen bin ich ein bisschen komisch. Wenn doch Berlin in Bielefeld wäre.“

      Angelika spürte, dass ihre Mutter ein paar Tränen unterdrückte.

      „Es ist doch gar nicht so weit bis Berlin. Du wirst uns bestimmt oft besuchen. Das wird Dir Spaß machen.“

      „Du weißt, dass ich nicht mehr so ganz fit bin. Seit Papa gestorben ist, geht es mir nicht besser. Ich werde dann ganz alleine sein.“

      „Du hast doch die Frauenhilfe und die Kirche.“

      „Ja, ja.“

      „Wenn man viel alleine ist, wird man leicht depressiv.“

      „Mama, Du bist doch immer sehr viel unterwegs und hast alle Deine Freundinnen hier. Wir gehen jetzt nach Berlin. Und Du wirst uns oft genug sehen.“

      „Es ist schon schade, dass die Familien so auseinander gehen.“

      Angelika hatte nicht das Bedürfnis, dieses Gespräch weiterzuführen.

      Richard, Andrea und Julian feierten zusammen mit ihren Freunden den Abschied von Bielefeld auf dem Spielplatz eines Schnellrestaurants. Nach dem Fest trennten sich die Freunde. Richard fuhr mit seinen Kindern Angelika und ihrer Mutter.

      Unterwegs fragte Andrea:

      “Ist Berlin schöner als Bielefeld?“

      „Berlin ist viel, viel größer. Es gibt viele Seen und viele Wälder. Wir haben eine schöne neue Wohnung. Ihr beide bekommt eigene große Zimmer. Ihr werdet schnell neue Freunde finden. Und wir können zusammen schöne Ausflüge machen. Und außerdem könnt ihr bald mit der Mama zusammen nach Berlin fliegen.“

      „Und die Oma, kommt die mit?“

      „Ich glaube, die Oma wird uns viel besuchen.“

      Andrea kuschelte sich an ihren Papa.

      „Ich habe Angst. Das ist alles fremd.“

      „Weißt Du, mein Kind, wenn man größer wird, so wie Du, dann kommen immer wieder neue Dinge auf einen zu. Man muss sich mit ihnen beschäftigen. So ist das auch mit Berlin und unserer neuen großen Wohnung.“

      Richards Schwiegermutter erwähnte die Gaststätte ihrer Freundin Bockstette nicht mehr.

      Julian schmiegte sich an seine Mama.

      „Ich packe jetzt meinen Teddy ein.“

      Die Umzugsfirma übernahm den Hausrat.

       11

      Wieder in Berlin. Noch ein paar Tage im Hotel. Dann wird die neue Wohnung bezogen. Der Start für eine neue Karriere. Ein neues Glück. Richard drückte seine Fäuste zusammen. Er fühlte sich stark und auf einem guten Weg. Das wäre in Bielefeld nicht möglich gewesen. Heute sollte der Mietvertrag für die neue Wohnung unterschrieben werden. In Bielefeld hatte Richards Familie in den letzten Jahren von Schwiegermutters Gnaden gewohnt. Symbolisch gehörte dazu der große Garderobenspiegel, den seine Schwiegermutter ihm geschenkt hatte, als er mit seiner jungen Frau die Bielefelder Wohnung bezogen hatte.

      Jetzt konnte Richard erstmals eine Heimstatt für seine Familie ohne Einfluss Dritter schaffen. Es war für ihn so, als wenn er Verliebtsein, Hochzeit und die Geburt der Kinder verdichtet erleben würde. Seine Erfolgsfreude packte ihn. Jetzt konnte er seiner Familie endlich zeigen, dass er ihnen ein schönes Leben gestalten könne. Weit weg von Bielefeld. In einem neuen Heim. In Berlin. Mit einem neuen wichtigem beruflichen Schritt, bei dem die Schwiegermutter endlich keine Rolle mehr spielen würde.

      Er war mit der Maklerin verabredet. Marianne von Bülow, Immobilien Hengst. Sie trug ein dunkelgraues Kostüm kombiniert mit einer engen schmalkragigen Bluse, die die Wölbung ihrer Brüste betonte. Sie genoss, dass Richard während ihrer Unterredung seinen Blick nur selten woanders hinlenkte. Sie trafen sich im reste-fidèle, um den Mietvertrag zu unterzeichnen.

      “Wollen wir den Abschluss nicht mit einem Gläschen begießen?“

      Richard nickte und hatte Wohlgefallen an ihrer Figur gefunden. Er fühlte sich bestätigt. Er war zum ersten Mal in seinem Leben in einer Situation, die sein gewachsenes Selbstbewusstsein verstärkte. Er entschied mit seiner Unterschrift über das neue Heim für seine Familie. Er würde mit seinem neuen Beruf für eine schönere, wohlhabendere Zukunft sorgen. Er schaute die Maklerin an und glaubte, dass sie ihn mochte, als sie ihm ihre private Karte beim Abschied sanft in die Hand drückte.

      Richard war überzeugt, dass er von nun an mit seiner neuen Aufgabe ein besseres Ansehen genießen würde. Schließlich war er jetzt Marketing Manager in einem weltweit arbeitenden Konzern. Marianne von Bülow hatte zu Drink und Imbiss eingeladen. Das war ein guter und selbstverständlicher Abschluss der Vertragsunterzeichnung. Eine Art gefühlter Erfolgsprämie. Erfolg ist süß und macht hungrig. Er dachte an Morgen.

      Das war sein erster Tag in der neuen Firma. Auf dem Weg zum Besprechungszimmer fiel ihm, dass er die Firma, in der Jeannette arbeitete, immer noch nicht angerufen hatte.

      „Meine Damen und Herren, hiermit möchte ich ihnen den neuen Marketingchef vorstellen. Es ist Diplom-Ingenieur Richard Benn. Er verfügt über besondere, wenn nicht einzigartige Kenntnisse in Fernüberwachungssystemen, einem, wie Sie wissen, Schwerpunktbereich für die Zukunft. Ihnen ist ja bekannt, dass für diesen Bereich ein Vorprojekt existierte. Dieses ist noch nicht abgeschlossen, sondern wird nun mit neuer Energie aufgegriffen und fortgeführt. Dazu werden Sie zu gegebener Zeit weitere Informationen erhalten. Herr Benn wird sich Ihnen in Einzelgesprächen selbst vorstellen. Dann können Sie auch Ihre etwaige Neugierde befriedigen. Ich möchte Sie bitten, konstruktiv mit ihm zusammenzuarbeiten. Er wird zunächst einige Tage im Unternehmen als Fragender verbringen, um unsere Strukturen kennen zu lernen. Danach übernimmt er die volle Verantwortung für den Bereich Marketing und Vertrieb.“

      Dr. Hartweich schaute in die Runde der Mitarbeiter und deutete auf Richard Benn. Richard verneigte sich vor der Schar seiner neuen Mitarbeiter:

      „Guten Tag, meine Damen