Gert Podszun

Der rasierte Fisch


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warum Du das wissen willst. Warst Du nicht auch hinter ihr her?“

      „Das waren viele. Sie hatte langes blauschwarzes Haar, welches fast bis zu ihrem Po reichte. Es war leicht gewellt und glänzte bei jedem Licht. Alle waren fasziniert. Selbst unser Professor, wenn er mal mit auf einem der Unifeste war, stakste hinter ihr her. Und der Kommilitone Schürzenjäger, wie hieß der noch, ach ja, Bachmann, Walter Bachmann, der ließ alles stehen und liegen, wenn Jeannette auftauchte. Aber sie mochte ihn nicht. Ich selbst hatte Gefallen an ihr, aber ich kam irgendwie nicht an sie heran. Sie hatte so einen Blick, der einem sagte, dass es keinen Sinn hat, mit ihr engeren Kontakt aufnehmen zu wollen. Au, jetzt habe ich schon zu viel gesagt. Jetzt bist Du dran.“

      Richard unterbrach ihn: „Schau mal, da ist das Haus, suche einen Parkplatz, wir reden später weiter.“

      Die Maklerin hatte ihren Wagen so geparkt, dass zwei Parkplätze direkt vor dem Haus blockiert waren. So konnte Ernst Friedrich ohne weitere Suche einparken.

      „Guten Tag, die Herren, Marianne von Bülow, Immobilien Hengst. Ich freue mich, dass Sie so spontan und kurzfristig zu diesem Besichtigungstermin kommen konnten. Sie werden der potentielle Mieter sein, Herr …?“

      Richard stellte sich vor und schloss seiner Vorstellung die seines Freundes an, dem er hier für die Unterstützung dankte.

      „Ja, Herr Peters und ich, wir kennen uns von andern Objekten, weil er für Mitarbeiter in seiner Firma schon oftmals vermittelnd tätig geworden ist. Sie werden nicht in seiner Firma arbeiten?“

      „Nein, ich beginne bei der SignaTec AG.“

      „Eine moderne und aufstrebende Firma im Gesamtkonzern. Ich kenne einige Mitarbeiter aus dem mittleren Management. Hier ist meine Karte.“

      Die Besichtigung des Hauses war nach einer halben Stunde abgeschlossen. Richard erkundigte sich nach einem Exposé und nahm es an sich:

      „Ich werde das Exposé mit meiner Frau das studieren und dann werden wir mit ihnen Kontakt aufnehmen. Betreuen sie dieses Objekt alleine?“

      „Ja, wir sind so organisiert, dass jeder Mitarbeiter im Außendienst ein Portefeuille von Objekten hat, für deren Vermittlung er alleine verantwortlich ist.“

      Marianne von Bülow streckte Richard ihre Hand entgegen. Er hielt sie für einen Moment fest. Sein Blick streichelte ihre rotblonden Haare, die grünen Hänger an ihren Ohren und verweilte kurz bei den Sommersprossen auf ihrer Stirn, glitt in das Blaugrün ihrer Augen, fiel über die vollen Lippen ihres leicht geöffneten Mundes über das auffallende pralle Dekolleté auf ihre Hand, welche den angehauchten Handkuss entgegen nahm.

      „Sie hören von uns. Vielen Dank für Ihre Zeit.“

      Richard und Ernst Friedrich winkten der Maklerin beim Wegfahren hinterher.

      „Das Haus könnte mir gefallen, aber ich muss erst mit Angelika darüber sprechen. Sie hat ja mit Elvira auch noch Alternativen gefunden, denke ich. Und ihr soll es ja auch gefallen.“

      „Du hast ja eine zeitliche Option auf das Haus von vierzehn Tagen, da könnt ihr in Ruhe überlegen. Den Termin mit Frau von Bülow kannst Du dann ja selbst machen. Apropos Termin. Hast Du damals eine Verabredung oder mehr mit Jeannette gehabt?“

      Richard erinnerte sich:

      „Keiner wusste davon. Ich hatte lange gebraucht, bis ich Jeannette wirklich habe näher kennen lernen können. Ich bewunderte nicht nur ihre bemerkenswerten Haare, das hast Du ja selbst bestätigt. Sie hatte immer eine ausgezeichnete Körperhaltung, so als wenn sie in einer Tanzshow auftreten wolle, einen angenehmen geschmeidigen Gang. Ihre Hüften bewegten sich natürlich, vollkommen. Ihre Figur ist heute noch attraktiv, wenn sie wirklich Jeannette ist. Auf Deinem Fest habe ich festgestellt, dass sie immer noch die Kleidergröße von früher trägt. Ihr Busen ist vielleicht eine Körbchengröße gewachsen. Es steht ihr sehr gut.“

      „Erzähle nicht so lange. Warst Du mir ihr zusammen?“

      „Jeannette spielte damals in meinem Leben eine wichtige Rolle und das wirkt sich bis heute aus. Wir haben uns während einem dieser Studentenfeste kennen gelernt. Ich erinnere mich noch an unser erstes Gespräch. Ich wollte gerade gehen. Sie rief mir zu:

      „Du kannst doch nicht gehen. Du hast doch eine Verantwortung!“

      „Wie, Verantwortung?“

      „Ja, nicht nur für Dich, sondern auch für die anderen.“

      „Wieso?“

      „Du bist ein Teil dieser Gemeinschaft. Da kannst Du Dich nicht einfach herauslösen!“

      Ihre Stimme klang bestimmend und herausfordernd. Mich reizte es, dieses Spiel mitzumachen und reagierte:

      „Ich bin ich und mache was ich will.“

      „Wenn das jeder so täte, wären wir heute alle nicht hier.“

      „Glaubst Du wirklich, dass es noch einen Gemeinsinn gibt, dass wir wirklich etwas gemeinsam haben?“

      „Wir leben zum Teil davon, dass es diese Gemeinschaften gibt.“

      „Das meinst Du jetzt aber eher politisch.“

      „Was ist denn Politik anderes als verbindliches Planen und Handeln für die Gesellschaft.“

      „Ich glaube, wir können dieses Thema nicht hier und jetzt abschließend behandeln. Ich lade Dich zu einem fortführenden Gespräch bei mir ein. Einverstanden?“

      Jeannette antwortete zunächst nicht. Wir gingen aufeinander zu wie magnetisiert. Wortlos. Und schauten uns in die Augen. Ihre Augen hatten eine Tiefe, die ich zuvor nie erlebt habe. Ich hatte das Gefühl, in diese Augen eintauchen zu können und dort in einen Strudel zu geraten, der Begriffe aufhebt, die Schwerkraft ausschaltet und Raum und Zeit erneuert. Wir standen voreinander, wie lange, weiß ich nicht mehr. Aber es war wie eine Verabredung mit einer anderen Welt. Ich habe kein Blinzeln gemerkt.

      Irgendwann wurde ich durch einen Schubs aus dem Bann ihrer Augen gerissen und nahm ihre Antwort entgegen;

      „Ich bin neugierig. Ich werde Dir beweisen, dass auch Du ohne die Gemeinschaft nicht leben kannst. Wir sehen uns bei Dir. Ich habe Deine Adresse. Wann?“

      Wir trafen uns wenige Tage später. Ich hatte Wein besorgt, ein wenig Salat vorbereitet und eine Pizza im Herd. Sie war pünktlich. Ihre Haare glänzten auch bei dem spärlichen Kerzenlicht. Wir sahen zunächst schweigend hinaus in den Abendhimmel. Ich hatte das Gefühl, dass es keine Zeit mehr gab.

      Die Wolken über uns hatten hell-lila-farbene Unterkleider angelegt. Das späte Sonnenlicht wandelte sie in ein rosarotes Tagesvergessen mit einem feinen Glanz von feinem Hoffnungsschimmer an den flauschigen Rändern. Wir schwiegen. Aus der Tiefe dieser Stille kam ihre Frage:

      „Was für eine Art von Politiker bist Du?“

      „Ich bin kein Politiker!“

      „Jeder, der in einer Gemeinschaft lebt, ist zwangsläufig ein Politiker.“

      „Aber!“

      „Nein, kein Aber, Du bist Politiker, entweder aktiv oder passiv, weil Du da bist, weil Du in einer Gemeinschaft lebst, ob Dir das passt oder nicht.“

      Ich schaute in ihre Augen und sah, dass sie eine Botschaft für mich hatte, die ich noch nicht sofort verstehen würde. Aber ich würde so lange mit ihr sprechen und ihr zuhören, bis diese Botschaft mich erreichen würde. Sie war nicht fanatisch, aber überzeugt von dem Gewicht dessen, was sie mir sagen wollte. Ich bot ihr Wein an. Wir saßen zusammen am Tisch und aßen den Salat.

      Sie übernahm die Initiative zur Fortsetzung des Gesprächs.

      „In der Entwicklung eines jeden Lebens gibt es die Phase der Bestimmung des individuellen Lebenszweckes. Man macht sich ein Bild von dem, was in dem eigenen Leben noch geschehen soll.