Gert Podszun

Der rasierte Fisch


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Wie geht es euren Kindern? Sie sind doch gesund, oder?“

      Angelika nickte.

      „Danke, alles prima. Den ersten Gruß hat Richard ja heute verdient, oder?“

      Eine Mitarbeiterin der Cateringfirma reichte Getränke.

      „Stößt Du mit mir an?“

      Ernst Friedrich nahm sie in den Arm und überreichte ihr ein Glas Crémant. Angelika nahm den ersten Schluck. Sie musterte seine Krawatte. Die hatte rosafarbene und grau geneigte Querstreifen. Richard hielt ein Glas Rotwein in der Hand.

      „Sag mal Ernst Friedrich, was ist das für ein Überraschungsgast? Du erwähntest, dass es eine Frau ist. Kenne ich sie? Vielleicht von früher?“

      „Eine Überraschung wird nicht verraten, mein Freund. Sonst wäre es ja keine.“

      Richard schaute sich in der geladenen Gesellschaft um und hoffte, ein paar bekannte Gesichter von früher zu sehen. Wie sehen Gesichter aus, die man über mehr als zehn Jahre nicht gesehen hat? Aber er konnte kein bekanntes Gesicht entdecken. Sein Blick schweifte dann neugierig immer wieder zur Eingangstür. Wer kann wohl diese Frau, der Überraschungsgast, sein? dachte er bei sich und leerte sein Glas.

      „Eigentlich ist das ja egal. Ich bin ja schließlich hier bei Dir, um meine neue Position zu feiern.“

      Er nahm ein neues Glas und schob sich langsam zwischen die nahe beieinander stehenden Gäste. Ob ich auch einmal solche Feste geben werde, wenn ich erst einmal hierher gezogen sein werde? fragte er sich und nippte an seinem Glas.

      Eines der vielen Gesichter in der Menge kam ihm bekannt vor. Vielleicht ein Studienkollege? Während er versuchte, dieses Gesicht einem der Bilder seiner Vergangenheit zuzuordnen, wurde es merklich still im Raum und viele Blicke richteten sich auf die Eingangstür. Richard erfasste schnell das Gesicht der eintretenden Frau, suchte es unter den Gesichtern in seinem Gehirn und prüfte, ob es wirklich eine Überraschung war. Er war unsicher, ob er dieses Gesicht kennen würde, ihm wurde spontan etwas wärmer. Er schaute in ihre Richtung und überlegte: Ist sie alleine gekommen? Könnte ich sie kennen? Ich muss näher an sie heran kommen, wissen, ob ich sie kenne, vielleicht von damals. Eigentlich sollte mir das egal sein.

      Ernst Friedrich begrüßte die Dame überherzlich und warf dabei kurz einen Blick in Richards Richtung. Richard hatte den Eindruck, dass Ernst ihn gezielt neugierig machen wollte. Er reagierte nur in Gedanken. War diese Frau vielleicht damals während des Studiums auch bei den Studentenfesten? Er hatte sein Glas inzwischen geleert und nahm sich noch einen Drink von einem der angebotenen Tabletts.

      Angelika war mit Elvira in ein Gespräch vertieft. Richard konzentrierte sich darauf, die Schritte und Bewegungen der gerade eingetretenen jungen Dame zu verfolgen. Langsam bahnte er sich einen Weg durch die Gäste. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Eingangstüre erneut und ein großer Herr mit hellen grauen Haaren trat ein. Es war Dr. Ferdinand Hartweich. Er überragte mit seiner Körperlänge alle Gäste. Viele Blicke richteten sich auf den neuen Gast. In die dadurch aufkommende kurze Ruhepause lauschte Richard nach der Stimme der jungen Dame. Er hörte sie nicht wirklich und dachte insgeheim fürchtend und hoffend zugleich. Das könnte vielleicht Jeannette sein!

      Sie ist, wenn sie die Vermutete ist, damals oft Gast bei den Studentenfesten gewesen und wurde von den Kommilitonen sehr begehrt. Richard spitzte seine Ohren in ihre Richtung.

      „Endlich bis Du da! Ich freue mich!“

      Sie drängte sich dem neuen Chef von Richard zu einer vertrauten Umarmung entgegen. Dr. Ferdinand Hartweich küsste sie sanft auf die Stirn und gab ihr eines von den dargebotenen Champagnergläsern. Danach prostete er ihr mit einem weiteren Glas zu.

      Richard blieb stehen und hatte das Gefühl, dass er sich an seinem Glas festhalten müsse. Angelika kam auf ihn zu:

      „Meinst Du, dass zu Hause in Bielefeld alles in Ordnung ist? Ich bin ein wenig in Sorge.“

      „Deine Freundin Gisela passt doch auf unsere Kleinen auf. Da musst Du Dir doch keine Sorgen machen. Gisela ist doch ein Schatz. Sie hat bisher doch immer gut aufgepasst. Und sie hat unsere Mobilnummer. Mache Dir bitte keine Sorgen. Wir haben schließlich heute etwas zu feiern!“

      Richard bekam plötzlich das Gefühl, die dicht gedrängte Gesellschaft der Partygäste verlassen und allein ins Hotel fahren zu müssen. Die junge Dame Überraschungsgast kann mir doch egal sein! Doch das Bild der vielleicht noch unbekannten Frau an der Seite von seinem neuen Chef und die Erinnerungen an die Zeiten des Studiums in Berlin hielten ihn fest. Außerdem würde es seinem neuen Chef vielleicht nicht gefallen, wenn er verfrüht gehen würde. Zudem verließ ihn diese unangenehm bohrende Neugierde, die er nicht beherrschen konnte, nicht. Er wollte der jungen Frau noch an diesem Abend in die Augen sehen. Er musste zwingend wissen, ob es Jeannette war.

      Dr. Ferdinand Hartweich erblickte Richard und wandte sich an die Dame:

      „Schau’ doch mal, da ist Herr Diplom-Ingenieur Benn. Er fängt bei uns als Marketing-Manager an.“

      Richard ergriff die dargebotene Hand der Dame und beugte sich mit einem gehauchten Handkuss darüber.

      „Ich freue mich!“

      Er suchte ihre Augen. Das Licht dieser Augen kann man nicht umschminken. Er schwieg. Das könnte Jeannette sein. In seinem Kopf lief ein Film ab. Über die Feste während des Studiums. Dort hatte er Jeanette kennen gelernt. Er konnte sie jetzt natürlich nicht daran erinnern. Er war doch noch unsicher. Das Ende seines immer noch in ihm ablaufenden Films über damals hatte mit einer schlierigen Fensterscheibe zu tun. Die Bilder waren noch nicht so klar. Er schaute erneut in ihre Augen:

      „Ich freue mich, Sie zu sehen. Auch bin ich auf die neue Aufgabe in der Firma gespannt. Sie haben sicherlich etwas miteinander zu besprechen. Ich kümmere mich um meine Frau. Wir werden uns bestimmt noch begegnen.“

      Richard verneigte sich und drehte sich um, um seine Frau zu suchen. In diesem Moment hörte er die etwas erhöhte Stimme von Dr. Hartweich:

      „Passen Sie doch auf! Haben Sie mich nicht gesehen?“

      Richard drehte sich zu der Stimme um und sah, dass das Sakko von Dr. Hartweich angefeuchtet war. Augenscheinlich hatte ihn jemand angerempelt. Dabei war ein Teil des Inhalts seines Champagnerglases auf sein Sakko geschwappt. Durch die dadurch erzeugte Abwehrbewegung hat er eine neben ihm stehende junge Dame etwas geschubst und in der Folge eine Rückwärtsbewegung ausgelöst, wodurch der hinter der Dame stehende Herr die Spitze eines hochhackigen Schuhs auf dem seinen zu spüren bekam. Richard erhaschte in diesem Moment einen Blick der Überraschungsdame und sagte sich: Jeannette, Du bist es! Er drehte sich schnell. Suchte Angelika. Es wird Zeit, die Party zu verlassen. Auf dem Weg durch die Gästeschar fragte er sich, wo und wie er Jeannette allein finden können würde.

      Richard sah seinen Freund an. Dachte an die Anmerkung über den besonderen Gast. Fühlte Zorn und Zwang zugleich. Und war wie magnetisch von seinem Freund angezogen. Ernst Friedrich bemerkte diesen Blick zunächst nicht. Aber Richard hob sein Glas hoch über sich in die Luft, machte sich schlank und drängte sich durch die Gästeschar, um ihm eine Frage stellen zu können. Er hatte nur noch Augen für den kürzesten Weg zu ihm und hastete weiter. Er fragte ihn von hinten:

      „Wo wohnt Jeannette?“

      Ernst Friedrich drehte sich um und sagte: „Angelika möchte noch ein Gläschen. Ich kümmere mich.“

      Richard trat zur Seite und sah Angelika vor sich, die durch den Körper von Ernst Friedrich verdeckt gewesen war.

      „Was wolltest Du von Ernst Friedrich wissen?“ fragte sie, und Richard hielt sein Glas an den Mund:

      „Wir beide sollten endlich etwas zusammen trinken. Vielleicht tanzen wir noch ein wenig.“

      „Aber Du wolltest vorhin doch schon gehen.“

      „Wo ist Elvira? Hast Du mit ihr schon über Wohnungen oder Häuser gesprochen? Kennt sie Makler?“

      „Ja,