Gert Podszun

Der rasierte Fisch


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ist. Man erstellt den Entwurf eines Lebens, das Bild des zukünftigen Sein-Wollens. Und da dieses zukünftige Sein-Wollen nicht in einer faktischen Abgeschiedenheit stattfinden kann und wird, ist man zwangsläufig in einem politischen Umfeld, wobei ich hier politisch im ursprünglichen Sinne verstehe, nämlich insoweit, als der Begriff Gemeinschaft gemeint ist.“

      „An dieser Stelle muss ich Dir Recht geben. Man ist ja zwangsläufig von Mitmenschen umgeben, egal wo. Selbst Einsiedler sind auf andere Menschen angewiesen, weil sie nicht alles für ihr Leben alleine leisten können, um zu überleben.“

      „Gut, dass Du dieses Beispiel nennst. Wenn Du Deinen Lebensentwurf machst – und das findet ja mehr in der Jugend statt als im hohen Alter – musst Du Dich auf eine spätere Einsamkeit vorbereiten. Daran kommst Du nicht vorbei, gleich ob Du allein leben willst, ob Du Familie haben willst oder ob Du auf einer dieser vielen Bühnen stehen wirst, die das Leben anbietet. Du musst bereit sein für Deine Autonomie, die sich aus Dir entwickeln wird. Es bleibt eine Einsamkeit. Sie mag begleitet sein. Von Freunden, von Partnern, von Kindern, von Fremden.“

      „Woher weißt Du das und wie kommst Du auf solche Gedanken?“

      „Meine Eltern sind früh gestorben. Ich habe aus dem Leid gelernt. Und es ist in mir. Auch macht es mir Angst.“

      „Man sagt, dass Angst stark macht, so wie Leiden stark macht. Ist das so? Entsteht durch Angst und Leiden Kraft?“

      „Ja, die Kraft zur Gelassenheit, zum Verzicht, zur politischen Verantwortung, zum Verzicht auf Eitelkeit, zum Genuss des Daseins und zur Akzeptanz der Gefühle.“

      „Wie kommt man Deiner Meinung nach dahin?“

      „Zunächst muss man sich selbst mit seinem Lebensentwurf annehmen und seinen Weg gehen.“

      „Und wenn man den Weg betritt?“

      „Ist gleich alles anders.“

      „Dann kann man das doch gleich vergessen!“

      „Nein, gehen musst Du sowieso. Durch die Erfahrung des Weges kommt die Reife zur großen Bescheidenheit. Darin liegt die Basis für ein etwas größeres Glück.“

      „Hast Du es schon gefunden?“

      „Ich bin auf dem Weg.“

      Wir schwiegen in dem nur von wenigen Kerzen belichteten Raum.

      Der Abend hatte inzwischen seinen Abschied genommen von dem lebendigen Tag. Das späte Blau des sternenlosen Himmels rang mit dem wachsenden Schatten der kommenden Nacht.

      Ich konnte mich nur schwer von dem Anblick ihrer selbst in diesem späten Licht noch glänzenden Haare lösen.

      Ich suchte nach ihrer Hand und nahm sie in meine.

      „Willst Du mich begleiten?“

      „Es gibt immer Wege, die man alleine gehen muss. Stelle Dir einen Tanz vor, Musik, Harmonie, aber jeder muss dabei seine eigenen Schritte machen. Selbst wenn die Tanzenden die schönsten Gefühle haben und schweben, bleiben doch ihre Schritte getrennt.“

      „Gibt es einen Ausweg, so wie Glauben oder Liebe?“

      „Das sind Stützen oder Hilfen, die einen glauben machen, dass die Schritte leichter zu gehen sind. Aber das eigene Gewicht bleibt.“

      „Ich werde über mein Gewicht nachdenken.“

      „Und ich werde jetzt gehen. Wir sehen uns wieder.“

      Wir trennten uns langsam. Ich hauchte Jeannette einen Kuss auf die immer noch fest gehaltene Hand.

      „Ich hoffe bald.“

      Ernst Friedrich erwartete die Fortsetzung der Schilderung und blickte fragend.

      „Ich war aufgewühlt und wollte ihr nachlaufen, aber ich konnte es nicht. In dieser Nacht habe ich kaum geschlafen.“

      „Und wann habt ihr euch wieder gesehen?“

      „Ernst Friedrich, ich mache Dir einen Vorschlag: Du nennst mir ihre heutige Adresse und ich erzähle die Geschichte später weiter. Jetzt möchte ich gerne eine Pause haben. Ich muss viel nachdenken. Und wir treffen ja gleich unsere Frauen wieder. Da möchte ich schon gegenwärtig sein.“

      „Ich bin einverstanden.“

      Ernst Friedrich öffnete die Wagentür und schaute Richard ernst an:

      „Bevor ich dir die Adresse gebe, muss ich Dir etwas erklären: Wie Du weißt bin ich Wirtschaftsjournalist bei der ADCO AG. Ich kenne natürlich die Interna und die Betriebsgeheimnisse und bin gehalten, keine Informationen, egal welcher Art, weiter zu geben. Jeannette arbeitet in einer Unternehmensberatungsfirma, welche auch für die ADCO AG tätig ist. Dr. Hartweich hat früher in der ADCO gearbeitet. Ich möchte nicht als Informant genannt werden, auch wenn es nur die Adresse ist. Ich gebe Dir die Karte der Unternehmensberatung zur Ansicht. Du kannst Dir die Adresse notieren. Mehr kann ich da nicht tun. Ich hoffe, dass Du das verstehen kannst.“

      Richard nahm die Karte, notierte sich die Adresse in seinem Mobiltelefon und bedankte sich.

      „Das ist in Ordnung, diese Adresse wird mir sicher helfen, Jeannettes private Adresse ausfindig zu machen.“

      Sie fuhren zu dem Treffpunkt mit ihren Frauen.

      Richard wandte sich an seinen Freund:

      “Ich gehe davon aus, dass die Sache mit der Adresse unter uns bleibt.“

      „Selbstredend.“

      Wenig später sahen sich die beiden Paare wieder. Alle erhaltenen Unterlagen über die möglichen Wohnungen wurden besprochen. Angelika sammelte alle Unterlagen zusammen und wollte sie mit nach Bielefeld nehmen. Dort wollte sie alles sichten. Zuletzt fragte sie:

      „ Es wird doch noch ein paar weitere Angebote geben?“

      Ernst Friedrich konnte sie beruhigen.

      „Das ist erst der Anfang. Über unsere Firma bekommt Ihr noch weitere Angebote. Das dient erst einmal der Einstimmung, damit Ihr wisst, wie hier die Konditionen und die Preise sind. Außerdem wird der neue Arbeitgeber von Richard Euch bei der Suche auch noch unterstützen. Es gibt da eine Mitarbeiterin in meiner Firma, die den Angestellten des Konzerns bei Wohnungsfragen zur Seite steht. Ich gehe davon aus, dass Richard schon am Montagmorgen weitere Objekte vorgelegt bekommt. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn er die gleich besichtigt, dann habt Ihr schneller eine noch bessere Übersicht.“

      Angelika versank einen kurzen Moment in Nachdenklichkeit und schaute dann Richard an: „Wir haben ja schon geklärt, dass ich am Sonntag fliege und Richard frühestens am Montag. Da könnte er auch noch etwas länger bleiben.“

      An Richard gewandt fragte sie nach:

      „Wie ist das eigentlich mit der Probezeit? Normalerweise gibt es doch eine Probezeit, wenn man eine Stelle neu antritt. Oder gilt das hier bei Dir nicht?“

      Richard setzte ein strahlendes Lächeln auf. „Du hast grundsätzlich Recht. In den meisten Verträgen wird eine Probezeit vereinbart. Wir haben aber bei den letzten Gesprächen in Anwesenheit von dem Geschäftsführer der Personalberatungsgesellschaft und dem verantwortlichen Vorstand eine Qualifizierungsprüfung gemacht. Die habe ich bestanden. Man hat mir schriftlich zugesichert, dass die Probezeit in meinem Falle nicht wirksam ist. Das steht auch im Anstellungsvertrag. Du musst Dir also darüber keine Gedanken machen. Hinzu kommt, dass alle Mitarbeiter des Vorstandes und in meiner Ebene eine kontinuierliche Gesundheitsvorsorge erfahren. Aber Du hattest natürlich einen wichtigen Einwand.“

      „Dann wollen wir uns noch einen schönen Samstag machen.“ schlug Ernst Friedrich vor. „Angelika fliegt morgen Vormittag. Ich begleite euch gerne zum Flughafen. So braucht Ihr keine Taxe zunehmen.“

      Am Sonntag fuhr Ernst Friedrich Angelika und Richard zum Flughafen.