Walter Kranz

Bora oder Brüche zwischen zwei Schnitten


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      Bora lächelte, stand auf, schlug das violette Badetuch über die Schulter und ging mit dem ihr eigenen Winken weg vom Strand. Vermutlich suchte sie kühlenden Schatten.

      Boras Winken war wirklich etwas nur zu ihr Gehörendes. Etwas Eigenes. Etwas Unnachahmliches. Es begann in den Schultern. Bernard sah, wie die Muskeln ihrer Schulter leicht spielten. Fast nur erzitterten. Dieses Zittern, diese sachte Bewegung, setzte sich über ihren Oberarm fort. Wurde dann am Unterarm deutlicher und bewegte die Hand, die rechte Hand, zu dem unverwechselbaren Winken, das Bernard sich einprägte, sich dabei einredete, dass er es aus tausenden, winkenden Händen erkennen würde können.

      Bernard traf Bora nicht mehr. Nicht mehr diesen Abend. Dennoch ließ sie ihn nicht los. Nicht einmal in der Nacht, als er nach etlichen Versuchen den Schlaf herbeiholte, der ihn übermannte und in eine unruhige Ruhe zwang.

      Es war ein Traum, der ihn bedrängte, den er sich nicht zurückwünscht und der ihn trotzdem vielmals einholt. Meistens am Tag. Selten mehr in der Nacht.

      In diesem Traum sah Bernard Bora in ihrem schwarzweißen Einteiler am Strand liegen. Er hörte, wie einige Männer im Vorbeigehen höhnten, dass die etwas zu verbergen habe, weil sie keinen Bikini trage und ihren Körper schamhaft verstecke.

      Bora hörte es, widersprach aber nicht. Doch ihr Aussehen begann sich zu verändern. Ihre Zehen spreizten sich, so dass Häute zwischen den Zehen sichtbar wurden. Die Häute begannen zu wachsen. Wuchsen immer mehr. Überholten bereits die Zehen. Ihre Füße wurden zu Flossen. Bora hatte Schwimmhäute geboren.

      Das Wachsen hörte aber nicht auf. Setzte sich weiter fort. Ließ auch die Leere zwischen den Fingern sich bespannen. Als Bora die Zwischenfingerhäute spannte, konnte Bernard darauf lesen: BORA. Auf jeder der Häute zwischen den Fingern ein Buchstabe: B-O-R-A. Zwischen Daumen und Zeigefinger war keine Haut geboren.

      Die Veränderung hielt an. Boras Brüste verkümmerten und der schwarzweiße Einteiler rutschte langsam nach unten.

      Unter dem Badeanzug trug Bora einen hellgrünen Bikini. Zwischen dessen Unter- und Oberteil wurde sichtbar, was Bora zu verbergen suchte.

      Auf ihrem Bauch stülpten sich wulstige Narben vor, die graugelbrosabraun schimmerten und sich zu überlappen drohten. Das andreaskreuzartig angelegte Narbengewirr schien zu leben, veränderte sich ständig in Farbe, Form und Gestalt. Manchmal, wenn eine Narbe wegkroch, türmte sich über Boras Nabel ein riesiges behaartes Muttermal.

      Bora bemerkte Bernard. Sie begann zu zittern,. Ihre Schwimmhäute flatterten. Bora bewegte sich. Ging auf das Wasser zu. Stürzte sich hinein. Schwamm hinaus. Versenkte sich an geeigneter Stelle.

      Bernard machte Anstalten, um Hilfe zu schreien, aber das Empfinden der Nachtzeit gab ihm die Gewissheit, einem Traum erlegen zu sein. Das beruhigte ihn nicht. Wenn schon einen Bora-Traum, dann hätte er sich einen schöneren, erotischeren gewünscht. Nicht so ein unästhetisches Anschwellen und Absterben von vielem Möglichen. Und irgendetwas bleibt ja immer zurück.

      Am folgenden Tag suchte Bernard vergeblich nach schachbrettenem Badeanzug. Auch das Borawinken konnte er nirgendwo orten.

      Bernard wurde unruhig. Konnte nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. Schwamm hinaus. Suchte nach der Stelle, wo er Bora versinken sah. Das Wasser war nicht sehr tief. Bernard fand genug Helligkeit, um den Grund absuchen zu können. Aber zwischen Steinen und Algen und Fischen und Meerschlamm konnte er keine Leiche erblicken. Auch nicht eine mit Flossen oder Schwimmhäuten.

      Also war's doch nur ein Traum.

      Zurück am Strand versuchte Bernard zu lesen. Sein Lesen war unkonzentriert. Bernards Augen schweiften ab und als sie schließlich die Zopfflechterin entdeckten, ließ sein Interesse an Lektüre nach. Bernards Hirn wurde hellwach.

      Er war ganz auf Bora fixiert. Darum blockte Bernard den erneuten Versuch der Zopfflechterin ab, die mit aufforderndem Blick seine Augen bezirzte und ihn zwingen wollte, seine Augen mit den ihren zu vermählen. Bernard schloss die Augen. Als er sie später wieder mit einem schiefen Blinzeln öffnete, klebten die Blicke der Zopfflechterin noch immer an seinen Lidern. Ihr Mund verzog sich zu einem maskenhaften, grimassigen Lächeln.

      Bernards Fixierung auf Bora, die mit einem einzigen Blick das vermochte, was der Zopfflechterin unter Mühen nicht gelang, hinderte ihn an einem sonst vielleicht wohltuenden, verheißungsvollen Flirt. Er verließ den Strand. Es war ohnehin schon Abend und Bora würde nicht mehr erscheinen und Bernard hatte Hunger und vielleicht stand etwas in einer Zeitung, was ihn fesseln hätte können. Ihn ablenken. Den Abend erträglicher machen.

      Während Bernard in fremdem Stiegenhaus in Erinnerungen wühlt, kommt die junge Frau, die ihn vorhin an Bora erinnerte, wieder die Treppe herunter. Sie winkt mit der rechten Hand, lächelt und meint, es werde noch ein wenig dauern, bis ihre Mutter komme. Noch einmal winkt sie und verschwindet nach oben. Bernard schaut ihr nach und ist sich fast sicher, dass sie Bora ist. Bernard erinnert sich. Er erinnert sich, wie es scheint, gerne an damals.

      Bernard erinnert sich an ein Abendessen auf erwähnter Insel. Während er aß, teilte sich das Gebüsch, das einen Pool umkreiste und heraus trat Bora. Bernard erkannte sie nicht gleich. Sie war völlig in mausgrau gekleidet. Trug flache, mausgraue, stoffige Schuhe. Mausgraue Hosen. Ihren Oberkörper bedeckte ein T-Shirt. Ebenfalls in mausgrau. Bernard fand, dass mausgrau ihr gut stand. Dass ihre Persönlichkeit sichtbar blieb. Irgendwie war sie noch reizvoller, als in schwarzweißem Einteiler. Sie trug die braunen Haare jetzt offen. Die Zopfflechterin hatte ausgedient. Den linken Arm zierte eine Uhr, die ein feingliederiges Uhrband ans Handgelenk fesselte.

      Noch etwas belebt Bernards Erinnerung: Die Bewegung, mit der sie ihre Umhängetasche über die Schulter warf. Eine Bewegung, die Bernard, wenn überhaupt, nur schwierig beschreiben kann. Bernard erinnert sich deutlich an die Farbe der Tasche. Sie war überwiegend in der Farbe rostrot oder rostbraun gehalten. Auch ein wenig Schwarz war vorhanden. Dazwischen eine Art gelb. Auf jeden Fall etwas Helle, und sie war im Dekor mexikanischen Motiven nicht unähnlich.

      Bora warf mit der ihr gemässen Bewegung die Umhängetasche über die Schulter, schaute kurz zum Restaurant und winkte ihr unnachahmliches Winken. Bernard weiß nicht, was ihn veranlasste zurückzuwinken. Aber er tat es. Ängstlich zwar und etwas linkisch, um nicht zu sagen läppisch. Bernard versuchte ebenfalls ein Handgelenkwinken. Ihm war feierlich zu Mute. So, als hätte er etwas Großes, etwas Mutiges getan. Dabei hatte Bora mitunter gar nicht ihm gewunken!

      Bernard war überzeugt, Boras Winken sei für ihn und nur für ihn bestimmt gewesen. Es musste so sein! Niemand sonst hatte Antwort gewunken. Dann war Bora weg. Fort. Um die Ecke. Bernard legte sein Besteck nieder, bezahlte und verließ das Restaurant. Er versuchte Bora zu folgen. Vergebens!

      Bald schon gab Bernard die Suche auf. Die Nacht war herbei gekrochen und im beinahe dunklen Grau der Nacht eine mausgraue Bora finden zu wollen, grenzte fast schon an Überheblichkeit.

      Angelika Schweyer macht Bernards Erinnern ein Ende. Sie kommt langsam, fast bedächtig, die Treppe herunter. Gekleidet in einen dunkelbraunen Morgenmantel, der bei jeder Stufe in Wallung gerät, jedoch nicht rauscht. Es ist überhaupt still und ruhig. Fast peinlich still und ruhig. Bernard steht auf und geht zögerlich zwei Schritte Frau Schweyer entgegen. Sie sieht ihn an, sieht noch einmal hin, nickt dann und sagt:

      „Kommen Sie. Wir werden gemeinsam frühstücken.“

      Bernard versucht, ihr zu erklären, dass er eigentlich nie frühstücke. Nein, nicht einmal eine Tasse Kaffee. Aber Frau Schweyer drängt ihn vor sich her, dirigiert ihn zum ovalen Frühstückstisch, dessen Gedeck sich als edel offenbart.

      Frau Schweyer setzt sich am spitzigeren Rund des Ovaltisches. Bernard bittet sie am flacheren, längeren Teil Platz zu nehmen. Ihm gegenüber ist auch gedeckt. Der Platz ist aber noch frei.

      Frau Schweyer nötigt Bernard zuzugreifen, stellt einen Eierbecher vor ihn hin und schiebt Schinken und Rührei auf den Teller. Auch Marmelade, Butter und Käse stellt sie vor Bernard hin. Dann füllt sie die Tasse mit stark riechendem, schwarzem Kaffee bis zum Rand. Es besteht keine Möglichkeit Milch oder Zucker zuzuführen.

      Darauf