Elmar Weihsmann

Die Enthemmten


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       Impressum neobooks

      1. Teil: Russisches Roulett

      Die Enthemmten

      Thriller über die Jörg Haider-Jahre in Kärnten

      Von Elmar Weihsmann

      1.

      Hödel saß im Bett und spielte russisches Roulette. Er steckte eine Patrone in seinen 38er Revolver und drehte die Trommel. Nach drei, vier Umdrehungen stoppte er das Magazin, richtete die Magnum an die Schläfe und drückte ab.

      Klack!

      Der Stahlbolzen schlug in eine leere Patronenkammer. Hödel hatte sein Spiel gewonnen.

      Nach ein paar Spielen erhöhte Hödel das Risiko und steckte zwei, vierzehn Tage später drei Kugeln in die Sechser Trommel. Nach jedem gewonnenen Spiel legte Hödel die Waffe auf die zerwühlte Matratze und zündete das erste Stäbchen des Tages an. Er rauchte zwei Tschiks, dann nahm er die Waffe, zielte aus dem Fenster und drückte solange ab, bis die Schüsse krachten.

      Es machte Hödel Spaß aus dem Fenster zu ballern und er steckte neue Patronen in die Revolvertrommel.

      Am ersten Tag erschoss er zwei Krähen, die dritte Kugel verfehlte ihr Ziel und durchschlug die Wetterplane von Pepe Rojas Traktor, der auf dem Fahrersitz einen gewaltigen Rausch ausschlief. Die Kugel verfehlte Pepes Rücken um Haaresbreite. Damals hatte Hödel die Flugbahn der Geschossen genau verfolgt und unsicher beobachtete er den Traktor, den die dritte Kugel traf, doch als er gegen Mittag Pepe Roja in den Kreuzwirt taumeln sah, den Einschuss in der Wetterplane hatte er noch nicht bemerkt, wusste Hödel, dass er sich umsonst Sorgen machte.

      Am nächsten Morgen feuerte Hödel wieder aus dem Fenster. Diese Mal traf er noch einen unvorsichtigen Spatzen und die Vogelscheuche auf Pepe Rojas abgeerntetem Maisfeld, die prompt in zwei Teile zerbrach und die niemand mehr vor dem Winter aufstellen würde.

      Seit dem dritten Tag kümmerte sich Hödel nicht mehr um die Ziele seiner Projektile. Im Gegenteil. Er verlor das Interesse an jedem Ziel und beschränkte sich darauf aus dem Fenster zu feuern.

      Erst Anfang September, gut einen Monat nach dem er den amerikanischen Revolver in der Steindorfer Bucht aus dem Ossiacher See heraufgeholt hatte, war sein ungewöhnliches Training aktenkundig geworden.

      Zwei Corps trommelten gegen Hödels Zimmertür im Blue Star Hotel, das er seit den Sommerferien bewohnte, als Hödel den Streit mit seinen Eltern hatte, die nicht einsehen konnten, dass er niemals in einer kleinbürgerlichen Existenz stranden wollte.

      Es war elf Uhr am Vormittag und Hödel, der nie vor Mittag aufstand, war die einzige Menschenseele im Hotel. Die anderen Mieter waren längst an ihren Arbeitsplätzen, die Diebe hielten schon nach unbewachten Häusern Ausschau, die Huren hatten vor Zwölf noch keine Kunden.

      Die beiden Cops standen vor der Tür. Der eine läutete Sturm, der andere trommelte mit den Fäusten gegen die schwache Spannplattentür und brüllte mit hochrotem Kopf: Im Namen des Gesetztes! Aufmachen!“

      In aller Ruhe duschte Hödel, frisierte Gel ins Haar, er zog sein T-Shirt und die Jeansuniform an, mit einem Tschik im Maul öffnete er einen Spalt breit die Zimmertür.

      Sofort warfen sich die beiden Greifer gegen die Tür, doch die Kette hielt dem Anprall der wild gewordenen Bullen stand und die Amtspersonen krachten mit Schultern und Schädeln gegen das Holz.

      „Mach sofort auf, du Arschloch“, knurrte Postenkommandant Metall Hödel an, der ihm provozierend den Zigarettenrauch ins Gesicht blies. Leider stand Hödel zu nahe an der Tür und Metalls Kumpane, ein junger Spund, den sie gerade aus der Polizeischule auf die Menschheit losgelassen hatten, gelang es, Hödel bei den Haaren zu packen. Der Jungbulle ließ sich fallen und Hödel krachte mit dem Kopf gegen den Türstock.

      Postenkommandant Metall nützte die Gelegenheit und trat mit dem Stiefelabsatz in Hödels Schulterblatt, er zog seine Gummiwurst aus dem Gürtel und zertrümmerte mit drei Schlägen die Türkette. Dass sie keinen Durchsuchungsbefehl hatten kümmerte die Bullen nicht. Wer sollte sie anzeigen?

      Von Hödel drohte keine Gefahr, der saß bereits mit gefesselten Händen im Streifenwagen, Hotelportier gab es in der Absteige nur für die Huren in der Nacht und Hödels Eltern standen auf der Seite des Gesetzes, wenn es um die Verfolgung ihres missratenen Sohnes ging.

      Doch die Bullen hatten ein gewaltiges Brett vorm Kopf.

      Sie vermuteten hinter Hödels ungewöhnlichen Verhalten ein Rauschgiftdelikt und suchten vergeblich nach einer Droge. Sie beschlagnahmten ein Fahrtenmesser und zwei Päckchen Tabak, dann schleppten sie ihren jungendlichen Gefangenen zum Polizeirevier. Dort wurde er von vier Cops und einem Kriminalbeamten verhört. Das heißt, die Hände wurden an die Sesselbeine gefesselt und abwechselnd schlugen die vier uniformierten Bullen mit den Gummiknüppeln auf die Oberschenkel und den Rücken.

      Der Kriminalbeamte schlug nicht.

      Hödel schrie und weinte und weil kein vernünftiges Wort aus ihm heraus zu bekommen war, sperrten ihn die Bullen in den Gemeindekotter, um Hödel vorsichtshalber für ein paar Tage von der Öffentlichkeit fernzuhalten, zumindest solange, bis die Striemen der Knüppelhiebe nicht mehr zu sehen waren.

      Fünf Tage später wurde Hödel entlassen. Die Cops ließen ihn das Vernehmungsprotokoll unterschreiben, aus dem hervorging, dass er in der U-Haft weder physisch, noch psychisch misshandelt wurde, dann jagten sie ihn mit ein paar Fußtritten auf die Strasse hinaus.

      Hödel ging sofort in Harrys Bar und ließ sich vollaufen. Er soff bis Sonntagfrüh, schlief auf einer bequemen Polsterbank in der Bar seinen Fetzen aus und soff den Sonntag durch bis zum Montagmorgen. Auf die Frage, wo er die letzten Tage über gesteckt hatte, antwortete er: „In einem Hundezwinger.“

      Mitte der Woche fuhr Hödel, wieder ernüchtert, nach Triest und kaufte am Schwarzmarkt einen Schalldämpfer für seinen Revolver. Seit damals feuerte er kaum hörbare Schüsse ab. Das lautlose Schießen langweilte Hödel und er feuerte nur noch widerwillig aus dem Fenster.

      Die Erlebnisse im Polizeigewahrsam bestätigten sein Österreichbild. Er lebte in einem Scheißland unter angeschissenen Menschen, die eines Tages träge aufwachen würden, um gleichgültig festzustellen, dass sie in einem Polizeistaat wohnten.

      Mit oder ohne Polizeistaat war sich Hödel sicher, dass er durch den Zwang seiner Geburt in einem Land lebte, in dem der Staat seine Bürger nicht einmal einen Furz lassen ließ, ohne, dass sie ein Zertifikat, eine Prüfung oder sonst irgendeine Bescheinigung vorweisen konnten. Deshalb versuchte es Hödel nach seinem Schulabschluss im vergangenen Sommer erst gar nicht mit einer bürgerlichen Arbeit. Seine Neigung zum Fotografen wurde von einem verstaubten Gewerberecht sabotiert und um den Zahlkellner oder den Barkeeper in Harry Bar spielen zu können, hätte Hödel drei Jahre in die Lehre gehen müssen.

      Da verabschiedete er sich beim Arbeitsamt, um den Sommer am Strand zu verbringen, die jungen Holländerinnen zu vögeln und deutsche Touristinnen aufzureißen. Im Sommer erleichterte er zwei Engländerinnen um ihr Bargeld und nebenbei verdingte er sich als Bademeister und Boodsvermieter am Ossiachersee. Damals hatte Hödel Gary noch