Elmar Weihsmann

Die Enthemmten


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in der reiffeuchten Wiese, zwischen den verwaisten, über viele Winter hinweg verwitterten Gartenmöbeln auf, die niemand im Herbst wegräumte. Gary stellte eine Flasche Bourbon auf den Eisentisch und mischte die Farben ab.

      Er sah über die Felder hinweg, um den Horizont nach einem unbekannten Ziel abzusuchen, einer Person, die er kannte, er versuchte das Blue Star Hotel an der Grenze zum Sumpfgebiet zu erkennen, in dem Hödel seit kurzem wohnte, doch die ersten Nebelschwaden und der staubige Wind nahmen ihm die Sicht.

      Gary trank einen Schluck Whisky aus der angebrochenen Flasche. Er führte einige Pinselstriche über die Leinwand. Tav Falco and the Pantherburns dröhnten aus dem Lautsprecher des Ghettoplasters. Über eine Stunde malte Gary bis sein Vater im ersten Stock das Schlafzimmerfenster aufriss.

      „Mach endlich die Affenmusik aus!“ trompetete er in den Garten und Gary antwortete mit einem mürrischen Gebrumm und einer obszönen Gäste.

      Sein Vater verschwand augenblicklich.

      Zufrieden nicht einen größeren Streit provoziert zu haben, trank Gary einen guten Schluck Bourbon, als ihn ein eiskalter Schwall Wasser traf. Der Plastikkübel flog hinterher und riss die Staffelei um.

      „Ich habe dich gewarnt, du Wichser! Ich brauche mir deine Frechheiten nicht länger gefallen zu lassen!“ schrie der Vater und knallte, ohne den obszönen Beschimpfungen seines Sohnes Gehör zu schenken, die Fensterläden zu.

      Gary ließ die Malerei Malerei sein. Rasend suchte er einen Knüppel, um seinem Vater den Schädel zu spalten. Aber kein geeigneter Gegenstand lag im Garten herum. Er rannte zur Haustür, doch die war versperrt. Gary trommelte gegen die Tür.

      „Lasst mich rein! Ihr Arschlöcher! Dann reiß ich euch den Hintern auf, ihr Schweine!“ Er zitterte vor Wut. Erst nach ein paar Minuten beruhigte er sich.

      Gary sank vor der Haustür zusammen. Wieder schweifte sein Blick über den Horizont. Er saß im Sumpf fest. In Wien hätte er bleiben und dort irgendeinen Job annehmen sollen, als Barkeeper, Kellner oder Platzanweiser im Theater, irgendetwas hätte er sicher gefunden. Alles wäre besser gewesen, als im Morast unterzugehen, um weiter unter diesen Besessenen zu leben.

      Er musste einen Job suchen, um wenigstens finanziell unabhängig zu sein, wollte er nicht in wenigen Tagen seine Familie ausräuchern.

      Zwischen den Feldern erkannte Gary den kleinen Hof von Madison und Marianne. Ob die einen Job für ihn hätten? In der Landwirtschaft gab es immer Arbeit, auch auf dem Hof von Biobauern und Aussteigern. Aber konnten die sich einen Knecht leisten? Und hatte er nicht das Landleben schon satt genug? Die Landwirtschaft hatte Gary nie interessiert, aber was kostete es ihm, bei Madison vorbei zu schauen? Im Sommer hatte Madison ihn einmal eingeladen, als er Gary in seinem Pritschenwagen bei strömenden Regen auf der Bundesstrasse auflas.

      Damals unterhielten sie sich ausführlich über Popmusik und Kunst. Damals begriff Gary sofort, dass Madison einer von ihnen war, einer, der in ihrer Clique aufgenommen werden sollte, wäre da nicht seine Frau, die Gary im vergangenen Sommer noch nicht kannte.

      Er raffte sich vom Boden auf. Zog den durchnässten Trenchcoat aus, holte Hammer und Nagel aus der Garage und nagelte den Mantel an die Haustür.

      Zufrieden warf er einen abschließenden Blick auf sein Werk, dann klemmte er sich hinters Steuer seines verrosteten Golf GTI und brauste davon.

      Durch die Hammerschläge aufgeschreckt beobachtet sein Vater hinter den Fensterländen Garys Abfahrt. Er sah den Mantel an der Haustür hängen und ballte die Fäuste.

      „Eines Tages findet sich schon einer der dich umlegt“, stieß er zwischen den Zähnen hervor.

      3.

      Der Besuch bei Madison und Marianne war ein Fehlschlag. Kaum hatte Gary den GTI im Hof geparkt, kam aus dem Hinterhalt eine Dogge herausgeschossen und umkreiste zähnefletschend und bellend den Golf.

      Das Untier sprang auf die Kühlerhaube und zerkratze mit seinen scharfen Krallen den Lack. Der Hund ignorierte die jaulende Hupe und sprang erst vom Kühler, als Gary Gas gab. Er drehte eine 180 Grad Runde und jagte die Dogge vor dem Golf her durch den Hof, ehe das Vieh mit einem linken Haken ausbrach und mit einem Satz über die Hofmauer die Flucht gelang.

      Gary brauste die Ausfahrt zur Bundesstrasse hinunter. Von Links preschte die verrückte Dogge die verdorrte Wiese hinunter, um den Golf bis zur B 94 zu verfolgen. Der klapprige GTI raste, ohne das Tempo zu drosseln in die Kreuzung hinein und schnitt um haaresbreite den Pritschenwagen von Pepe Roja, der sich mit einem wütenden Hupkonzert bedankte. Gary salutierte lässig. Grinsend sah er im Rückspiegel, wie Pepe Roja ihm mit der Faust drohte und das Fernlicht aufblendete. Gary schaltete den CB-Funk ein.

      „Totenkopf an Stinktier, Q.Z.“, posaunte Pepe Rojas Stimme aus dem Lautsprecher.

      „Torpedo an Stinktier, Q.Z.“, antwortete Gary.

      „Irrtum, Hosenscheißer. Das Torpedo bin ich. Bleib stehen, damit ich dir die Eier ausreißen kann!“ donnerte Pepe Rojas Stimme aus dem Lautsprecher.

      „Fuck you! Du hast wohl nichts zwischen den Beinen“, antwortete Gary und schaltete in den vierten Gang.

      Auf der Geraden, die den Hügel hinunter in die Stadt führte blieb Pepe Rojas Pritsche auffällig zurück. Gary beschleunigte weiter.

      Flash.

      Der einbeinige Radarbandit blitze den Golf ab. Gary fluchte. Im Rückspiegel sah er den Blechbullen, den die Polypen erst vor kurzem aufgestellt hatten. Im Sommer gab es im Bezirk noch keine Radargeräte. Pepe Roja ließ die Hupe zu einem Freudengeheul aufjaulen, mehrmals blendete er zum Zeichen des Triumphes das Fernlicht auf. „Hey, hast du noch nie etwas von Geschwindigkeitsbeschränkungen gehört, du Arsch?“ säuselte er zuckersüß ins Mikrophon.

      Gary schaltete auf eine andere Frequenz um.

      Zwei geile Teenager lieferten sich ein akustisches Stöhnduell. Gary versuchte mit einem angenehmen, gleichmäßigen atmen in den Ätherbums einzusteigen, doch die beiden Zapperdoings waren so in ihrem phonetischen Fick vertieft, dass sie ihn einfach ignorierten. Er versuchte das Geschlecht der Gehörficker zu erraten, konnte jedoch nicht feststellen ob es sich um ein Mädchen und einem Jungen, oder um zwei Stuten handelte, so bellte er einfach ins Mikro: „Seit ihr ein geiles Pärchen oder zwei geile Stuten?“

      „Halt die Klappe, schwule Sau“, meldete sich eine vierte Stimme.

      Gary schaltete die Frequenz weiter.

      Über den Polizeifunk hörte er, dass Metall und seine Mannen irgendwo im Bezirk eine Straßensperre aufgebaut hatten, um einen kleinen Kriminellen zu stellen, einen Hühnerdieb oder einen Jungfrauenentferner, andere Missetaten wurden auf dieser Insel der Depperten sowieso nie begangen.

      Wieder wechselte er die Frequenz.

      Zwei Fernfahrer unterhielten sich auf der Autobahn über die Ligaergebnisse.

      Der verrostete Golf erreichte die Stadt und fuhr von der Durchzugsstrasse ab in Richtung Zentrum.

      Wieder wechselte Gary die Frequenz.

      „Willst du mich ficken?“ – „Ja.“ – „Willst du mir den Schwanz in den Arsch stecken“ – „Ja.“ – kamen wieder Stimmen aus dem Lautsprecher.

      „Yeah! Und von vorne auch!“ schnitt jemand Gary das Wort ab.

      Verärgert schaltete Gary von CB-Funk aufs Radio um. Irgendwo in Ktn. hatte eine Einbrecherbande das Waffenarsenal eines Biedermannes ausgeräumt. Sofort dachte Gary an Metalls Straßensperre, doch er verwarf wieder den Gedanken. Er drehte den Frequenzregler weiter.

      Der Golf fuhr schon durch das Zentrum. Gary scherte sich einen Dreck um die Fußgängerzone. Im Gegenteil, er gab Gas und hätte fast einen Jungen übersehen, der sein Mädchen über die Schultern geworfen, die Gasse entlang schleppte. Sie kreischte vor Lachen. Im Rückspiegel beobachtet Gary die beiden. Es waren zwei aus der siebenten Klasse. Er gab ihr einen Klaps auf den, von einer Stretchjean