Elmar Weihsmann

Die Enthemmten


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dem Überfall erfahren? Die Bar galt als Zentrale des städtischen Klatsches. Wer konnte so ein Verbrechen verüben? Gründe gab es genug. Doch wer hatte wirklich die Härte so zuzuschlagen? Sicher war es kein Fighter aus Lou Hofers Clique, die hatten die Hosen gestrichen voll. Wer war’s?

      Um halb acht gingen Ute und Renate. Ab halb neun war Harry alleine in der Bar. Um zehn kamen vier Schulschwänzer. Sie verdrückten sich sofort zu den Billardtischen. Harry hörte sie von Lou und Marie Antoinette reden, die Nachricht vom Überfall macht die Runde.

      Um ein Uhr parkte Gary seinen grünen GTI vor der Bar. Er stieg in Begleitung von Hödel und Mike aus. Sie waren in bester Stimmung.

      „Ab heute gehen wir eine Woche bei dir frei!“ rief Gary und die drei ließen sich an einem Kaffeehaustisch nieder.

      6.

      Gary, Hödel und Mike leerten bis achtzehn Uhr gut dreißig Krügel Bier und einen Liter Whisky. Alle drei hatten schwere Schlagseite, als sie ohne einen Grossen hinzulegen aus Harrys Bar wankten. Sie trabten zu Garys GTI und zuckelten in Schlangenlinien davon, um zum Fußballtraining zu fahren.

      Trainer Herdhitze schäumte vor Wut, als er die drei Alkleichen auf dem Sportplatz sah.

      „Ihr schwulen Ärsche! Ihr wagt es in diesem Zustand beim Training aufzukreuzen! Kein Wunder, dass wir jedes Spiel verlieren! Die einen Blindgänger sind Säufer, die anderen Zylinder sind Hurenböcke! Ab unter die Dusche mit euch!“

      Mike kotzte Trainer Herdhitze auf den frisch gebügelten Trainingsanzug und fing einen Hammer ab, der ihn zu Boden streckte.

      „Los, schnappt euch das homosexuelle Schwein und ab unter die Dusche“, schnauzte Herdhitze Gary und Hödel an.

      Mit ein paar Fußtritten bugsierte der Trainer seine angeschlagenen Spieler in die Garderoben. Alle drei mussten sich in den Duschtassen übergeben. In den Umkleidekabinen verbreitete sich ein ekeliger Gestank, der den Groll der eintrudelnden Mannschaft auslöste. Der Rechts- und der Linksaußen krempelten die Ärmel hoch um die Mittelfeldspieler für ihre Schweinereien zu verdreschen.

      Die beiden Torhüter weigerten sich überhaupt die Dressen anzuziehen. Die Jorda-Brothers zogen in die Kantine ab.

      Trainer Herdhitze stoppte den Exodus.

      „Wer wird denn bei dem bisschen Kotze schlappmachen, ihr Hosenscheißer? Das sind nicht die ersten Vollidioten, die blau zum Training kommen.“

      Er sperrte die Garderoben der Gästemannschaft auf und verscheuchte die Jorda-Brothers aus der Kantine.

      „Wenn ich euch in zehn Minuten nicht auf dem Spielfeld sehe, gibt es Senge“, fauchte Herdhitze seine Spieler an, die über die Kälte in der Gästekabine unkten.

      Gary, Hödel und Mike kamen aufs Spielfeld getrottet und begannen mit einem mühsamen Aufwärmtraining. Sie trabten im Schritttempo über die Aschenbahn. Trainer Herdhitze feuerte einen Fußball nach dem Trio ab.

      „Vorwärts, ihr Lahmärsche! Ihr lauft heute drei Runden extra und wenn ihr mit dem Training fertig seit, dann bringt ihr die Sauerei wieder in Ordnung!“ bestimmte er.

      Eine gute Stunde trieb Trainer Herdhitze seine Mannschaft auf dem Spielfeld herum. Dann wurden Standardsituationen geübt und ein kurzes Testspiel durchgeführt. Hödel setzte drei von fünf Freistößen, die ihm Mike zuspielte mit dem Kopf ins Kreuzeck.

      „Ihr braucht wohl euer Quantum, bevor ihr auf Touren kommt“, kommentierte der Trainer grollend.

      Gary verbuchte einen Lattenschuss und wurde von Tommy Fortuna hart gefault, als er versuchte das Raubein auszudribbeln. Herdhitze pfiff sofort ab und schickte Tommy mit einem Fußtritt auf die Aschenbahn.

      „Genügt dir deine Sperre nicht? Zwei Runden extra und dribbeln den Medizinball vor dir her“, brüllte der Trainer.

      Ute Schober und Renate Unterweger kreuzten auf der Tribüne auf. Beide trugen knappste Minis, Netzstrümpfe und Lackstiefel bis über die Knie, dazu Windjacken und Borsalinos. Trainer Herdhitze baute sich gewichtig vor dem Westsektor auf.

      „Verschwindet, ihr Schlampen! Ich lass meine Jungs nicht von euch fertig machen!“, schrie er.

      „Halt dein verhurtes Maul“, schnauzte Renate zurück.

      „Und was ist mit Tony Grill? Den habt ihr auch fertig gemacht. Der schießt seit neuestem aufs eigene Tor und das gar nicht schlecht“, gab Trainer Herdhitze zurück.

      Ute brach in Tränen aus.

      „Ja heul nur, du Schickse. Der geht auf dein Konto! Jetzt sitzt Tony zu Hause herum, säuft und miaut kläglich vor sich hin.“ Der Trainer drehte sich um, er ließ in Richtung der Mädchen einen gewaltigen Furz fahren und rannte zu seiner Mannschaft zurück, die schon in Richtung Kabinen abtrat.

      „Wer hat das Training beendet? Ihr spielt noch einmal zwanzig Minuten! Gary, Mike und Hödel drehen noch drei runden extra und vergesst ja nicht die versaute Kabine zu schrubben!“

      Fluchend zog Renate mit der heulenden Ute von den Tribünen ab. Die Mädels stiegen in einen brandneuen roten Alfa Guilietta ein und brausten davon.

      7.

      Mit einer Mordswut steuerte Hödel seinen Pritschenwagen über den Parkplatz im Zentrum. Es war Samstagabend und er trug die Bürde mit Ariane nach Villach zu fahren, um ihre Cousine vom Bahnhof abzuholen. Hödel hatte die Aufgabe nicht freiwillig, geschweige denn aus Ritterlichkeit übernommen. Lieber säße er jetzt mit seinen Freunden im Programmkino, um „Für ein paar Doller mehr“ zu sehen, aber er hatte beim Pokern verloren und so musste er den lästigen Dienst übernehmen. Besonders ärgerte ihm, dass Andy, der sowieso in Villach seinen Wehrdienst abdiente nicht am Bahnhof auf Janet warten konnte. Nein. Andy war sofort nach Dienstende abgehauen, um nur ja keine Minute ohne Doris bleiben zu müssen.

      Ariane lieferte inzwischen eine Szene nach der anderen.

      „Einmal müsst ihr etwas für mich tun und dann kneift ihr“, schrie sie, kreidebleich vor Zorn, als sich die Herren zu drücken versuchten, oder: „Ihr wisst genau, dass ich keinen Führerschein habe und den Scheißfilm könnt ihr genauso auf Video anschauen!“ Dabei hätte sie gerne „Für ein paar Doller mehr“ gesehen. Mit Interesse verfolgte sie das laufende Programm des kommunalen Kinos. Gerne wäre sie schon einmal hingegangen, um „Rembetiko“ anzuschauen, aber weder Doris, noch die Juniors wollten sie begleiten und alleine mochte sie nicht ins Kino gehen. Sie ärgerte sich, dass alle nur in Harry Bar herumhingen und nie etwas anderes unternehmen wollten. Insgeheim wünschte sie sich, dass Gary sie ins Kino begleiten würde, sie bewunderte seine Bilder und es störte sie sehr, dass er immer nachlässiger wurde.

      Vor ein paar Monaten war Gary voller Optimismus gewesen. Er malte und spielte in einer Band. Seit seiner Rückkehr hing Gary durch und nur Ariane warf ihm, als einzige in der Gruppe, seine Faulheit vor.

      Heute sollte die lang ersehnte Cousine ankommen, um ein Jahr in Forester zu bleiben und mit ihr konnte sich vieles ändern.

      Während ihrer Kindheit hatten sich die Mädchen nur in den Sommerferien gesehen, wenn Janet für sechs Wochen aus Texas zu Ariane und ihrer Großmutter nach Forester kam. Immer hatten sie sich gut miteinander verstanden. Die Brieffreundschaft hielt seit Jahren und wie Schätze hütete Ariane die Briefe chronologisch geordnet, in drei dicken Ordnern gesammelt, beisammen.

      Hödel spuckte aus dem Fenster. Die Benzinuhr stand auf Null und er hatte nicht einmal das Cash für den Sprit in der Brieftasche. Fest rechnete er mit der Siegesprämie für das heutige Meisterschaftsspiel, doch leider spielte die Fußballmannschaft nur ein Unentschieden gegen den Tabellenletzten heraus und Trainer Herdhitze weigerte sich einen Vorschuss auf die halbe Prämie herauszurücken. Hödels Groll wurde von der roten Kate geschürt, die er für das Retourfoul an einen Gegenspieler kassierte, der ihn ohne Ball niedermachte.

      Gary war verletzt ausgeschieden,