Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


Скачать книгу

Jugend mit der glorreichen Vergangenheit und der daraus entstandenen Verpflichtung vertraut gemacht. So war es Sitte im Hause Diaz de Vivar, so hatte es der Held in seinem Testament verlangt.

      Der Held – Rodrigo Diaz de Vivar – hatte zusammen mit seinen Kampfgefährten aus dem sagenumwobenen Hochland der Grazalema in harten Kämpfen und mit großen persönlichen Opfern Malaga und das gesamte Umland am Golf aus dem Joch der Anglialbions und ihrer Handlanger, der Chrianos befreit und den Bewohnern die Freiheit wiedergegeben.

      Mehr als das.

      Unter seinem Banner war es gelungen, die Freundschaft zwischen den alten und noch immer existierenden Fürstenhäusern von Al Andalus wieder herzustellen und Verträge mit einer Vielzahl von anderen Stämmen und Völkern zu schließen. Er hatte seiner Familie den Auftrag als Vermächtnis hinterlassen:

      Nie wieder durften diese Freundschaften und Verträge in Frage gestellt werden, denn nie wieder durfte geschehen, was damals geschehen war!

      Damit das Vermächtnis erhalten blieb, hatte der Held zusammen mit seinen Verbündeten das Amt der Bewahrer geschaffen. Vom hohen Norden bis in den tiefen Süden, von den Steppen der Reusen bis zu den Ufern des westlichen Ozeans, des Atlantico lebte ein Bewahrer bei jedem Volk, bei jedem Stamm, bei jeder der großen Sippen und sorgte für die Erhaltung des Vermächtnisses des Helden. Diese Bewahrer, Männer so gut wie Frauen, ob uralt oder gerade erst erwachsen geworden, hatten etwas gemeinsam:

      Ihre telepathischen Kräfte waren stark genug, dass sie sich an einem ganz bestimmten Tag eines jeden Jahrs zu einem mächtigen, mentalen Verbund zusammen schließen und gemeinsam die Worte des obersten Bewahrers hören und an ihre eigenen Zuhörer weitergeben konnten.

      Der Name des obersten Bewahrers dieser Tage war Levanto Diaz de Vivar, jüngster Sohn der Linie Baleara Diaz – der weiblichen Linie - und neunter Bewahrer seit den Tagen des Helden. So wie er waren auch die acht Bewahrer vor ihm aus der Linie Baleara gekommen, wogegen die Grafen – die blutrünstigen Schwertkämpfer, die Streiter und Reiter - stets aus der Linie des Rodrigo Diaz stammten.

      Der Ring war aufgebaut und die Bewahrer vereinten sich und so wandte sich Levanto Diaz de Vivar an seine unmittelbaren Zuhörer, die lebenden Kinder der beiden letzten Stufen des Geschlechtes und begann zu reden. Seine tiefe Stimme war perfekt geschult, er modulierte die Worte sorgfältig und formulierte seine Sätze so, dass sie leicht verständlich waren, denn nicht überall sprach man das Romain so fließend wie im alten Europa und seine mentale Stimme war letztendlich nichts anderes als eine Spiegelung seiner realen Stimme.

      Levanto wusste, dass seine Stimme jeden seiner Zuhörer erreichen und in ihren Bann ziehen würde. Er hatte eine harte Ausbildung durchlaufen und nun, nach dem Tod des alten Bewahrers, seines Großonkel Rubiero, war er zum ersten Mal der Herr des mentalen Ringes und oberster Bewahrer. Im Bewusstsein der Bedeutung dessen, was seine Aufgabe war, ging er auch vollkommen in dieser Aufgabe auf.

      Er sah sich im großen Saal der Burg um, überprüfte noch einmal kurz die vollzählige Anwesenheit seiner Zöglinge und stellte zufrieden fest, dass alle einundzwanzig Nachkommen der Familie anwesend waren. Danach tat er dasselbe mit den mentalen Verbindungen und auch hier konnte er eine vollständige Anwesenheit rapportieren und an das Archiv übergeben.

      So begann er also zu sprechen.

       „Hört und lernt und vergesst niemals, was die Helden längst vergangener Tage uns zu bewahren aufgetragen haben. Hört es und lernt daraus, welche Verpflichtung wie eine schwere Last auf unseren Schultern ruht und wie wir sie gemeinsam meistern können. Hört und lernt, denn was ich euch sage, es ist von allergrößter Bedeutung“

      Levanto Diaz ließ eine kleine Pause entstehen, feuchtete seine Lippen an und fuhr dann fort.

       „Die Wurzeln der Menschen liegen in einer Zeit, die sich für uns, die wir zuletzt übrig gebliebenen sind, in grauen Nebelschleiern verbergen und sich uns dadurch entziehen. Nur wenige wissen mehr über unsere Ursprünge und unsere Genese als die Bewahrer. Doch, es gibt noch diejenigen, welche das Wissen besitzen. Doch diese Wissenden schweigen. So bleibt es uns, den Bewahrern überlassen, das weiterzugeben, was man uns selbst gelehrt hat. Unser Wissen aber beginnt erst in einer Zeit, die nicht sehr weit vor den Tagen der heißen Kriege gelegen haben muss.

       Dieses Wissen gebe ich nun an euch, die ihr im Geist die Kinder des Helden seid, auf dass es nie vergessen werde.“

      Noch einmal legte Levanto Diaz eine Pause ein, noch einmal konzentrierte er sich, dann begann er mit seiner Saga.

       „Die Erde war in jenen Tagen von unseren Vorfahren überfüllt. Kaum ein anderes Lebewesen – von Insekten abgesehen - auf der Erde kam häufiger vor als die Menschen jener Zeit und kein anderes Lebewesen war so hoch entwickelt wie unsere Vorfahren. Ihr Wissen und damit ihre Macht kannte kaum noch Grenzen und sie fähig Dinge zu tun, die wir uns heute noch nicht einmal in unseren kühnsten – oder unseren schlimmsten – Träumen vorstellen können. Sie hatten ihrem Leben ein System gegeben, doch ihr System hatte Fehler.

       Sie besaßen enormes Wissen und ungeheure Macht, doch was sie besaßen lag in den Händen weniger und geriet ihnen dadurch zum Verderben anstatt zum Segen.

       Sie hatten gelernt, sich in die Lüfte zu erheben und zu fliegen, ja, selbst Krankheiten und der Tod stellte keinen Schrecken mehr für sie dar. Sie hatten beides besiegt. Sie besaßen Werkzeuge, die ihnen das Leben so einfach gestalteten, dass es eher einem Spiel denn einem normalen, täglichen Leben glich. Doch nur wenige waren in der Lage, durch die Lüfte zu fliegen und noch viel weniger besaßen die Macht und die Mittel, ihre körperlichen Gebrechen zu beseitigen und die Anzahl ihrer Lebensjahre nahezu beliebig zu verlängern. Es war für die meisten Menschen einfach viel zu teuer, sich diesen Luxus zugänglich zu machen.

       Die Menschen dieser Zeit glichen einem Bienenvolk.

       Es gab Menschen, die arbeiteten und es gab Menschen, die von den Früchten der Arbeit anderer lebten. Die Mehrzahl der Menschen arbeitete. Sie arbeiteten hart und schufen vieles und nur wenig blieb ihnen, denn die wenigen welche von dem lebten, was die vielen schufen, waren maßlos und kaum zu sättigen. Sie wollten mehr und mehr und immer mehr und so kam es wieder und immer wieder zu Streit und Krieg.

       Die Menschen dieser Zeit glichen aber auch einem Heuschreckenschwarm.

       Nichts von dem, was unsere Erde ihnen zu geben hatte, war ihnen genug, sie wollten mehr, sie wollten alles. Sie beuteten die Erde in einer Maßlosigkeit aus, die alles übertraf, was wir uns vorstellen können.

       Aus riesigen Wäldern und Ebenen mit üppigem Wachstum, selbst aus gewaltigen Seen machten sie dürre Wüsten, in denen nicht einmal mehr Skorpione genügend Nahrung zum Überleben finden konnten.

       Doch das alles wäre vielleicht nicht einmal so schlimm gewesen, wäre da nicht auch noch der Wahnsinn des Krieges in unseren Vorfahren allgegenwärtig gewesen.

       Sie bauten Waffen, die in ihrer Wirkung viel schrecklicher waren, als der Ausbruch eines feuerspeienden Berges und sie setzten diese Waffen ein.

       Weshalb?

       Nicht weil es notwendig gewesen wäre, einfach weil sie es konnten.

       Sie führten weltumspannende Kriege, die unsere Erde erschütterten und unzähligen Menschen den Tod brachten. Kriege, die nach ihrem Ende dazu führten, dass sie immer noch schrecklichere Waffen entwickelten um in einem nächsten Krieg noch mehr Menschen töten zu können. Es gab in diesen Kriegen keine wirklichen Gewinner mehr, die Menschheit war immer der Verlierer, doch sie bemerkten es nicht.

       Zuerst führten sie einen solchen Weltkrieg Krieg der Systeme wegen. Kaiser und Könige, Fürsten und Adlige sollten ihre Macht verlieren. Alle Macht sollte in der Hand der Bürger liegen. Der Krieg brachte den Wandel, die Vernunft besiegte den Krieg und es schien eine lange Zeit des Friedens zu kommen. Doch wie sehr hatten sie sich getäuscht! Nur zwei Jahrzehnte später begannen sie einen noch größeren