Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


Скачать книгу

nannte diese Mutanten auf Grund ihres Äußeren auch die Wilden und der Magnat, in dessen Zuständigkeit ihre Entstehung fiel, war Falcon.

      Die schlimmste Art der Abweichung aber stellten nicht die Wilden dar, sondern eine Art von Klonen, die äußerlich kaum von den Menschen Ninives zu unterscheiden war. Wesen, immer von geradezu perfekter Schönheit, die mit Erreichen der Geschlechtsreife und der damit verbundenen Erkenntnis, kein Bürger Ninives zu sein oder jemals zu werden, einen abgrundtiefen Hass auf die Stadt und alles, was sie repräsentierte entwickelten. Diese Klone - man nannte sie auf Grund ihrer Schönheit auch Angelos - wurden sofort und ohne jede Gnade nach Außenwelt emigriert, sobald die Abweichung zu Tage trat.

      Zwischen diesen beiden Stufen gab es Abweichler in zahlreichen Nuancen, die aber in aller Regel der Stadt und vor allem dem Rat der Zwölf zumeist sehr gute Dienste leisteten. Sie waren äußerst loyal und leicht zu lenken, denn auch sie besaßen zumeist enorme mentale – hauptsächlich telepathische – Fähigkeiten, waren von hoher Intelligenz und absolut kaum zu überbietender körperlicher Leistungsfähigkeit, was die einen zu ausgezeichneten Arbeitskräften, die andern zu hervorragenden Jägern und Kriegern werden ließ. Und letztere setze der Rat der Zwölf ausschließlich als Agenten ein, die den Interessen des Rats dienten. Auch auf der Jagd nach Falcon und ein paar weiteren Abtrünnigen wurden Agenten eingesetzt. Fast immer mit durchschlagendem Erfolg.

      Falcon war der letzte einer Reihe von Abtrünnigen gewesen und immer hatte es sich um Magnaten gehandelt. Vor ihm waren schon gut zwei Dutzend andere Männer und Frauen aus der fliegenden Stadt geflohen, bis auf vier – einschließlich Falcon – hatten die Agenten alle anderen aufgespürt und eliminiert.

      Die Agenten unterstanden direkt dem Rat der Zwölf, der ihre Ausbildung in allen Bereichen überwachte und leitete und dafür sorgte, dass ein Agent – ob männlich oder weiblich – in jeder nur denkbaren Kultur, unter allen nur vorstell- und simulierbaren Umweltumständen überleben konnten. Die Sprachbegabung steckte in den Genen dieser Klone, ebenso wie alle anderen Fähigkeiten, die sie brauchten um auf „Außenwelten“ zu überleben. Ihr oberster Ausbilder war der Erste Krieger der fliegenden Stadt, also seit ungefähr zweihundert Jahren der Ratsherr Shaktar.

      Die Klone – allen voran die Agenten – besaßen zwar keinerlei Bürgerrechte aber jede Menge Freiheiten in der fliegenden Stadt. Oftmals lebten sie in Lebensgemeinschaften mit bürgerlichen Familien oder auch Einzelpersonen und das war in Ordnung so. Viele Bürger hielten sich zusätzlich zu ihren bürgerlichen Gefährten Geliebte aus den Reihen der Klone, wobei der Grad der Abweichung niemals eine Behinderung sondern allenfalls eine Bereicherung darstellte. Niemand störte sich daran, wenn ein Mann mit einer geflügelten Elfe oder eine Frau mit einem gehörnten und bocksbeinigen Satyr zusammen lebte, doch den Bürgern der Stadt war es bei Höchststrafe verboten, mit Klone Kinder zu zeugen.

      Und damit war man beim Kern des Problems angelangt, denn der mächtigste Mann der Stadt, der Ratsherr Shaktar, hatte genau gegen dieses heilige Gesetz verstoßen. Seine junge Geliebte, die wunderschöne Agentin Sombra war schwanger von ihm.

      Shaktars legale Gefährtin war die Medizinerin und Wundärztin Falsett, die nicht nur in ihrem Beruf führend war, sondern auch in hohem Grade telepathische Talente besaß und so war es kein Wunder, dass sie von dieser Schwangerschaft bereits wenige Tage nach dem Datum der Empfängnis wusste.

      Wie es ihre Pflicht als treue Bürgerin der fliegenden Stadt war, brachte sie diese Tatsache sofort dem Rat der Zwölf zur Anzeige und nun war der Rat zusammen gerufen worden um diesen einmaligen Präzedenzfall zu beraten und zu lösen.

      Mordegay, der Lordkanzler und nach Shaktar Zweiter unter den Ratsherren eröffnete die Sitzung und übergab sofort das Wort der Anklägerin, der Ältesten im Rat, der Kommunardin Frese, die – vermutlich weil die ganze Geschichte so delikat und unangenehm war - unverzüglich zur Sache kam. Es stand ja auch nur ein einziger Punkt auf der Tagesordnung und der war schnell geschildert, denn die Fakten lagen klar auf der Hand.

      Es gab weder eine Diskussion um Schuld oder Unschuld, es ging lediglich um die Frage, was mit der Agentin Sombra zu geschehen hatte und wie das Problem mit dem Ersten Krieger und Obersten Techniker zu lösen sei.

      Sombras Fall war rasch gelöst.

      Ninive tötete keines seiner Kinder. Nicht jedenfalls mit eigener Hand. Ninive verstieß Kinder, die nicht in das Profil der Stadt passten, sie wurden auf Außenerde ausgesetzt.

      Der Ratsherr Mastor – sein Metier waren Ermittlungen und Geheimdiensttätigkeiten aller Art – ergriff das Wort und trug vor:

       „Die Anzeichen dafür verdichten sich, dass unser immer noch flüchtiger Ex – Magnat Falcon die Halbinsel Iberia erreicht und sich dort einem Clan Wilder angeschlossen hat, die es – wie auch immer – geschafft haben im Gift der verseuchten Erdoberfläche zu überleben. Ich schlage vor, wir bringen auch Sombra dort hin und wenn sie es schafft, Falcon zu finden und zu töten, braucht sie dort nur so lange zu bleiben, bis ihr Kind geboren ist und sie es beseitigt hat. Danach mag sie zurück kehren in die Stadt und sich meinem Haushalt anschließen. Ich hielte das für eine gerechte Strafe.“

      Der Rat war nach kurzer Debatte mit diesem Vorschlag einverstanden und nahm ihn mit nur einer Gegenstimme – derjenigen Shaktars – an.

      Als nächstes wurde der Fall des Ersten Kriegers und Obersten Technikers erörtert und dazu musste zunächst der Ratsherr Shaktar seines Amtes enthoben und durch andere Ratsmitglieder ersetzt werden.

      Die gesamte Prozedur ging in einer, für den Rat der Zwölf völlig untypischen Hast von statten, Shaktar wurde zuerst seines Amtes Erster Krieger enthoben, dann auch als Oberster Techniker abberufen und gleich darauf insgesamt als Ratsmitglied abgesetzt, somit konnte er an den Entscheidungen, die ihn betrafen nicht mehr aktiv mitwirken. Ratsmitglied an seiner Stelle wurde seine offizielle Gefährtin, die Ärztin Falsett. Shaktars Nachfolger als Erster Krieger wurde sein intimster Feind, der noch relativ junge Nurmigo, ein von Falsett heftig protegierter Nachwuchspolitiker und vermutlich auch deren Liebhaber. Ein Oberster Techniker wurde zunächst noch nicht benannt, weil noch immer kein geeigneter Kandidat zur Verfügung stand.

      Durch diese Wahlen war bereits klar gestellt, welchem Schicksal Shaktar entgegen sah und die Entscheidung des Rates der Zwölf fiel genau so aus, wie es zu erwarten war.

      Man ordnete an, dass Shaktar auf den Besucherrängen des Ratsaales Platz nehmen und die Verhandlung über sein Schicksal dort abwarten sollte. Shaktar befolgte die Anordnung ohne jeden Widerspruch, er hatte sich offenbar längst in sein Schicksal gefügt und ließ alles in stoischer Ruhe über sich ergehen.

      Diesmal war Nestros der Sprecher des Rates, ebenfalls nicht gerade ein glühender Anhänger Shaktars und er verkündete in knappen Sätzen, was der Rat entschieden hatte:

       „Der Verstoß des ehemaligen Ratsherrn, Ersten Krieger und Obersten Techniker Shaktar gegen die strengsten Gesetze unserer Stadt ist bewiesen und wird auch nicht bestritten.

       Die Schwere des Verstoßes lässt dem Rat keinen Spielraum in seinem Urteil und so hat der Rat der Zwölf entschieden, dass Shaktar all seiner Bürgerrechte in Ninive verlustig gehen soll.

       Weiterhin soll Shaktar die fliegende Stadt Ninive für immer verlassen. Shaktar wird in Außenwelt ausgesetzt und darf dabei außer geeigneter Kleidung und seinen Waffen nichts mitnehmen. Als Aussetzpunkt wurde der höchste Gipfel des Daches der Welt, der Mount Everest gewählt. Die Stadt Ninive wird morgen dort hin fliegen und die Aussetzung wird vom neuen Ersten Krieger persönlich überwacht werden.

       Der Rat der Zwölf ist sich dessen bewusst, dass dies ein äußerst mildes Urteil darstellt. Doch Ninive tötet keine Menschen um zu strafen. Schon gar keine Menschen, die sich so um die Stadt verdient gemacht haben wie der ehemalige Ratsherr Shaktar. Zum Andern wird diese Aussetzung allen in der Stadt lebenden Zweiflern nachhaltig beweisen, wie ungeheuer die Oberfläche der Erde auch nach mehr als dreieinhalb Jahrtausenden noch kontaminiert ist, denn Shaktar wird dort draußen eines raschen Todes sterben.

       Ich bedanke mich beim Rat der Zwölf für die rasche und wirkungsvolle