Rudolf Jedele

Shandra el Guerrero


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und unabhängige Rätin Falsett geworden.

      Ein kurzer Händedruck, ein paar leere Floskeln, das war es, Falsett wandte sich um und verließ Shaktars Haus auf Nimmerwiedersehen.

      Shaktar hatte seine Gedanken ein wenig schweifen lassen und so war er tatsächlich überrascht, als plötzlich die seltsame Stimme des Informationscomputers ertönte und ihn davon in Kenntnis setzte, dass die Landung auf dem Dach der Welt in sechshundert Sekunden stattfinden sollte. Nun zuckte Shaktar doch ein wenig zusammen, denn diese sechshundert Sekunden und ein bisschen was dazu waren es, die ihn noch von seiner Exekution trennten.

      Im Gegensatz zu Sombra wurde Shaktar nicht abgeholt. Von einem ehemaligen Ersten Krieger, Obersten Techniker und Ratsherr erwartete man, dass er Format genug besaß, um ohne Geleit und ohne Kontrolle zum Ort seiner Exekution zu kommen.

      Shaktars Zeit in der fliegenden Stadt war also abgelaufen. Shaktar griff nach seinem schwarzen Sack, hängte ihn sich über die Schulter und verließ das kleine Haus.

      Er grinste ein wenig vor sich hin, als er das biometrische Türschloss aktivierte, das mit absoluter Sicherheit keinem anderen Wesen den Zutritt in das Haus gewähren würde, als ihm selbst. Sein Haus würde damit zu einem Mausoleum werden, das alle, die vorüber kamen an seinen einstigen Besitzer, den Ratsherr Shaktar erinnerte. Während Shaktars Amtszeit hatte es keine Exekution auf vergleichbarem Niveau gegeben, aber er war sich absolut sicher, dass er daran gedacht hätte, das biometrische Schloss zu modifizieren, ehe der alte Besitzer eliminiert wurde.

      Auf Grund seiner Funktionen hatte ihm die Stadt ein Magmobil zur Verfügung gestellt. Shaktar stieg in das elegante, kleine Fahrzeug, sein Sack fand Platz auf dem zweiten Sitzplatz, der sich hinter ihm befand und Shaktar legte den Betriebsschalter um, der das Mobil zu einer sanft gleitenden Bewegung von mäßiger Geschwindigkeit beschleunigte, die ihn bequem und stressfrei zu jedem beliebigen Ziel in der Stadt brachte. Shaktar nannte der kleinen Steuereinheit des Mobils sein Ziel und lehnte sich bequem in der Sitzschale des Fahrzeugs zurück, denn die Fahrt erforderte keinerlei Aktivitäten von ihm selbst.

      Wieder tauchte ein kleines Schmunzeln in Shaktars Gesicht auf. Es gab nur drei Dutzend dieser komfortablen Transporter in der Stadt und auch das Magmobil war auf Shaktars Profil biometrisiert und ausschließlich von ihm selbst nutzbar. Ohne seine Kooperation würde das Fahrzeug für alle Ewigkeit ungenutzt herum stehen müssen.

      Der zukünftige Oberste Techniker würde gleich zu seinem Amtsantritt mit mindestens zwei ordentlichen Misserfolgen fertig werden müssen, denn die fliegende Stadt konnte es sich eigentlich nicht leisten, auf zwei so wertvolle Ressourcen wie Shaktars Haus und das Magmobil zu verzichten. Shaktar wusste nicht, wer aus dem Rat ihm in dieser Position nachfolgen würde, doch wenn er schon benannt war zeichnete er sich ganz sicher nicht durch besondere Schläue aus. Von diesen Überlegungen wurden Shaktars Gedanken praktisch nahtlos zu einem anderen, weit interessanteren und spektakuläreren Vorgang gelenkt.

      Der Schlüssel zu den Antriebssystemen bestand ebenfalls aus einem biometrischen Code und in diesen Code waren unter anderem die Daten des Obersten Technikers und die des Ersten Kriegers integriert. Ohne diese beiden Codeschlüssel würden sowohl die Transportsysteme als auch die Waffensysteme der Stadt den Dienst verweigern.

      Ob der Rat wenigstens an diesen Aspekt seines Urteils gedacht hatte?

      Shaktar durchquerte alle neunzehn Ebenen der Stadt und wurde vom Magmobil hinunter zur untersten Base der Stadt gebracht, dorthin wo der gewaltige Hydrostempel aus der Hülle der Stadt gefahren werden konnte, um die Stadt sanft und weich auf einem festen Untergrund aufsetzen zu lassen. Im Bereich dieses Hydrostempels gab es vier kleine Schleusen, die ins Freie führten. Man hatte diese Schleusen in den letzten Jahrhunderten nicht mehr genutzt, denn niemand hatte sich die Mühe gemacht, den Hydrostempel einer möglicherweise notwendigen Inspektion zu unterziehen. Die Schleusentore waren ursprünglich ebenfalls personifiziert gewesen, doch irgendein Techniker der Stadt hatte in einer fernen Vergangenheit beschlossen, diese Sicherheitsbarriere zu öffnen und hatte die Schleusen auf den Universalcode der Stadtbewohner umgestellt. Seither war es jedem Bewohner Ninives möglich, diese Schleusen zu öffnen und Ninive nach Gutdünken zu verlassen und wieder zu betreten. Die beiden einzigen Gründe, weshalb niemand von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, waren die Tatsache, dass nur wenige Menschen – Shaktar war einer von aktuell vier Bürgern, die über diesen Umstand informiert waren – davon Kenntnis besaßen und zum Andern hatte die Stadt seit der Flucht Falcons keine Landung mehr auf festem Untergrund durchgeführt.

      Der Rat der Zwölf, zusammen mit dem neuen Ersten Krieger, war vollständig an dem Tor versammelt, das zu dem Raum mit den Schleusen führte und sie alle erwarteten Shaktar bereits gespannt. Sie konnten diesen Raum zwar auch ohne Shaktars Mitwirkung betreten, denn auch hier war bereits der Universalcode wirksam, doch den Ratsmitgliedern war alles, was mit Technik zu tun hatte fremd und unheimlich. Auch aus diesem Grund hatte wohl niemand daran gedacht, einen neuen Obersten Techniker zu berufen. Vielleicht waren sie der Meinung, die Stadt würde auch ohne einen solchen Obersten Techniker weiter funktionieren.

      Shaktar schüttelte innerlich über so viel Ignoranz und Unwissenheit den Kopf und fragte sich, welchem Schicksal Ninive wohl entgegen steuern mochte, wenn er selbst die Stadt erst endgültig hinter sich gelassen hatte. Der Hass, den Shaktar verspürte, richtete sich – noch – nicht gegen die Stadt selbst sondern war auf den Rat der Zwölf und auf Nurmigo begrenzt. Die mehr als hunderttausend anderen Menschen und Mutanten hatten ihm nichts getan und würden ohnmächtig unter der Dummheit ihrer Führer leiden müssen.

      Er kletterte aus dem Magmobil, hievte den Sack mit seinen Habseligkeiten über seine Schulter, rückte seinen Gürtel mit Schwert und Dolchen ein wenig zurecht, dann versiegelte er das Magmobil mit seinem Code und ging gemessenen Schrittes zu dem großen Tor aus Cortain, das den Zugang zu den Schleusen versperrte. Er legte seine Hand auf den Platz, der dem Obersten Techniker zugewiesen war, ein leises Zischen ertönte und dann glitt das mächtige Tor wie von Geisterhand geschoben zur Seite und gab den Durchgang in den riesigen Saal frei, in dem sich der Hydrostempel und die Schleusen befanden.

      Shaktar betrat den Raum ohne zu zögern, durchquerte ihn und blieb dann vor der südlichen Schleuse stehen. Genau in diesem Augenblick ging es wie ein leises Seufzen durch den Raum, die weiß glänzende Keramikoberfläche des Hydrostempels zeigte, dass dieser sich zu bewegen begann, das Zischen von verdrängter Luft erfüllte den großen Raum und dann zeigte ein sanftes Ruckeln an, dass die Stadt butterweich auf der Spitze des Mount Everest aufgesetzt hatte.

      Niemand in der Stadt verstand, wie dieses monströse fliegende Gebilde, das mehr als hunderttausend Menschen eine Heimat bildete, in der Lage war, ein solches Manöver auszuführen. Niemand, auch Shaktar nicht, begriff die mechanischen und energetischen Vorgänge, die hinter dieser – und hinter zahllosen anderen – Funktionen der fliegenden Stadt standen und welcher Art die Steuerung beschaffen sein musste, die diese Funktionen bewerkstelligte. Man nahm als gegeben hin, was seit nunmehr gut dreieinhalb Jahrtausenden das Leben und Überleben der Stadtbewohner sicherte und beschäftigte sich nicht weiter damit. Das gesamte Wissen, das mit den Funktionen der Stadt zusammen hing, stammte von den Alten und war für die Nachkömmlinge dieser Rasse ohnehin nicht nachvollziehbar. Man gab sich damit zufrieden, von der Stadt, ihren Maschinen, Einrichtungen und Fähigkeiten bedient zu werden, das Wissen, wie diese Bedienung zustande kam, wer wollte das schon haben? Nur Shaktar und ein paar wenige andere hatten beobachtet, wie sich gestörte Funktionen immer wieder selbst behoben, wie beschädigte Bauteile plötzlich wie von Geisterhand ausgetauscht worden waren und nur Shaktar hatte sich schon mehrfach gefragt, von welcher Art wohl die Intelligenz sein mochte, die hinter diesen überragenden Fähigkeiten steckte und was wohl geschehen würde, wenn diese Intelligenz eines Tages ausfiel. Irgendwann hatte allerdings auch er aufgehört, über diese Dinge nachzudenken, zumal auch er dabei zu keinem verwertbaren Ergebnis kam. Jetzt aber, da er Ninive wohl für immer verlassen würde, keimten diese Gedanken wieder in ihm auf und er fragte sich, wie diese Intelligenz reagieren mochte, wenn er, als ein über Jahrhunderte hinweg wesentlicher Bestandteil dieses Systems nicht mehr zur Verfügung stand. Er und seine Codierungen…

      Die Mitglieder des Rates – nicht annähernd mit den Begebenheiten in dieser untersten Ebene so vertraut wie Shaktar – folgten ihrem verstoßenen Ersten