BAUMANN

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Kamber gehörte ebenfalls der DUK an und fasste als Sekretär den Schlussbericht zusammen. Doch als man das Institut in Magglingen auflöste, war dieser plötzlich ohne Funktion – aber Wissensträger. Ein Zustand, den man schnellstmöglich ändern wollte. Deshalb bot man Kamber die Leitung des Fachbereichs für Dopingbekämpfung an. Außerdem war er später die treibende Kraft bei der Gründung von Anti-Doping Schweiz, jener Organisation, welcher er mit seiner Persönlichkeit Profil und Anerkennung verlieh und welcher er noch im Jahre 2018 vorstand. Seit den Vorgängen um die „Spiegel-Affäre“ werden alle Informationen bezüglich der Dopingproblematik über die Kontrollstelle und später durch Anti-Doping-Schweiz koordiniert und abgewickelt.

      Der Ursprung von Leistungsoptimierung im Schweizer Sport hat eine lange Tradition. Bereits 1941 protokolliert ein gewisser Dr. Ulrich Frey als junger Medizinstudent einen Bericht über die Wirkung von Pervitin im Sport und beschriebt dabei das Geheimnis der neuen Substanz: Pervitin steigert die Leistung, indem es den Schutz der Leistungshemmungen hinauszögert und damit als hochwirksam für jeden Leistungssportler gilt. Die künstliche Leistungsmanipulation hatte begonnen – unter dem Einfluss der Professionalisierung des Elitesports. Die Wissenschaft stellte sich jetzt unverhohlen in den Dienst des Sports. Dabei gilt auch Leopold Ruzicka als einer der Verantwortlichen in der Erforschung von leistungsfördernden Substanzen. Ihm, dem als Professor der ETH Zürich ihm im Jahre 1939 in Stockholm die goldene Medaille des Nobelpreises für Chemie übergeben wird, ist der erste Arzt, der es versteht, sich zwischen reiner Grundlagenforschung und industrieller Herstellung von Produkten zu bewegen. Der ETH-Chemiker agiert beinahe wie ein Privatunternehmer und lässt sich seine Forschungsprojekte nicht nur von Subventionsgeldern, sondern auch von großen Schweizer Chemiefirmen finanzieren und verdient Millionen dabei.(5)

      Er erklärt sich unter anderem bereit, alle seine Forschungsergebnisse exklusiv dem Basler Chemiekonzern Ciba zur Verfügung zu stellen. Natürlich nicht uneigennützig. Nebst gewissen regelmäßigen Zahlungen handelt Ruzicka eine Umsatzbeteilung aus. Am lukrativsten erweist sich ein Verfahren zur Herstellung der künstlichen Hormone Androsteron und Testosteron und verdient während des Zweiten Weltkriegs durch Patenteinkünfte alleine in den USA eine Summe von über drei Millionen Schweizer Franken. Ruzicka ist auch der geistige Vater von Dianabol, dem erfolgreichsten aller Dopingprodukte der Sportgeschichte.(6)

      Sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion rüstete man sich mit dem Schweizer Anabolikum für den Kalten Krieg des Sports. Jahre später ermöglicht der Chemieprofessor dem Zürcher Kunsthaus mit seinen Geldern eine beachtliche Sammlung niederländischer Kunst. Doch sowohl Frey und Ruzicka haben in der Figur von Dr. Wilhelm Knoll alle einen einheitlichen Vorreiter.(7)

      Bereits 1924 weist der Schweizer Sportarzt auf die Bedeutung der medizinischen Versorgung im Leistungssport hin. Knoll behauptet damals, dass nicht nur die sportliche Ertüchtigung in Form des Trainings, sondern auch die sportmedizinische Betreuung positiv zur Leistungsentwicklung beitragen würde.(8) Vier Jahre später, während der Olympischen Winterspielen in St. Moritz, ist Knoll federführend, als ein Team von Ärzten weltweit erste wissenschaftliche Untersuchungen an Athleten durchführt. Alles monetär gestützt von Basler Chemiefirmen. Seine Pionierrolle trägt Knoll 1929 eine Professur für Leibesübungen in Hamburg ein. Er bekannte sich zum Nationalsozialismus und ließ sich dezidiert mit antisemitischen Hetztiraden vernehmen. In der Schweiz zurück beteiligte er sich am Aufbau des Sportmedizinischen Zentrums in Magglingen. Sein Nachlass ruht in Magglingen in einem öffentlich nicht zugänglichen Schrank. Bedenkliches Material wurde aussortiert und vernichtet.(9)

      Der Aussenseiter

      Mit kräftigen Tritten stapft Michel Pollentier aus dem belgischen Diksmuide dem Ziel auf der Alpe d’Huez entgegen. Die Sonne brennt während dieser Julitage im Jahre 1978 unbarmherzig und besonders heiß auf den französischen Asphalt. In seinem weißen Trikot mit den roten Punkten für den besten Bergfahrer der Tour, seinem schmächtigen Körperbau und dem schütteren Haar sieht Michel nicht wie einer aus, der gerade drauf und dran ist, das größte Radrennen der Welt zu gewinnen. Michel sieht eher wie ein hilfloser Clown in einem grotesken Spiel der Mächtigen im Radsport aus. Doch der Belgier setzt sich durch und gewinnt sensationell die Königsetappe und übernimmt das gelbe Leadertrikot.

      Das Radsportjahr 1978 ist ein Jahr des Umbruchs. Im Frühjahr beendet der große Eddy Merckx seine aktive Karriere. Von der unglücklichen Vorsaison hat sich Merckx nicht mehr erholt und wollte bereits Ende 1977 aufhören. Bekräftigend für den Entscheid, seine Karriere zu beenden, war sicherlich auch, dass er positiv auf Pemoline getestet wurde.(1) Doch der neue Teamsponsor, die Modekette C&A, wollte bei der Vertragsunterzeichnung mit dem Team, dass Merckx zumindest bis in den April der Saison im neuen Trikot mitfährt. Nur klar, dass der Kannibale den Gentlemen spielt und mit seiner Unterschrift seine ehemaligen Helfer nicht einfach im Stich lässt und sichert ihnen die weitere Existenz im Feld der Profifahrer. Das Vakuum, das der über Jahre dominierende Merckx nicht nur in seinem Team, sondern auch im Feld der Veloprofis hinterlässt, ist immens und stößt den gesamten internationalen Radsport in eine Phase des Suchens: Die Rennfahrer sind es nicht gewohnt, dass es keinen Chef im Feld mehr gibt. Am ehesten traut man es vielleicht den Franzosen zu, die entstandene Lücke zu füllen. Immerhin gewann mit Bernard Thévenet im Jahr zuvor einer der ihren die Tour de France bereits zum zweiten Mal. Thévenet wurde jedoch bereits 1977 bei Paris–Nizza positiv auf Doping getestet und im folgenden Winter musste er aufgrund eines Leberleidens, dessen Auftreten dem Langzeitgebrauch von Steroiden zugeschrieben wurde, ins Krankenhaus eingeliefert werden. Thévenet gab später öffentlich bekannt, über einen Zeitraum von drei Jahren mit Cortison gedopt zu haben.(2) Thévenet scheint daher wohl eher ungeeignet, als legitimer Nachfolger von Merckx’s zu gelten. Da war sein Namensvetter Bernard Hinault wohl eher dazu berufen.

      Denn Hinault ist jung, unverbraucht und fährt für die französische Renault Gitane Equipe. Der jugendliche Bretone fällt bereits 1977 bei den Klassikern im Frühjahr auf und gewinnt kleinere Rundfahrten. Zudem möchte Hinaults Teamsponsor, der Automobilkonzern Renault, größeren Einfluss auf den französischen Radsport einnehmen ausüben und diesen als Werbevehikel für seine neueste Produktpalette nutzen. Vonseiten Renaults ist man daher sehr interessiert, dass die neu formierte Radmannschaft eine tragende Rolle im Peleton und insbesondere an der Tour de France einnehmen soll. Bernard Hinault gewinnt im Frühjahr 78 bereits die Vuelta a España und wird im Juni französischer Straßenmeister. Die Geschicke des Renault Rennstalls lenkt übrigens ein erfahrener Fuchs: Cyrille Guimard, ehemaliger Rennfahrer und großer Taktiklehrmeister des Radsports. Guimard pilotierte zwei Jahre vorher bereits den kleinen Belgier Lucien Van Impe zu dessen Tour de France-Sieg. Und nun war ganz Frankreich in Erwartung für einen Tour de France-Sieg Hinaults.

      In der ersten Woche der Tour wechselt das Gelbe Trikot mehrmals. Unter anderem konnte es der Deutsche Klaus-Peter Thaler nach einem Etappensieg im Massensprint für zwei Tage übernehmen. Auch Thalers bekanntere Kollegen vom Team Raleigh Jan Raas und Gerie Kneteman, beides Brillenträger aus Holland, fuhren für kurze Zeit in Gelb. Bis Joseph Bruyère vom C&A Team nach dem ersten langen Zeitfahren die Malliot Jaune übernimmt. Bruyére ist Belgier und war lange Jahre so etwas wie ein Edelhelfer Eddy Merckx’. Nun hat er selbst Gelb – und will es nicht mehr hergeben und trägt den edelsten Stoff aller Radsportträume bis tief in die Alpen. Beim Zeitfahren, wo Bruyère Gelb übernimmt, kann auch Bernard Hinault reüssieren und seine erste Tour Etappe gewinnen. Er liegt nun in Lauerposition und scheint für den Gesamtsieg gewappnet. Am 16. Juli 1978 kommt es dann zum Show-down der Königsetappe. Diese soll über 240 Kilometer von St. Etienne hoch auf die Alpe d’Huez führen, einem steilen Schlussaufstieg in die Savoyischen Alpen. Dieser Aufstieg ist vierzehn anstrengende Kilometer lang und gespickt mit 21 Spitzkehren.

      Erstmals wurde der Berg im Rahmen der Tour 1952 befahren. Der große Fausto Coppi gewann damals die Etappe von Lausanne bis hoch in die Skistation von Huez. Danach wurde der Aufstieg über 20 Jahre nicht mehr ins Programm der Schleife durch Frankreich aufgenommen. Erst 1976 wurde die Bergfahrt hoch zur Alpe von den Organisatoren wieder berücksichtigt. Mittlerweile gehören die Ankünfte auf der Alpe d’Huez zur Folklore der Tour und das kleine Örtchen Huez gelangt zu Weltruhm. Bernard Hinault will hier an diesem heißen Julitag 1978 zum großen Schlag ausholen und beim Aufstieg zur Alpe d’Huez mit der Faust auf