Brendan Erler

Digitale Evolution, Revolution, Devolution?


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(welcher die >Botschaft< des Autor-Gottes wäre), sondern aus einem vieldimensionalen Raum, in dem sich verschiedene Schreibweisen [ecritures], von denen keine einzige originell ist, vereinigen und bekämpfen. Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unzähligen Stätten der Kultur“ (ebd., 190).

      Auch der einhergehende Glaube an die absolute und objektive Vernunft ist Teil dieses Prinzips. Die Funktion Autor „ist das Ergebnis einer komplizierten Operation, die ein gewisses Vernunftwesen konstruiert, das man Autor nennt. Zwar versucht man, diesem Vernunftwesen einen realistischen Status zu geben: Im Individuum soll es einen tiefen Drang geben, schöpferische Kraft, einen Entwurf, und das soll der Ursprungsort des Schreibens sein, tatsächlich aber ist das, was man an einem Individuum als Autor bezeichnet (oder das, was aus einem Individuum einen Autor macht) nur die mehr bis minder psychologisierende Projektion der Behandlung, die man Texten angedeihen lässt, der Annäherungen, die man vornimmt, der Merkmale, die man für erheblich hält, der Kontinuitäten, die man zulässt, oder der Ausschlüsse, die man macht“ (Foucault 2009, 214). Dementsprechend heiße „eine Fixierung des Sinns zu verweigern […] letztlich, Gott und seine Hypostasen (die Vernunft, die Wissenschaft, das Gesetz) abzuweisen“ (Barthes 2009, 191). Alle zentralen Begriffe des bürgerlichen Kunstverständnisses (Genie, Werk und Originalität) und die Vorstellung eines vernunftbegabten Subjekts gelten in diesem Verständnis mehr als kontingente Konstruktion denn als überzeitliche Wahrheit. Da Digitalisierung und weltweite Vernetzung dieser Absage an einen emphatischen Urheberbegriff zu neuer Blüte verhalfen, sollten die Definition und Zukunft des Subjekts zu zentralen, im Diskurs heftig umkämpften Fragen der digitalen Gesellschaft werden. Die vermeintlich absolute Vernunft erfuhr jedoch schon kurz nach ihrer „Erfindung“ im Rahmen der Aufklärung in Form der Romantik Kritik (siehe 6.5.6).

       3 Studienlage: „Empirische Realität“

      Bevor wir uns dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand, dem öffentlichen Diskurs, nähern, widmen wir uns kurz der „empirischen Realität“, also der Studienlage zu Fragen von Digitalisierung und Kultur und hier vor allem der Bedeutung der Piraterie und des Urheberrechts für die Existenzgrundlage der Künstler, da diese Fragen sozusagen den Ursprung und Kern aller weiteren Debatten bildeten: Dies geschieht aus zwei Gründen. Erstens sickert der Spezialdiskurs, wie oben erläutert in den öffentlichen Diskurs, spielt also eine Rolle bei dessen Konstruktion. Zweitens illustriert der auch mit wissenschaftlichen Studien ausgefochtene Kampf um Deutungshoheit die schwierige Suche nach der „Wahrheit“. Die Wissenschaft wirkt hier häufiger als Stichwortlieferant opportuner Diagnosen denn als neutraler Schiedsrichter und die „Wahrheit“ im Sinne Foucaults als bloße Funktion und „Einsatz im Spiel des Diskurses“ (Lavagno 2006, 46). Dementsprechend herrscht auch innerhalb des Wissenschaftsbetriebs frohe Uneinigkeit über die Effekte von Digitalisierung, Piraterie und Urheberrecht.

      Es ist dementsprechend nicht Ziel dieses Kapitels, die gängigen Fragen empirisch eindeutig zu beantworten, was nicht nur angesichts der Komplexität des Gegenstandes schwerlich möglich ist. Im Kern handelt es sich eben nicht um eine vornehmlich empirische Frage, sondern entsprechend der Vorstellung einer diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit um einen politischen Kampf um das Wesen von Kultur und Gesellschaft. Ziel ist es, den Forschungsstand darzulegen und die Interaktion zwischen Spezial- und öffentlichem Diskurs exemplarisch nachzuzeichnen. Da die Musikbranche auf Grund ihrer Vorreiterrolle als „Opfer“ der Internetpiraterie Gegenstand zahlloser Untersuchungen war und sich viele Fragen auf kulturelle Güter im allgemeinen übertragen lassen, soll dieses Ringen um empirische Deutungshoheit vornehmlich an ihrem Beispiel illustriert werden. Anschließend werden die Befunde zum Effekt der Digitalisierung und Piraterie kurz mit der Lage der Literaturindustrie verglichen und abschließend zusammengefasst.

      Im Rahmen der sich anschließenden chronologisch gegliederten Diskursanalyse werden die Kapitel zur Entwicklung der Musik- und Literaturdiskurse jeweils eingeleitet mit einem kurzen Überblick zur ökonomischen Lage der Dinge, der aber im Gegensatz zu diesem Kapitel keine Zusammenfassung der Forschungsergebnisse, sondern lediglich eine Darstellung der Umsatz- und allgemeinen Branchenentwicklung aus Branchenperspektive sein soll. Die nun folgenden grundsätzlichen Forschungsergebnisse zur Bedeutung von Urheberrecht, Digitalisierung und Piraterie werden also im Verlauf der Analyse ergänzt durch konkrete und detaillierte Zahlen der Entwicklung der Musik- und Literaturindustrie. Wer sich hier eine einführende Zusammenfassung der allgemeinen ökonomische Lage erhofft, sei auf das nächste Kapitel verwiesen. Diese Unterteilung geschieht, um dem Leser vor der eigentlichen Diskursanalyse den jeweils aktuellen Branchenhintergrund darzulegen und ihm dadurch den Einstieg in die Debatte zu erleichtern.

       3.1 Rolle der Piraterie: Substitution oder Promotion?

      Bevor wir uns der Rolle der Piraterie widmen, sollte eingangs erwähnt werden, dass im Rahmen der Diskussion um Musikpiraterie immer wieder auf weitere Gründe des Umsatzeinbruchs, die nicht unmittelbar auf die Napster und Co zurückführen, verwiesen wird. Das ist vor allem die Blütezeit in den 1980- und 90er Jahren als „a period of atypically high sales, when consumers replaced older music formats with CDs“ (Oberholzer-Gee 2007, 36), die man daher nicht als Referenz zur Beurteilung der Lage verwenden könne. Tschmuck (2009) betont auch die aus langfristiger Perspektive eher typischen als außergewöhnlichen Zyklen aus Expansion und Wachstum (siehe 4.1). Eine weitere wichtige Ursache wird im Erstarken von Konkurrenzmedien erkannt. So ist ein drastischer Anstieg der DVD-/ Kino- wie auch der Videospiel-Umsätze festzustellen und Mobiltelefone wurden zu einem eigenen Unterhaltungs- und Kostenfaktor. Abseits dieser ökonomischen und technologischen Argumente gilt die allgemeine Kommerzialisierung und daraus resultierende Entwertung als ein weiterer Faktor (vgl. Oberholzer-Gee ebd.; Adermon Liang 2010, 3; Friedrichsen / Gerloff / Grusche 2004, S. 35 vgl. z.B. Kusek 2006 S.81f.; Lessig 2004 S.70; Peitz / Waelbroeck 2006, S. 99; Dejean 2009, 13).

      Trotz all dieser Faktoren, die den von der Musikindustrie propagierten monokausalen Zusammenhang von Piraterie und Umsatzverlust relativieren, wird von den meisten Studien zum Thema ein negativer Effekt der Piraterie und vor allem des Filesharing[50] seit der Veröffentlichung von Napster 1999 auf den Verkauf von „Recorded Music“[51] attestiert. (vgl. Piolatto / Schuett 2012, 31; vgl. Adermon / Liang 2010, 4; Liebowitz 2003. 30). Oftmals wird der Umsatzrückgang der Musikindustrie auch auf einen Mangel an guten, legalen Alternativen zurückgeführt. Waldvogel untersuchte aus diesem Grund, ob die erfolgreiche Etablierung des „iTunes Music stores“ die Präsenz und den Effekt des Filesharings auf legale Musikläufe verändert hat. Überraschenderweise kann er jedoch keinerlei Auswirkungen feststellen: “Our estimates of sales displacement indicate that each unpaid song reduces paid consumption by between a sixth and a third of a song. This is about the same rate of displacement obtained using a similar approach – and a similar sample – before the iTunes era. The iTunes Music store has substantially changed music retailing. But based on this sample of songs and consumers, it does not seem to have changed the effect of piracy” (Waldvogel 2010, 313). Den relativ geringen Substitutionseffekt zwischen 1/6 und einem 1/3 eines Songs sieht er auch durch andere Studien belegt und erklärt er vor allem damit, dass der Rest „deadweight loss“ sei, also Musik, die bei Kostenpflicht nicht erworben worden wäre (Waldvogel 2010, 312 f.).

      Eine grundsätzliche Ausnahme stellt die Untersuchung von Oberholzer-Gee / Strumpf (2007) dar, die für das Jahr 2002, einem Wachstumsjahr des Filesharings, zu dem erstaunlichen Ergebnis kommt, dass “[u]sing detailed records of transfers of digital music files, we find that file sharing has had no statistically significant effect on purchases of the average album in our sample” (ebd., 35). Die Studie von Oberholzer-Gee / Strumpf erntete wegen ihres aufsehenerregenden Ergebnisses viel Aufmerksamkeit und nicht weniger Kritik. So verfasste Liebowitz eine Arbeit, die ausschließlich zum Ziel hatte, die fragwürdigen Dateninterpretationen und Schlussfolgerungen der Studie darzulegen (Liebowitz 2007).

      Das kontraintuitive Ergebnis von Oberholzer-Gee / Strumpf bleibt eine Minderheitenposition[52]: Eine Auswertung der Studien zum Effekt von Piraterie auf den Verkauf von Musik kommt zu dem Schluss „that while it is fair to say that the results in the academic literature are mixed with respect to whether filesharing negatively impacts music sales, we also believe it is fair to say that the vast majority of papers find evidence of harm. Specifically, restricting attention to papers published