Gerald W.T. Zajonz

Seelentreppen


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       Böses, stärker als die Liebe,

       Schmerz, stärker als Geborgenheit,

       führt stufenweise hinab, auf der Seelentreppe,

       hinein in Bitterkeit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung!

      Kapitel1

      Seelentreppen!

      Von Gerald W.T. Zajonz

      Es ist wieder solch ein Tag. Ein Tag wie er in der letzten Zeit für Rudolf immer öfter beginnt. Ein Erwachen mit erdrückender Schwermut. Er ist allein zuhause. Seine Mutter bricht schon immer sehr früh auf, um zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen. Ist sie doch ein Mensch der niemals irgendwohin spät kommen würde. Alle fürchten sich immer nur vor dieser zeitbedingten Arbeitslosigkeit. Seine Mutter darf nicht krank werden, nicht zu spät kommen, darf keine Fehler machen… Verdammt! Sie ist doch nur ein Mensch! Alle sind doch nur Menschen! Seine Mutter ist ein einfacher Mensch. Sie schickt ihn zu dieser Schule. Er sollt etwas Besseres werden. Etwas Besseres?

      Sind nicht auch die etwas Besseres waren, arbeitslos? Heute muss man nicht etwas Besseres sein, man muss außergewöhnlich besser sein. So sieht das aus. Diese ganze Schule ist doch nur eine Ausrede für die Art von Geltungszwang gegenüber anderen Menschen, etwas für sein Kind zu tun. Na schön, für Übel nimmt er es seiner Mutter nicht. Auch Erwachsene haben ihre Träume. Rudolf selbst sieht die Sache als verlorenen Posten an. Er ist nicht der Supermann der Bücher, ist nicht der Typ eines Gelehrten, wie seine Mutter hofft. Sie malt sich ein schönes Leben für ihn aus. Sie ist eine glatte positive Träumerin. Das Gegenteil von ihm. Seine Träume sind nur immer düster, sind schwarz. Diese Welt, so meint der Junge, ist total erledigt. Die Menschen vernichten sie jeden Tag ein Stückchen mehr. Diese Menschen. Zum Überleben zu dumm. Eigentlich dummer als Tiere.

      Nach dem er seine Katzenwäsche hinter sich gebracht, trinkt er noch eine Tasse Kaffee aus der Warmhaltekanne, schnappt seine Büchertasche und verlässt das Haus. Jeden Tag das Gleiche. Aufstehen, waschen, ab in die Schule, Aufgaben machen, zwischendurch essen, schlafen gehen, und immer so fort. Später… Aufstehen, waschen, arbeiten, zwischendurch essen, schlafen gehen. Rudolf seufzt. Das soll das ganze Leben sein? Vielleicht zwischendurch ein kleiner Urlaub, einige Feiern, alt werden, irgendwann nicht mehr kriechen können, wieder von anderen Menschen drangsaliert werden…

      Mehr nicht?

      Dieser dämliche Mopedfahrer, mit seiner stinkenden, lärmenden Maschine, lässt ihn zornig werden. Mehrere Schüler seiner Klasse, besitzen ebensolche Stinkdrosseln. Warum kommen sie nicht Fahrrädern? Warum muss es dieser Angeberschrott sein? Von so weit her kommen sie alle nicht, die ein solches Fahrzeug gerechtfertigt hätte.

      Auf dem Schulhof eines Gymnasiums, irgendwo in Deutschland.

      Junge wissbegierige Menschen an jeder Ecke, diskutieren über dies und das. Nahezu brutal unterbricht sie der laute lang gezogene Summton, der Schulglocke. In der einen Ecke, etwas weiter von den meisten Schülern entfernt stehen zwei Jungs. Der eine von ihnen gestikulierte stark mit seiner rechten Hand. Es ist Herbert Haller der zu seinem Freund Rudolf sagt:

      „Das ist nicht dein Ernst Alter. Du willst heute blau machen? Auf einen Montag? Doktor Kotze wird dich morgen wieder auszählen. Erzählt dir wieder, dass deine Stunden nicht zusammen kommen. Dass du nicht zur Prüfung zugelassen wirst. Du kennst das ja zu Genüge. Er hat Recht damit, weißt du? Du könntest das Abi schaffen. Bist besser als ich. Vor allem in Geo und Bio. Das versaust du dir echt selbst.“

      Rudolf winkt glatt ab.

      „Hör doch auf so viel zu labern. Bist du vielleicht meine Mutter? Nah also. Das alles ist mir ja so was von egal, verstehst du? Ich gehe wohl erst mal in den Wald. Bis zum Kanal. Ich sitze gerne da. Das weißt du doch, mein liebes Herbertchen. Meiner Mutter werde ich sagen, Kopfschmerzen plagten mich wieder einmal. Falls Kotze bei ihr anruft, weiß sie was zu sagen. Fragt er dich, weiß du Bescheid. Geht das klar?“

      Herbert zuckt die Schultern.

      „Wie du willst. Trotzdem! Du sollst mich nicht immer Herbertchen nennen. Bin weder schwul noch …chen, ja? Also, ich gehe jetzt rein. Keinen Bock auf das Gelaber von Doktor Kotze. Seine Vorträge über die Pünktlichkeit kann ich nicht mehr hören. Heute Nachmittag ist Sport dran. Deshalb willst du heute blau machen, oder? Ich weiß ja was du immer sagst. Du mit deinem: Sport ist Mord. Nah, egal. Treffen wir uns nachher?“

      Rudolf blickte nachdenklich über den Pausenhof. Ohne seinen Freund anzusehen spricht er leise:

      „Wohl kaum! Mache später einen Abstecher ins Einkaufszentrum. Gucken, was es Neues gibt. Habe einen neuen Computer im Auge. Mein altes Ding schafft die neuen Spiele nicht mehr. Muss auch neue Reifen für mein Fahrrad besorgen.“

      Herbert schlägt ihn leicht auf die Schulter. Bewundernde Worte folgen:

      „Du bist schon ein cooler Hund Rudi. Hast du Scheine für ´nen Neuen? Warte doch mal! Ich will dir noch was sagen. Das ist scheißwichtig. Du solltest lieber nicht so oft in den Wald gehen. Das mit meinem Bruder, ja also, wenn die dich erwischen, sag` bloß nicht, dass du von mir weißt wo sie ihren Stützpunkt haben. Mein Bruder killt mich. Echt! Der nimmt diese Nazikacke sehr ernst. Die spielen nicht nur so herum, weißt du? Das ist eine ganz gefährliche Truppe. Die haben echte Waffen.“

      Rudolf wendet sich gelangweilt zum Gehen um.

      Er hebt den Arm:

      „Alles klar. Mach dir nichts ins Hemd. Ich kann schweigen. Mit dem Moos, das ist so eine Sache. So einer wie der Spira könnte sich den teuersten PC kaufen und ein Notebook dazu. Unsereiner muss dafür knüppeln. Werde in den Ferien einen Job suchen müssen. Mal sehen was läuft. Wir sehen uns morgen. Pünktlich zur Standpauke von Kotze. Alles klar soweit?“

      „Alles klar, Mann! Also dann! Mach´s gut, Rudi! Denk dran! Sei kein Verräter, klar?“

      Weiter entfernt lachen Mädchen. Herbert hält Rudolf noch einmal auf:

      „Warte kurz! Siehst du sie Rudi?“

      „Was soll ich sehen? Ach so. Die Gänse.“

      „Die in der Mitte ist eine scharfe Braut. Die könnte mir gefallen. Mann! Hat die ein Fahrgestell. Geht eine Klasse unter uns. Leider tanzt sie in einem Schuppen ab, der für mich zu teuer ist. Sag mal, hat doch wirklich klasse Beine, oder? Was sagst du als Fachmann dazu?“

      „Willst du das ehrlich wissen? Na schön. Die Beine sind viel zu dünn und zu lang. Das sind die reinsten Stelzen.“

      „Sei man nicht unfair. Schließlich können nicht alle so gut aussehen wie deine Rosi. Ich würde sie bald mal anbaggern. Hast du noch nicht gemerkt? Spira wetzt schon die Fingerspitzen.“

      „Quatsch. Bei Rosi kann er so viel wetzen wie er will. Außerdem, Spira ist ein Feigling. Wenn er Rosis Vater trifft, kackt er in die Hose. Rosis Alter mag die Spiras auch nicht besonders.“

      „Woher willst du das wissen? Spiras haben Geld. Rosis Vater wäre dem bestimmt nicht abgeneigt, wenn…“

      Ungehalten unterbricht Rudolf seinen Freund:

      „Rosis Vater mag überhaupt keine Leute aus Ostdeutschland. Das habe ich mal gehört, als er sich mit einem anderen Mann unterhielt. Er meinte, dass die aus dem Osten, uns die ganzen Arbeitsplätze weggenommen haben.“

      „Hat er nicht ganz Unrecht. Oder? Die kommen ja alle…“

      Rudolf faucht laut seinen Freund an.

      „Schwachsinn ist das! Wenn Leute aus Ostdeutschland uns die Arbeit wegnehmen, liegt das daran, dass sie ganz einfach besser sind. So ist das. Die mussten damals aus Scheiße, Gold machen. Das kennen die Meisten hier gar nicht. Die vielen arroganten Westler sind in die Läden gegangen und haben alles nur kaufen brauchen. Es gab und gibt doch alles, wenn man genug Moos hat. Sie sollten sich erst mal sachkundig