Karin Weishaupt

Alles gut, Mama


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zu weinen. Ich beschwere mich mit einem Mix aus Spanisch und Englisch (obwohl die nicht mal Englisch versteht) bei meiner Pensionswirtin über die Lärmbelästigung, in der Hoffnung, dass sich zum Wohle ihrer Gäste etwas tut und dadurch die Handvoll Hund vielleicht befreit wird. Auch die Nachbarin kriegt eine Lektion von mir, indem ich mich über soviel Hirnlosigkeit bei ihr beschwere, erst auf Spanisch, dann auf Englisch, und dann sprudelt mein ganzer Frust auf ,gut Deutsch’ raus! Später sehe ich die beiden Damen zusammen reden – kurz danach ist ,Totenstille’, die ganze Nacht hindurch, bis zu meinem frühen Aufbruch am nächsten Morgen. Ich kann nicht schnell genug hier wegkommen. Das Zimmer war ein dunkles Loch, an das Schicksal dieses kleinen Hündchens will ich gar nicht denken – und das erste Mal verspüre ich einen Funken Heimweh….

      4. Tag: Donnerstag, 25. April

      7km vor Deba bis Markina Xemein (31 km)

      Höhenunterschied ca. 1000m Auf- und Abstieg. Sehr abgeschiedener Weg in das hügelige Hinterland: Anspruchsvolle Etappe!

      Glanzleistung! Die am Tag zuvor ,geschwänzten’ 7 km bis Deba laufe ich heute erst einmal auf einer ,A…backe’ ab. Beim Einmarsch in die Stadt erkennt man, dass Deba gut versteckt im Tal liegt, an der Mündung des Rio Deba. Von der Anhöhe aus gelange ich kurz vor Mittag in einem gläsernen Aufzug hinunter in die Stadt. Nette Idee! An einem Obststand, an dem ich mich mit Wasser, Bananen und Erdbeeren für den weiteren Weg eindecke, treffe ich auch die vier Ladies aus Quebec wieder, die das gleiche im Sinn haben. Sie haben im Gegensatz zu mir die leichtere Variante, den Weg zu bestreiten, gewählt. Sie haben einen Gepäcktransfer und Unterkunft im Voraus gebucht und laufen ihre Etappen nur mit leichtem Gepäck. Ich habe so meine berechtigten Zweifel, ob ich es noch bis Markina-Xemein schaffe – immerhin liegen noch 23 km mit einem nicht zu unterschätzenden Höhenprofil vor mir. Die vier kanadischen jungen Damen machen mir Mut – und ich nehme die Herausforderung an…

      Es gibt kein Zurück. Hat man sich hier zum Weiterlaufen entschieden, sollte man sich anschliessend nicht beklagen. Unterwegs gibt es so gut wie keine Einkehrmöglichkeiten, d.h. zusätzlich wiegt der Proviant in Form von krummen Bananen und Wasserflaschen zusätzlich. Abbrechen ist hier nicht möglich – ausser, man hat vor, zu Biwaken. :0)

      Die Strecke verläuft in grosser Abgeschiedenheit durch Wälder und Felder. NIEMAND fühlt sich hier mal wieder sauwohl. Zwei-, dreimal begegne ich einem Alm-Öhi mit seinen Ziegen. Während ich nach Stunden so dahingetippelt bin, und sich Körper und Geist mittlerweile in einem mechanischen Vorwärts-Modus befinden, dringt mitten im Wald ein klägliches Schreien an mein Ohr. Da ist Mama wieder hellwach! Das hört sich an wie Ziege in Not! Direkt über mir am Hang meckert sich eine Ziege die Stimmbänder wund. Ich kann nichts sehen, aber es kann nicht weit von meinem Standpunkt sein. Kurzentschlossen lasse ich meinen Rucksack auf dem Waldweg liegen und mache mich an den Aufstieg, um der armen Kreatur zu helfen. Blöderweise ist der Hang an dieser Stelle besonders steil und glitschig: Von überall her sprudeln kleine Quellen aus dem Untergrund und machen den Aufstieg zu einer Matschtour ohne Gleichen. Für stacheliges Gestrüpp offenbar eine wunderbare Voraussetzung, besonders stachelig zu gedeihen, denn ich hole mir bei der Aktion auch noch ein dicke Schramme ab, bis es blutet. Hochalpin überwinde ich, weil es die Mission verlangt, auch noch einen Stacheldrahtzaun. Jetzt kann es nur noch ein Katzensprung bis zu dem in Not geratenen Objekt sein. Gerade verliere ich fast den Halt – da verliere ich die Fassung: etwa 40m vor mir sehe ich einen kräftigen Mann, nur mit Hose und Unterhemd bekleidet, in die Richtung kraxeln, in der ich die Ziege vermutet habe. Er bleibt kurz stehen, schaut mich ungläubig an und gibt mir kurz auf Spanisch zu verstehen, dass er sich um das arme Tier kümmert. Soviel habe ich verstanden: Dass ich den verschlammten Hang umsonst raufgekommen bin – und jetzt irgendwie wieder runter muss. Das gelingt mit Hängen und Würgen und ohne weitere Blessuren. Wenigstens ist die Ziege erhört worden, und als ich nach einer kleinen Ewigkeit zurück auf dem Waldweg bin, macht die Ziege keinen Mucks mehr. Der Rucksack ist auch noch da – bis an der Stelle, an der ich ihn zurückgelassen habe mal wieder eine Menschenseele vorbeikommt, vergehen wahrscheinlich Stunden – oder Tage. Die ganze Aktion hat mich Zeit und eine Menge Kraft gekostet. Ich hätte es wahrscheinlich auch für eine Kröte getan….

      Insgesamt laufe ich an diesem meinem dritten Tag satte 30 km, nebenbei bezwinge ich ,mal eben’ insgesamt 1000 Höhenmeter!

      Dementsprechend völlig fertig erreiche ich Markina-Xemein in der Dämmerung. Die mühsam erfragte Klosterherberge, die ich eigentlich anvisiert hatte, ist geschlossen. Erschöpfung, Ernüchterung – Enttäuschung. Ein junger Spanier mit drei kleinen Kids begleitet mich daraufhin durch die halbe Stadt und zeigt mir den Weg zu einer privaten Herberge. Die sieht rein äusserlich nicht sehr einladend aus, und nebenan befinden sich etliche Jung-Spanier vor einer Bar offensichtlich im Ausnahmezustand! Egal, jetzt gehe ich keinen Zentimeter mehr weiter. Ich kann mich nur noch vorbehaltslos in die Hände von Augusto begeben, dem Herbergsvater. Er entpuppt sich als über fürsorglich, legt meine Schuhe trocken und weist mir das einzige Einzelzimmer mit französischem Bett in seiner kleinen Herberge zu. Traumhaft! Gerettet! Augusto ist ein richtiges Pilgerherbergs-Väterchen. Er macht mich mit einem jungen Holländer bekannt, der schon monatelang alleine unterwegs ist und sicher viel zu erzählen hätte – wäre der nicht auch todmüde und blasengeschädigt.

      In der von Augusto empfohlenen Tapas-Bar, in der es hoch hergeht, erkämpfe ich mir später einen Platz an der Theke und frage nach fleischlosen Tapas. Die unverständlichen Blicke stören mich überhaupt nicht. Schliesslich entscheide ich mich für drei undefinierbare Häppchen und ein Gläschen Rotwein plus Wasser – alles in allem für 3,00 Euro. Diese Nano-Mahlzeit deckt nicht annähernd meinen heutigen Energieverbrauch, aber irgendwie ist mir jetzt eher nach schlafen…

      5.Tag: Freitag, 26. April

      Markina-Xemein – Cenaruzza

      Bis Munitibar (9 km)

      Regen! Ich treffe keinen Menschen unterwegs. Die geplante Unterkunft muss ich irgendwie verpasst haben. Kein Wunder, wenn man stundenlang die Kapuze des Anoraks bis über die Nase ziehen muss. In einem kleinen Nest namens ,Munitibar’ treffe ich auf vier Franzosen, die mir mit Hilfe der spanischen Bar-Senora eine Unterkunft besorgen. Tapfer laufe ich noch einen Kilometer zurück auf dem Weg, den ich gekommen bin zu einem Gasthof mit 6 Zimmern – wovon ich eines beziehen darf. Der Schuppen ist nicht billig, was mir aber unter den gegebenen Umständen relativ egal ist. Wenn die Leistung stimmt…immerhin gibt es eine Badewanne! Bis Gernika wären es noch 15 km gewesen. Das wollte ich meinem tapferen Fahrgestell heute nicht mehr antun, um es auf dem weiteren Weg nicht zu überstrapazieren. Wäsche waschen, Badewanne (das warme Wasser lässt auf sich warten – ich bade lauwarm bis kalt…) – und jetzt einfach einmummeln und den Beinen ein bisschen Ruhe gönnen! Der Weg hierher war steinig, gebirgig und wegen des schlechten Wetters gefährlich glitschig. Auch die Wetteraussichten für morgen verheissen nichts Gutes, im Gegenteil, es soll noch schlechter werden. In diesem ominösen Haus bin ich offensichtlich der einzige Gast. Hier gibt es nichts zu essen, die Küche bleibt kalt, und meine Vorräte sind erschöpft. Ich bewege mich also wohl oder übel nochmal durch den Regen den besagten Kilometer ins Dörfchen zurück, um, wieder als einziger Gast im einzigsten Restaurant am Ort, etwas Warmes zu mir zu nehmen. Es gibt Nudeln Bolognese. Die Sosse ohne Fleisch herzustellen, stellt die Köchin offenbar auf eine harte Probe ihres Könnens…die erste Lieferung jedenfalls geht kläglich in die Hose – die Sosse ist gespickt mit dicken Speckstücken, trotzdem ich bei meiner Bestellung ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass ich kein Fleisch esse. Das hat auch bisher funktioniert. Beim zweiten Anlauf klappt es dann – inzwischen versucht mein Magen krampfhaft, die Hoffnung nicht aufzugeben. Immerhin komme ich relativ gesättigt wieder zurück in meinen Geister-Gasthof. Mittlerweile ist es dunkel draussen. Diese Absteige ist mir irgendwie suspekt – die Schritte des Nachts auf dem Flur veranlassen mich dazu, meine Zimmertür zweimal zu kontrollieren, ob sie auch wirklich verschlossen ist. Wenigstens ist die Dame des Hauses bereit, meinetwegen um 7.00 Uhr nach vorheriger Absprache in der dunklen Küche zu erscheinen, um mir einen Instant-Kaffe und ein paar Kekse anzubieten. Sie gibt mir sogar noch welche als Proviant mit. Wirklich aufmerksam.