Karin Weishaupt

Alles gut, Mama


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Kamera noch meine bis dahin geschossenen Bilder auf dem Memory-Stick. Na toll! Aber ein bisschen Verlust ist immer. Ich kaufe mir kurzerhand eine kleine, feine, neue Kamera aus dem Sonderangebot. Die Alte landet im nächsten Abfalleimer. Offensichtlich hat dieser Apparat die zahllosen Regengüsse nicht überstanden…Wegen der verlorenen Fotos bin ich relativ enttäuscht.

      Jetzt heisst es, Herberge suchen. Meine Vorliebe für Tourist-Infos ist immer noch ungebrochen, und dort bekommen wir auch diesmal alle herbergsrelevanten Informationen. Mit Patrick auf dem Weg zum Bus, der uns zur Herberge bringt, krame ich unaufhörlich in meiner Sprachen-Arservaten-Kammer nach den verbliebenen Französich-Kenntnissen. Was da noch schlummert, wird kurz wieder aufgeweckt, und siehe da, sie reichen für die weiteren nötigen zwischenmenschlichen Verständigungs-Situationen völlig aus.

      Nach 25 Minuten Busfahrt erreichen wir die riesige Herberge oberhalb der Stadt Bilbao. 142 Betten. In einem 8-Bett-Zimmer werden wir untergebracht. Die restlichen 6 Betten werden kurz darauf von Italienern belagert, deren feuchte Klamotten das Klima nicht verbessern. Das Zimmer liegt im 7. Stock – demzufolge sind aufgrund etwaiger depri-geschädigter, selbstmordgefährdeter Pilger die Fenster nicht zu öffnen – es könnte ja jemand auf unchristliche Weise sein Pilgerdasein vorzeitig beenden wollen…der tolle Ausblick über die Stadt entschädigt nicht wirklich für diesen Umstand.

      In der gigantischen Herberge gibt es nichts zu essen. Also wieder rein in den Bus, runter in die Stadt und nach einem warmen Essen Ausschau halten. Suche erfolglos: In ganz Bilbao gibt es nichts Warmes zu Essen. Lediglich Tapas, soweit das Auge reicht. Salat. Kuchen. Aber nicht mal eine Suppe! Wir bestellen einen furchtbar grünen Salat und ein Stück Flan in Kuchenform. Irgendwie geht mir letzterer quer runter…

      Zurück in der Herberge wird die Nacht stinkig, viel zu warm und laut. Einer der Italiener tippt die gefühlte halbe Nacht auf seinem i-pad herum. Der Rest bekommt von mir am nächsten Morgen eine Auszeichnung für die melodischsten Schnarcher, die ich bisher anhören durfte.

      9. Tag: Dienstag, 30. April

      Bilbao – Portugalete (13 km)

      ,Selbst die absolute Dunkelheit kann keine Kerze am scheinen hindern’

      Aus Irland

      Kaum Höhenunterschied, ausschließlich Asphalt

      Regen wie aus Kübeln läutet diesen unheilschwangeren Tag ein. Die Nacht war nicht wirklich erholsam. Während der Pilger-Partnerschaft mit meinem Franzosen, die ja erst wenige Stunden jung ist, habe ich schnell gelernt, alles synchron zu machen: Wach werden, waschen, Rucksack packen…Beim Frühstück (Ja, hier gibt es was zu essen !) treffen wir auf einen jungen Deutschen, der uns enttäuscht mitteilt, dass sein Camino hier wohl endet. In diesem Wetter wird er seinen Weg nicht fortsetzen, sondern vorzeitig nach Hause fahren. Der Wetterbericht sagt für die nächsten paar Tage nichts Gutes voraus – und genau die paar Tage bleiben dem Ärmsten noch an Urlaub. Er hat die Nase gestrichen voll vom Nasswerden – er spricht mir aus der Seele. Klingt auch sehr vernünftig – aber ich bin ja gerade mal 8 Tage unterwegs, 8 Tage von sechs geplanten Wochen…

      Hier wird nicht gekniffen! Mutig erkläre ich Patrick, dass ich selbstverständlich auch bei Starkregen die nächste Etappe mitlaufen werde. Ich bin doch kein Weichei! Während Patrick damit beschäftigt ist, sich gefechtskampfmässig anzuzwiebeln – stehe ich schon fertig da, weil ich nichts anzuzwiebeln habe. Die Hose wird nach zwei Minuten völlig durchgeweicht sein, die Sintflut meine Schuhe in Kürze gewassert haben, und der Rucksack hält das auch nie und nimmer aus. Mittlerweile habe ich gelernt, Alles, aber auch Alles in Plastiktüten zu verstauen. Das einzige Kleidungsstück, auf das ich jetzt hoffen kann, ist mein neuer Anorak, der sein Geld wert ist! Ich glaube, mit dem bleibt man auch unter Wasser noch trocken…Wir marschieren los. Bis Portugalete sind es ungefähr 13 km – natürlich ausnahmslos an stark befahrenen Strassen entlang. Nach etwa 15 Minuten bin ich nass bis auf die Unterwäsche. Patrick hat seinen Turbo eingeschaltet. Mit seinen Wanderstöcken trabt er in seinem grünen Regenponcho vor mir her – ich habe Mühe ihm zu folgen. Das Wetter macht mir total zu schaffen, und so langsam kriege ich einen ,Hals’, dass ich mich zu dieser blödsinnigen Aktion bereit erklärt habe. Immer weiter schwebt das grüne Männchen in den Wasserschwaden vor mit her, und so langsam keimt in mir der Gedanke, mich jetzt leicht absetzen zu können… . Stattdessen treffen wir in einem winzigen Supermercado wieder zusammen, einzig um den Laden unter Wasser zu setzen und drei Bananen zu kaufen. Patrick schaltet einen Gang zurück, und ungefähr auf der Hälfte der Strecke fallen wir mit unserem nassen Zeug in eine Bar ein. Eine Toilette! Ein Café con leche! Ein Croissant! Auf der Toilette ziehe ich meine Schuhe aus und schütte den Inhalt ins Klo. Die Socken wringe ich kurz aus, dann versuche ich, alles wieder anzuziehen. Ekelhaft! Das Croissant muss ich mir komischerweise reinwürgen.

      Es braut sich was zusammen...

      Auf dem Rest der Etappe regnet es noch stärker, was eigentlich gar nicht möglich schien. Die Stimmung sinkt zunehmend, auch wenn es keiner von uns offen zeigt. Nur eine gewisse negativ aufgeladene Energie ist spürbar. Entlang farbloser, teils verfallener Hafen- und Industrieanlagen und der Ria de Bilbao geht es weiter bis Getxo. Hier gibt es eine Hängegondel, die Autos und Fussgänger über den Fluss nach Portugalete bringt. Die Überfahrt in dem Scheisswetter kann mich nicht so richtig für diese Erfindung begeistern. Am Ufer von Portugalete angekommen, steuern wir erst einmal wieder die Tourist-Info an. Sie empfehlen uns dort eine Pension oberhalb der Stadt. Letztere liegt nämlich an einem Hang. So steil, dass die Strasse, die nach oben führt, mit Laufbändern versehen ist – vielen, herzlichen Dank dafür, mein Allgemeinzustand verschlechtert sich nämlich in Richtung ,Nichts geht mehr’. Die Körpertemperatur scheint rapide gegen Null zu sinken, der Bauch besticht durch Krämpfe, und in der Magengegend scheint alles auf Rückwärtsgang eingestellt zu sein. Die Anmeldung in der Pension kann mir nicht schnell genug gehen – ich muss ins Bett, ins Warme. Und nein, ich bin mit diesem Franzosen in keiner Weise liiert, und nochmals nein, ich möchte mir mit ihm kein Zimmer teilen. Die Info-Dame ist schwer zu überzeugen. Patrick diskutiert Gott sei Dank auch nicht lange, und jeder von uns bezieht endlich seine Zwanzig-Euro-Kammer.

      Die Zeit reicht gerade noch dazu, die nassen Klamotten im Zimmer zu verteilen. Zum x-ten Mal. Ich drehe die Heizung auf, die sogar funktionstüchtig ist, und zwei Minuten, nachdem ich bibbernd im Bett liege, muss ich mich übergeben. Es gibt hier zwei Bäder mit Toilette – die sich aber unglücklicherweise auf dem Flur befinden, und nicht wirklich in meiner Einflugschneise liegen. Ich treffe auf Anhieb ein freies Bad und wundere mich über so viel Gallenflüssigkeit, die mein Magen mühelos hergibt. Diese Prozedur durchlaufe ich noch ungezählte Male, bis ich mich entscheide, Patrick um Hilfe zu bitten. An seiner Zimmertür bekomme ich gerade mal so ein ,Je suis mal a…..’ heraus, da muss ich schon wieder rennen! Danach kurze Pause im Bett, von wo aus ich ihm erkläre, was mir fehlt – und welche Medizin ich benötige. Er ist total besorgt um mich, flitzt sofort los Richtung Apotheke, besorgt mir ein Mittel gegen ,Würfelhusten’, kauft mir in weiser Voraussicht Bananen, und organisiert Zeitungspapier, um meine Schuhe wenigstens annähernd trocken zu bekommen.

      Den halben Tag und die ganze Nacht hindurch kämpfe ich mit Brechen und Durchfall – das ganze Programm! Galle ohne Ende – ein Ei im Flan war wohl schlecht, oder hat mich das Wette weichgekocht…

      Am nächsten Morgen geht es mir dank der Medizin etwas besser – der Körper hat ja auch mittlerweile nichts mehr zu bieten. Patrick erkundigt sich am Morgen ganz lieb nach meinem Befinden, und ich gebe ihm zu verstehen, dass er ohne mich weiterziehen soll. Mein ehrlicher Dank gilt seinen Bemühungen. Völlig gerührt nehme ich noch eine Turbo-Anti-Durchfall-Tablette als Abschiedsgeschenk von ihm entgegen, mit dem Versprechen, sie auch gleich einzunehmen. Süss! Abschliessend noch zwei echt französische Küsschen auf die Wange – dann geht er.

      10. Tag: Mittwoch, 1. Mai

      Portugalete – Pobena (14 km)

      Höhenunterschied: 170m, Asphaltpiste…