sich die Hausherrin von ihrer noblen Keksspende einen Sündenerlass – der allerdings sehr übersichtlich ausfallen würde….
6.Tag: Samstag, 27. April
Cenaruzza – Gernika-Lumo
Munitibar bis Gernika-Lumo (15 km)
Höhenunterschied: 410m im Aufstieg, 700m im Abstieg, einsame Wegstrecke
Noch 755 km bis Santiago!
Der Winter ist zurück! Kalt und nass! Nach dem Instant-Kaffee aus der Mikrowelle und zwei Vollkornkeksen mache ich mich auf den Weg Richtung Gernika. Es muss knapp über Null Grad sein – ich kann meinen Atem sehen. Es regnet Schweinchen, und ab und zu kommt ein heftiger Hagelschauer runter. Ich treffe NIEMAND auf dem vierstündigen Weg. Der Typ ist ständig mit von der Partie…Und spätestens jetzt muß ich mir eingestehen, dass meine Ausrüstung diesen Wetter-Eskapaden nicht gewachsen ist. Zu allem Überfluss schmerzt auch noch die Hüfte unangenehm. Die Hose klebt nass an den Beinen, die Schuhe sind bis zum Bördchen schlammig. Innen hat sich mittlerweile ein kleiner See gebildet, der bei jedem Schritt mitschwingt…komischerweise fühlt sich dieser See angenehm warm an – solange man in Bewegung bleibt. Meine ,Durchlauferhitzer’ (Wanderschuhe :0)) sind eben nur mit körperlichem Energieaufwand funktionstüchtig. Eine kurze Pause ist nur im Stehen möglich – alles ist triefend nass. Ich gebe mir 3 Minuten für eine Banane, zwei Kekse und einen Schluck Wasser. Mehr ist nicht drin bei diesem Wetter. Kein Dorf, kein Café – nix. In Gernika suche ich völlig durchgeweicht die Herberge auf, die, wie könnte es anders sein, natürlich am anderen Ende der Stadt liegt. Sie öffnet erst in 3 Stunden…Ein netter Spanier zeigt mir den Weg zurück durch die Stadt zur Tourist-Info. Die engagierte Dame dort empfiehlt als gute Alternative zu einer Herberge kleine Hotels – die Differenz Preis/Leistung sei entscheidend. Wie wahr! Völlig aufgeweicht beziehe ich kurze Zeit später ein einfaches, sauberes – und vor allen Dingen trockenes Zimmerchen im dritten Stock.
Wenige Minuten nach meiner Ankunft erinnert hier alles an einen Bombenangriff: Überall verstreut liegen Klamotten und jedes einzelne Utensil aus dem Rucksack zum Trocknen. Sogar Geldscheine und mein Pilgerausweis. Vielleicht wäre ja doch ein Regenschutz für meinen als wasserdicht angepriesenen Rucksack von Vorteil? Die Dusche muss warten – mein Magen hängt schon wieder irgendwo im Bereich der unteren Extremitäten. In voller Drecks-Montur traue ich mich in ein Café: Ein Königreich für einen Café con leche und ein Stückchen Mandelkuchen! Danach noch schnell zu Schlecker, dessen Ladenschliessungen Spanien offensichtlich noch nicht erreicht haben. Hier gibt es trockene Schuheinlagen, Tempos für alle Gelegenheiten, Saftpäckchen und Wasser. Zurück im Hotel dann diese göttliche heisse Dusche! Wasser sparen geht jetzt gar nicht.
Im Zimmerpreis ist eine warme Mahlzeit, ein Glas Wein und ein Frühstück enthalten. In kurzer Hose, das einzige Kleidungsstück, das einigermassen trocken geblieben ist, begebe ich mich hinunter ins Restaurant und verleibe mir einen riesigen Teller heisser Fischsuppe ein. Unter den sahnigen Fettaugen kann ich sogar vereinzelt ein paar Krabben ausmachen! So etwas Köstliches habe ich bis dahin hier in Spanien noch nicht gegessen! Später plane ich im Bett die morgige Etappe. Je nach Wetterlage 8 km oder 23 km – dazwischen geht nicht. Da ist Wald…Da müssen Entscheidungen getroffen werden – und mich beschleicht der Gedanke, dass das gesamte Camino-Projekt von Entscheidungen nur so wimmelt. Was den nächsten Tag betrifft, habe ich noch keine Ahnung, welche richtig sind…Fest steht: Morgen werde ich wieder nass! Leider habe ich aus Gewicht-Reduzierungsgründen die zweite lange Hose – ich muss gestehen, es war eine Qualitäts-Marken- Regenhose…- zuhause wieder ausgepackt. Zu blöd…Heute ist Samstag, und die Geschäfte haben geschlossen, also keine Chance, den Fehler auszubügeln. Ok, am Wochenanfang soll das Wetter endlich besser werden. Ich denke an Bilbao. Das wird noch eine Herausforderung. Und ich freue mich auf Pobena. Das liegt endlich wieder am Meer – und dann ist sicher auch die Sonne zurück!
Es is ja, wie es is. Und Morgen ist wieder Scheisswetter….Wenn es wieder schön warm wird, und ich bin am Meer, werde ich auch mal wieder eine Herberge testen. Mit NIEMAND im Schlepptau findet man hier sicher immer irgendwo ein Bett, eine Pritsche oder eine Matratze…
Nach Bilbao soll das Höhenprofil erträglicher werden – und dann gebe ich richtig Gummi! Diese erste Woche war die Härte – eine echte Prüfung für Körper UND Seele!
7. Tag: Sonntag, 28. April
Gernika – Lezama (23 km)
,Zwinge Dich zur Langsamkeit’ Novalis
Höhenunterschied Gernika bis Bilbao: 830m im Auf- und Abstieg, schlecht markierter Weg!
Etappe ohne besondere Vorkommnisse. In einem Landgasthaus in Lezama lerne ich Patrick und Emanuelle kennen: Sie kommt aus Genf, er kommt aus Avignon. Die beiden haben sich unterwegs irgendwie ,entdeckt’, was den Lauf-Rhythmus und die Interessen angeht. Jetzt sind sie schon tagelang zusammen unterwegs und teilen sich aus Kostengründen sogar ein Zimmer, wenn es die Situation verlangt. Der Gedanke erheitert mich, und ich stelle mir vor, mit einem wildfremden, schnarchenden Mann in einem Zimmer zu schlafen dessen Stinkesocken und andere verschwitzte ,Dessous’ auf dem Boden verstreut liegen. Andererseits: In jeder Herberge sieht es nicht anders aus, im Gegenteil. Da potenziert sich die Anzahl der Schnarchenden und die besagter Klamotten noch! Patrick spricht wirklich ausnahmslos Französisch, und mit Emanuelle sitze ich lange im Aufenthaltsraum und bekomme für meinen weiteren Weg wertvolle Tipps. Sie hat schon etliche Caminos bewandert, und schwärmt immer wieder von den Jakobswegen in Frankreich. Da sei der Geist des Weges noch greifbar… Vom spanischen Camino del Norte ist sie relativ enttäuscht. Zu wenige Herbergen, zu wenig und wenn, dann mittelmässiges Essen, alles und jedermann zu oberflächlich – und dann das Wetter…! Ich bin noch nicht lange genug unterwegs, um mitreden zu können, aber das, was sie mir vermittelt, gibt mir zu denken…
8. Tag: Montag, 29. April
Lezama – Bilbao (15 km)
Am nächsten Morgen laden mich Emanuelle und Patrick ein, mit ihnen nach Bilbao zu marschieren. Dafür bin ich durchaus dankbar, denn den Weg allein in diese Großstadt zu finden, stelle ich mir nicht sonderlich prickelnd vor.
Leider liegt zwischen Lezama und Bilbao schon wieder ein Berg, den die beiden als trainierte Profi-Pilger in einem Mordstempo besteigen – ich bilde das Schlusslicht und leide. Warum muss ich hinter denen her hechten? Weil ich so entschieden habe! Komischerweise ist es jedes Mal Patrick, der unverhofft hinter einer Wegbiegung steht und offensichtlich auf mich wartet und dann einen banalen Grund für seine Stopps angibt: Schuhe zubinden, Jacke ausziehen, Jacke anziehen usw. Echt süss – aber irgendwie komisch. Bis Emanuelle mich irgendwann zur Seite nimmt, und mich ganz schüchtern, aber direkt fragt, ob ich ihren Patrick nicht übernehmen möchte – sie müsse am Nachmittag von Bilbao aus nach Hause fahren. Sie habe das auch schon mit Patrick abgesprochen, und er würde gerne mit mir zusammen den Camino weitergehen. Ich stottere sowas wie: ok, wenn er das möchte, wenn ich ihm nicht zu langsam bin, wenn…Sie meint, ich könne auch getrost mit ihm ein Zimmer teilen. Eine klare Ansage vorher würde reichen. Natürlich sage ich ,Ja’ denn ,Nein’ sagen war ja noch nie meine Stärke. Ich versichere ihr, dass ihr Kumpel erst mal gut bei mir aufgehoben ist und ich bestimmt einen würdigen Pilger-Sitter abgeben werde.
In Bilbao angekommen, und nach einer kilometerlangen Wanderung über Asphaltpisten und der vergeblichen Suche nach Wegweisern, stürmen wir mit unseren Schweissfahnen eine Tapas-Bar. Patricks Teller ist für seine Auswahl viel zu klein – mir hat dieses Wettrennen meinem Appetit jetzt einen Dämpfer verpasst…drei Baguette-Scheibchen mit einem undefinierbaren Topping und ein Gläschen Rotwein – das ist wieder mal viel zu wenig! Emanuelle stehen die Tränen in den Augen, als sie sich auffällig überstürzt von uns verabschiedet.
Partnerwechsel vollzogen!
Patrick klappert dann mit einer mir unvorstellbaren Geduld mir zuliebe sämtliche Foto-Läden