Ursula Tintelnot

Himmel über der Maremma


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als Ama­lia als Vier­jäh­ri­ge vor gut acht Jah­ren ins Haus kam. Es wur­de Zeit, dach­te sein Va­ter, dass er sei­ne Ei­fer­sucht über­wand.

      Ama­lia hör­te das scha­ben­de Ge­räusch, als ihr On­kel den Kris­tall­stöp­sel aus der Ka­raf­fe zog, um sich einen Co­gnac ein­zu­schen­ken. On­kel Ma­xi­mi­li­an war zwan­zig Jah­re äl­ter als ihr Va­ter Jo­hann. Sein dich­tes kur­z­es Haar war grau, wäh­rend das ih­res Va­ters noch dun­kel­blond wie ihr ei­ge­nes ge­we­sen war.

      Sie kann­te den In­halt der Un­ter­hal­tung. Fre­de­ri­co moch­te sie nicht. Er är­ger­te sie, wann im­mer es ihm ge­fiel. Und es ge­fiel ihm oft.

      Als Ama­li­as Va­ter sta­rb, war sie vier Jah­re alt ge­we­sen. An ih­re Mut­ter konn­te sie sich nicht er­in­nern.

      War­um sie ih­ren Va­ter und sie ver­las­sen hat­te, wuss­te Ama­lia nicht. Da­mals war sie zu klein ge­we­sen, um Fra­gen zu stel­len, und jetzt gab es nie­man­den mehr, den sie fra­gen konn­te. On­kel Ma­xi­mi­li­an war ihr ein­zi­ger auf­find­ba­rer Ver­wand­ter. So war sie vor acht Jah­ren wie ein Post­pa­ket von Ham­burg nach Ita­li­en ge­schickt wor­den. Ih­re Er­in­ne­run­gen an ei­ne gro­ße Stadt, den Ha­fen und die Woh­nung mit dem Aus­blick auf ei­ne be­leb­te Stra­ße ver­blass­ten.

      Ma­xi­mi­li­an reis­te in Ge­dan­ken drei­zehn Jah­re zu­rück.

      Zum letz­ten Mal war er sei­nem Bru­der und des­sen Frau Bel­la vor mehr als zwölf Jah­ren be­geg­net. Er sah Bel­la noch vor sich. Sie war zau­ber­haft. Ei­ne Frau, die ihn in den Wahn­sinn trieb. Er woll­te sie, und er nahm sie sich.

      Nie wie­der sprach Jo­hann ein Wort mit ihm. Bel­la ver­ließ ih­ren Mann und ihr Ba­by gleich nach der Ge­burt. Und jetzt war die­ser ver­hass­te Bru­der längst nicht mehr am Le­ben, und des­sen Toch­ter leb­te in sei­nem Haus.

      Ma­xi­mi­li­an hat­te das Er­be sei­nes Va­ters an sich ge­ris­sen, die Ehe sei­nes Bru­ders zer­stört, und nun ge­hör­te auch Ama­lia ihm. Das Mäd­chen, ein Ab­bild sei­ner Mut­ter, er­in­ner­te ihn Tag für Tag an Bel­la und an das, was zwi­schen ih­nen ge­we­sen war. Aber er war kein Mann, der sich über Din­ge auf­reg­te, die der Ver­gan­gen­heit an­ge­hör­ten.

      In ge­wis­ser Wei­se ver­stand er sei­nen Sohn. Fre­de­ri­co war ihm sehr ähn­lich. Un­ver­söhn­lich in sei­ner Ab­leh­nung. Und un­er­bitt­lich, wenn es um sein Ter­ri­to­ri­um ging.

      Ama­lia war ein un­ab­hän­gi­ges Mäd­chen. Sie be­klag­te sich nie über Fre­de­ri­co. Wenn er sie zu de­mü­ti­gen ver­such­te, nahm sie es sto­isch hin, was ihn zu noch grö­be­ren Scher­zen ver­an­lass­te.

      Auch Ma­xi­mi­li­an hat­te mit dem spät ge­bo­re­nen Bru­der die Zu­nei­gung sei­ner El­tern tei­len müs­sen. Zwan­zig Jah­re lang war er ihr Kron­prinz, ihr Stolz ge­we­sen.

      Jo­hann ent­wi­ckel­te sich zu ei­nem Wun­der­kind. Mit drei Jah­ren be­gann er Kla­vier zu spie­len, mit fünf be­kam er sei­ne ers­te Gei­ge. Sein mu­si­ka­li­scher Hö­hen­flug war un­auf­halt­sam. Mit zwan­zig Jah­ren war er ers­ter Gei­ger in ei­nem gro­ßen Or­ches­ter. Er reis­te um die gan­ze Welt. Wäh­rend Jo­hann sich sei­ner Kunst wid­me­te, wid­me­te sich Ma­xi­mi­li­an den Fir­men sei­nes Va­ters und sorg­te da­für, dass sein Bru­der am En­de kei­nen Hel­ler er­hielt.

      Dass sein Va­ter nicht mehr Herr sei­ner Sin­ne war, be­güns­tig­te Ma­xi­mi­li­ans Plä­ne. Nach­dem sei­ne und Jo­hanns Mut­ter ge­stor­ben war, ver­lor sein Va­ter nicht nur jeg­li­ches In­ter­es­se an den Ge­schäf­ten, son­dern auch sei­nen Ver­stand. Es war nicht schwer, ihm ein­zu­re­den, dass Jo­hann nichts mehr mit ihm zu tun ha­ben woll­te. Der Al­te ent­erb­te sei­nen jün­ge­ren Sohn und über­schrieb al­les sei­nem Äl­tes­ten.

      Als Jo­hann zur Be­er­di­gung sei­nes Va­ters an­reis­te, brach­te er sei­ne wun­der­schö­ne jun­ge Frau mit. Ma­xi­mi­li­an konn­te den Blick nicht von ihr wen­den. Die ge­ra­de Na­se, ih­re schön ge­schwun­ge­nen Lip­pen. Das streng zu­rück­ge­bun­de­ne Haar schim­mer­te. Er hat­te vie­le Frau­en ge­kannt. Die­se woll­te er, auch, weil sie die Frau sei­nes Bru­ders war.

      Ma­ja war ei­ne wun­der­ba­re Kö­chin. Und sie lieb­te Ama­lia. Das Mäd­chen rühr­te sie.

      Ama­lia war so zier­lich, viel zu dünn, und manch­mal sah sie trau­rig aus. Als sie vor acht Jah­ren kam, sprach sie nicht. Ma­ja schob es dar­auf, dass die Klei­ne kein Ita­lie­nisch konn­te. Aber das war es nicht. Auch, nach­dem sie al­les ver­stand, sprach sie nicht. Ama­lia sag­te kein Wort. Um­so mehr drück­ten ih­re strah­len­den Au­gen aus, wenn sie sich freu­te, die sich ver­schlei­er­ten, wenn sie trau­rig war.

      Ama­lia schmieg­te sich an Ma­ja, wenn sie ihr einen Le­cke­r­bis­sen zu­steck­te, und sie lä­chel­te so vol­ler Dank­bar­keit, dass das Herz der Kö­chin schmolz.

      Die Fa­mi­lie traf sich zum Abend­es­sen in der gro­ßen ver­glas­ten Ve­ran­da. Ei­nem ganz in Früh­lings­grün und Weiß ge­hal­te­nen Raum mit Blick auf die sanf­ten Hü­gel ge­gen­über.

      The­resa be­stand dar­auf, dass die Fa­mi­lie so­oft wie mög­lich an ei­nem Tisch zu­sam­men­kam. Fre­de­ri­co stand am Fens­ter und sah ge­lang­weilt hin­aus in die Dun­kel­heit. Sei­ne Groß­mut­ter Ma­ria be­trat in die­sem Mo­ment das Zim­mer.

      »Wo ist The­resa? Kann mei­ne Toch­ter nicht ein ein­zi­ges Mal pünkt­lich sein?« Sie sah sich um.

      Ma­xi­mi­li­an be­grüß­te sei­ne Schwie­ger­mut­ter. »Nein«, sag­te er spöt­tisch, »das kann sie nicht. Ein ekla­tan­ter Er­zie­hungs­feh­ler.«

      »Re­de kei­nen Un­sinn, ich ha­be sie an­ders er­zo­gen.«

      Die al­te Da­me ließ sich auf ei­nem Stuhl am Tisch nie­der. Sie war schlank und saß auf­recht, oh­ne die Rü­cken­leh­ne in An­spruch zu neh­men.

      »Du hast sie gar nicht er­zo­gen.«

      Ma­ria schmun­zel­te. »Hat sie dir das er­zählt?«

      »Ja, hat sie.«

      »Das stimmt, ich war zu häu­fig auf Rei­sen.«

      Ma­ria be­trach­te­te ih­ren Schwie­ger­sohn. Er sah gut aus und war ein sehr groß­zü­gi­ger Mann. Kaum jün­ger als sie selbst. Wenn sie Lust auf einen jün­ge­ren Lieb­ha­ber ge­habt hät­te … dem Al­ter nach hät­te er bes­ser zu ihr ge­passt. Aber er war zu alt, um sich ei­ne noch äl­te­re Ge­lieb­te zu neh­men, dach­te sie zy­nisch.

      »Wo ist Ama­lia?«

      Fre­de­ri­co wand­te sich end­lich sei­ner Groß­mut­ter zu. »Der Stock­fisch ist auch noch nicht da.«

      Ma­ria hob die Brau­en. Ihr jüngs­ter En­kel ließ kei­ne Ge­le­gen­heit aus, sich über sei­ne Cou­si­ne lus­tig zu ma­chen. Die Tür öff­ne­te sich, und The­resa trat ein.

      »End­lich, Kind, du weißt, dass ich nicht ger­ne war­te.«

      »Ich weiß, Ma­ma.« Sie be­grüß­te ih­re Mut­ter mit ei­nem flüch­ti­gen Kuss. »Ich ha­be den Nach­mit­tag im Stall ver­bracht und muss­te mich noch um­zie­hen.«

      Ih­ren Mann be­grüß­te sie mit ei­nem Lä­cheln. Sie konn­te ihm an­se­hen, was er dach­te. Raf­fa­el, der jun­ge Ver­wal­ter, war ein fä­hi­ger Mann und Ma­xi­mi­li­an ein Dorn im Au­ge.

      »Gu­ten