Ursula Tintelnot

Himmel über der Maremma


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»Wol­len Sie das Ge­halt spa­ren?«

      Ein hal­b­es Jahr spä­ter wur­de sie Frau von Oss­ten und zog mit ih­rem Sohn und ih­rer Mut­ter in das rie­si­ge Haus in der Ma­rem­ma.

      Sie war Ma­xi­mi­li­ans vier­te Ehe­frau. Sei­ne Ehen wa­ren kin­der­los ge­blie­ben. Als sie schwan­ger wur­de, kann­te sei­ne Freu­de kei­ne Gren­zen.

      Ma­xi­mi­li­an dach­te an die ers­te Be­geg­nung mit The­resa. Schlank und kraft­voll, ei­ne ge­ball­te La­dung Ener­gie. Oh­ne er­kenn­ba­re Ei­tel­keit, ver­lo­ckend, oh­ne zu lo­cken.

      Ihr dich­tes ge­well­tes Haar glänz­te wie das Ge­fie­der ei­nes Ra­ben. Sie be­saß die­se na­tür­li­che Ele­ganz, die nicht er­lern­bar war. In sei­nen Au­gen wa­ren al­le Frau­en sich ähn­lich. The­resa bil­de­te die Aus­nah­me. Al­les an ihr war ein­zig­ar­tig, be­son­ders und un­wi­der­steh­lich. Ein Hauch von Me­lan­cho­lie um­gab sie. Sie war da­mals noch nicht lan­ge Wit­we ge­we­sen, er­in­ner­te er sich.

      The­resa be­klag­te sich nie. Sie mach­te kei­ne Sze­nen, nahm sei­ne Es­ka­pa­den hin. Manch­mal schien ihm, als ob sie gar nicht be­merk­te, wenn er sich ei­ner an­de­ren Frau zu­wand­te. War das so, weil es ihr egal war? Er ihr egal war? Das kä­me ei­ner Krän­kung gleich. Ja, er war ge­kränkt. Ih­re schein­ba­re Gleich­gül­tig­keit war Gift für sein Ego.

      Ma­xi­mi­li­an drück­te das Gas­pe­dal durch. Er fuhr Rich­tung Gros­se­to. Dort­hin, wo ei­ne Frau auf ihn war­te­te, die ihn be­merk­te. Si­do­nie, die Frau sei­nes Freun­des und Ge­schäfts­part­ners Re­na­to, der sich mehr auf Rei­sen als zu Hau­se auf­hielt, war ein blon­des Ver­spre­chen. Un­ge­hemmt und oh­ne die ge­rings­te An­mu­tung von Mo­ral. Ei­ne se­xu­ell un­ter­for­der­te Fünf­und­drei­ßig­jäh­ri­ge.

      Rück­sichts­los fuhr er viel zu schnell über die kur­vi­ge schma­le Stra­ße.

      Ei­ne Stun­de nach sei­ner Ge­burt stand der klei­ne Hengst auf zit­tern­den Bei­nen im hoch ein­ge­streu­ten Heu.

      Hell­brau­nes Fell. Sei­ne glän­zen­den Au­gen um­gab ein wei­ßer Kranz.

      The­resa lach­te. »Es sieht aus, als ha­be er sich ei­ne Bril­le auf­ge­setzt.«

      Raf­fa­el war da­bei, die Ab­fohl­box zu säu­bern. Die Nach­ge­burt ließ er in einen Ei­mer fal­len. Die wür­de sich die Tier­ärz­tin spä­ter an­se­hen.

      »Das hast du gut ge­macht.« The­resa strei­chel­te den Hals ih­rer Stu­te.

      Lu­na schnaub­te lei­se und blies war­men Atem in ihr Ge­sicht. Es war schon die drit­te Nacht, in der sie bei Lu­na ge­wacht hat­ten. Die Stu­te war un­ru­hig ge­we­sen.

      Das Foh­len hat­te den Weg zu den Zit­zen sei­ner Mut­ter ge­fun­den.

      The­resa war im­mer wie­der be­rührt, wenn sich die­se klei­nen We­sen auf ih­re Streich­holz­bein­chen kämpf­ten und schon kurz nach der Ge­burt zu trin­ken be­gan­nen.

      Mü­de hock­te sie auf ei­nem al­ten Hocker, stütz­te sich auf die Knie und leg­te ihr Ge­sicht in bei­de Hän­de. Sie hör­te Raf­fa­el hin und her ge­hen, be­ru­hi­gen­de Lau­te von sich ge­ben. Was­ser lief. Dann spür­te sie ihn hin­ter sich, sei­ne war­men kräf­ti­gen Hän­de auf ih­ren Schul­tern. Sie stöhn­te, als er sanft ih­re ver­spann­ten Schul­tern mas­sier­te. Noch herrsch­te Stil­le im Stall, nur un­ter­bro­chen von lei­sem Schnau­ben und dump­fem Stamp­fen, wenn ei­nes der Pfer­de sich be­weg­te. The­resa leg­te den Kopf zu­rück und sah zu Raf­fa­el auf.

      Es war ge­ra­de sechs Uhr früh, als sie über den Hof auf das Her­ren­haus zu­ging. Sie hör­te die Stall­bur­schen und ih­ren Stall­meis­ter, der sei­ne An­wei­sun­gen für den Tag gab. Er war be­liebt, aber auch ge­fürch­tet. Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten dul­de­te er nicht.

      Jetzt hör­te sie ihn brül­len: »Ich stül­pe dir die Nach­ge­burt über die Oh­ren, du Schwei­ne­bra­ten.«

      Da hat­te wohl ei­ner der Stall­bur­schen einen Feh­ler ge­macht.

      The­resa lä­chel­te. Sei­ne Stim­me wur­de lei­se, wenn er mit den Pfer­den sprach.

      Sie konn­te sich kei­nen bes­se­ren Stall­meis­ter und Ver­wal­ter vor­stel­len. Er war jung, jün­ger als sie selbst, aber er be­saß ei­ne na­tür­li­che Au­to­ri­tät, die nicht durch sei­ne Ge­burt zu er­klä­ren war.

      Sei­ne El­tern wa­ren schlich­te Bau­ern ge­we­sen. Sei­ne Her­kunft, nun ja, eher ein­fach, so­gar sehr ein­fach.

      Ih­re Ge­dan­ken wan­der­ten vier Jah­re zu­rück zu ih­rem Lieb­lings­platz am See. Ei­ne rie­si­ge Trau­e­r­wei­de auf ei­ner Land­spit­ze spen­de­te Schat­ten, wenn die Hit­ze des Som­mers kaum zu er­tra­gen war. Ih­re Ran­ken hin­gen bis tief auf die Er­de, bil­de­ten küh­le Räu­me aus grü­nen Vor­hän­gen. Dort­hin zog sie sich zu­rück, wenn sie al­lei­ne sein woll­te. Von dort aus schwamm sie zu der win­zi­gen In­sel mit­ten im See. Ein ein­sa­mer Ort. Hier war er ihr zum ers­ten Mal au­ßer­halb des Stal­les be­geg­net.

      Er stieg aus dem Was­ser, nackt wie Po­sei­don und starr­te auf sie hin­un­ter. Sie lag re­gungs­los auf ih­rem Hand­tuch und starr­te zu­rück. Ein bron­ze­ner mus­ku­lö­ser Kör­per.

      Ih­re Zun­ge strich über ih­re tro­ckene Ober­lip­pe. Raf­fa­el dreh­te sich um und ver­schwand zwi­schen den her­ab­hän­gen­den Zwei­gen. Das Son­nen­licht mal­te un­re­gel­mä­ßi­ge Fle­cken auf den Bo­den. The­resa schloss die Au­gen, aber sein Bild hat­te sich auf ih­rer Netz­haut ein­ge­brannt. Als sie die Au­gen wie­der auf­schlug, stand er, be­klei­det mit ver­wa­sche­nen Jeans, über ihr. »Es tut mir leid«, sag­te er. »Ich ha­be Sie ge­stört.«

      Er sah nicht weg, als sie sich auf­rich­te­te und ihr Ba­de­tuch um sich schlang.

      »Mein Lieb­lings­platz«, sag­te sie und fuhr sich mit den Fin­gern durchs feuch­te Haar.

      »Mei­ner auch.«

      Er ließ sich auf die Knie nie­der, griff nach ih­rem Tuch und öff­ne­te es be­hut­sam. Sie wehr­te sich nicht. Er drück­te sie zu­rück. The­resa ha­lf ihm, sich sei­ner Jeans zu ent­le­di­gen. Sie ran­gen mit­ein­an­der, bis sie stöhn­ten, bis zum En­de. Er be­saß sie und sie ihn, rück­halt­los. Bei­de Ge­win­ner. Sie lag an ihm, at­me­te sei­nen Duft, spür­te Dank­bar­keit.

      Er sag­te: »Ich hat­te Hun­ger nach dir.«

      Sie wür­de die­sen Nach­mit­tag nie ver­ges­sen.

      The­resa hat­te nicht be­reut, Ma­xi­mi­li­an ge­hei­ra­tet zu ha­ben. Aber die de­mü­ti­gen­de Er­kennt­nis, mit ei­nem Mann zu le­ben, der sie nicht nur ein­mal be­trog, traf sie mehr, als sie sich ein­ge­stand. Sie er­zähl­te Raf­fa­el al­les. Sie ent­blößte ih­re See­le wie noch nie­mals zu­vor. Ei­ne see­li­sche Be­frei­ung wie zu­vor die kör­per­li­che. Er hielt sie fest, bis sie ein­ge­schla­fen war.

      Als sie er­wach­te, war er ge­gan­gen.

      Sie zog sich an und lief durch den schma­len Gür­tel ei­nes Pi­ni­en­wäld­chens. Lu­na be­grüß­te sie mit lei­sem Schnau­ben.

      »Ha­be ich dich zu lan­ge al­lei­ne ge­las­sen?«

      Auf dem Wald­bo­den be­merk­te sie Spu­ren, die ihr sag­ten, dass ih­re Stu­te kei­nes­wegs al­lei­ne ge­we­sen