Susanne B. Kock

Wilhelmina


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ich glaube es ist am vernünftigsten, wenn Sie mir das erst mal alles überlassen. Familie Wagner ist ein alter Kunde unserer Kanzlei, wir kriegen das schon alles vernünftig geregelt, da brauchen Sie sich nicht auch noch mit zu beschäftigen.“ Er sandte ihr einen aufmunternden Blick und sagte mit einem fast mitleidigen Lächeln „ich schätze, Sie haben schon genug um die Ohren." Mein Gott, sehe ich wirklich so total hilflos aus, gleich tätschelt er mir wohl auch noch beruhigend die Wange, dachte Marthe. Aber stattdessen klappte Mads Grønholt seinen Block zu und verstaute ihn in der abgewetzten braunen Ledermappe. „Na, ich muss mal wieder. Danke für Kaffe und Kekse.“ Er erhob sich vom Küchentisch, zog seine Jacke vom Stuhlrücken, zögerte und sagte auf dem Weg in die Halle bewusst beiläufig „wenn Sie Zeit hätten, könnte ich Ihnen ja mal ein bisschen mehr von Kopenhagen zeigen, es gibt zur Zeit auch einige sehenswerte Kunstausstellungen." Er fummelte am Reißverschluss seiner Jacke herum „Ja, sehr gerne, außer dem Supermarkt an der Ecke und der nächsten Umgebung habe ich noch nicht viel gesehen”, log Marthe begeistert. „Und mit einem kundigen Eingeborenen ist es ja immer lehrreicher als auf eigene Faust!" „Ja dann - ja dann telefonieren wir einfach.“ Er gab ihr zum Abschied die Hand und Marthe registrierte eine Mischung aus Dankbarkeit, Erleichterung und wenn sie es richtig deutete freudiger Überraschung in seinem Gesicht.

      Sie beobachtete durchs Fenster, wie er seinen alten Volvo aufschloss, sich eine Zigarette anzündete und sich hinter das Steuer schwang. Interessanter Typ eigentlich. Stolz dachte sie an ihre perfekt getimte Bemerkung mit dem Eingeborenen. Endlich einmal war es ihr gelungen, eine schlagfertige Antwort zum richtigen Zeitpunkt abzuliefern. Kann sein, dass er in ihr das hilflose Frauchen sah, das seiner Unterstützung bedurfte, aber für intellektuell beschränkt brauchte er sie nun wirklich nicht zu halten. Auf dem Weg in die Küche, bemerkte Marthe zu ihrem eigenen Erstaunen, dass ihre schlechte Laune über das Loch im Dach und Stefans Hinhaltestrategie verflogen war und sie sich bereits auf den kommenden Sonnabend freute. Mein Gott Marthe, du hast ein Date. Ein seriöses Date mit einem intelligenten, intellektuellen und darüber hinaus noch absolut gutaussehenden, charmanten Mann. Zwar etwas kurzsichtig, aber dafür augenscheinlich frei und ungebunden. Das erste Date seit jenem denkwürdigen Abend vor knapp einem Jahr in Brüssel, als Stefan sie im Hotel abholte, um mit ihr Essen zu gehen. Sie hatten das Hotel nie verlassen, waren einfach in den Fahrstuhl gestiegen und zurück auf ihr Zimmer gegangen, wo sie sich in den wenigen Kampfpausen über den Inhalt der Minibar hergemacht hatten.

      Bis zu dieser Nacht, hatte Marthe ein unkompliziertes Sexleben gehabt, das sie in den kürzeren Perioden, wo sie keines hatte, nicht sonderlich vermisste. Sex gehörte zu ihrem Alltag wie die warmen Mahlzeiten. Manchmal fielen sie ein paar Tage aus, manchmal gab es nur einen schnellen Imbiss oder eine Pizza und ab und an auch mal ein ausgewachsenes 5-Gänge Menü mit allem Drum und Dran. Nach ihrer ersten Nacht mit Stefan fand sie heraus, was sie in all den Jahren, seit Norbert Rodwoski sie in der Gartenlaube seiner Großmutter entjungfert hatte, nicht empfunden hatte. Seit dieser Repremiere in einem auf Louis Quinze gefakten Hotelzimmer, änderte sich ihre Einstellung radikal und sie verbrachte einen beträchtlichen Teil der Zeit, in der sie nicht mit Stefan zusammensein konnte damit, sich auszumalen wie es sein würde, mit ihm zusammenzusein. Auf der Jagd nach ungestörten Treffpunkten lernte Marthe ihr bis dahin gänzlich unbekannte Hamburger Stadtviertel kennen und fand heraus, dass Grasflecken in weißer Baumwolle sich in normaler Kochwäsche nicht rückstandsfrei entfernen lassen. Stefan, wild, zärtlich, phantasievoll, phantastisch und unermüdlich. Beim Gedanken an ihn bekam Marthe plötzlich ein schlechtes Gewissen. Was mit Stefan? Tja, Stefan hatte seine reiche Frau nebst dito Schwiegervater, eine kleine Tochter, ein reguläres Familienleben. Also gab es absolut keinen Grund für ein schlechtes Gewissen ihrerseits! Und außerdem war das hier ja nur eine völlig harmlose Verabredung. Gemeinsamer Besuch einer Kunstausstellung mit nachfolgendem Essengehen. Der Mann war sicher Mitte vierzig, hatte die ersten grauen Haare und war Anwalt. Total harmlos.

      So harmlos, dass sie Stefan nichts davon erzählte, als er vom Büro aus anrief und fragte, wann sie denn gedächte, zurück nach Hamburg zu kommen. Marthe musste wirklich etwas mehr Ordnung in ihr Leben bringen, diese ganzen Heimlichkeiten passten ihr nicht. Sie log Stefan an, Stefan log seine Frau an und Stefan log sicher auch Marthe an. Optimale Voraussetzung für eine vertrauensvolle Partnerschaft. Warum war es nur so schwer, mit Stefan offen über die Zukunft zu reden, er sagte doch selbst oft, dass es so nicht weitergehen konnte. Während seines letzten, überraschenden Besuchs hatte sie sich wieder nicht zusammenreißen können, die entscheidenden Antworten zu fordern. Die paar Stunden, in denen sie zusammen waren, wollte sie nicht auch noch mit Diskussionen vermiesen. Mit Stefan fühlte sich das Leben immer so an, als wäre der graue Alltag eine Weile weggeschoben. Mehr Farbe, mehr Tempo, mehr Spaß. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals mit einem anderen Menschen soviel zusammen gelacht zu haben. Auf der anderen Seite führte sie ein heimliches Doppelleben, obwohl sie eigentlich nichts zu verbergen hatte. Marthe konnte nicht die Augen davor verschließen, dass Stefan sich aus allen Bereichen ihres Lebens, die sich als potenzielle oder reelle Problemzonen erwiesen, konsequent heraushielt. Wohnungsprobleme, Streitigkeiten mit dem Chef oder in der Firma. Alle diese und ähnliche Trivialitäten des Alltags langweilten ihn. Nicht, dass er ihr nicht aufmerksam zuhörte. Das tat er oft. Typisch lang ausgestreckt im zerwühlten Bett, einen Arm hinter dem Kopf verschränkt, den anderen mit der Zigarette beschäftigt. In dieser Position lauschte er mit aufmerksamem Gesichtsausdruck ihren Klagen, bis zu dem Punkt, an dem er ihr ins Wort fiel und eine Lösungsmöglichkeit skizzierte. Wenn Marthe danach trotz seines in der Regel äußerst pragmatischen, und wie er selbst fand leicht umsetzbaren, Lösungsangebots ihren Problembericht fortsetzte, wurde er ungeduldig. „Warum kannst du nicht einfach“, lautete seine Standardeinleitung und er konnte einfach nicht verstehen, dass das eben so einfach nicht ging. Manchmal stritten sie sich dann über Kleinigkeiten, wie seinen großzügigen Umgang mit Zeitangaben „so zwischen fünf und sechs“ und ihr Bedürfnis nach Planung und Ordnung, einem Mindestmass an Normalität. Irgendwann eskalierten diese fruchtlosen Diskussionen und Marthe schrie ihm wütend und ohnmächtig ihr ultimatives Argument ins Gesicht. „Warum kannst du dich nicht einfach scheiden lassen!" Was Stefan fuchsteufelswild machte, denn im Gegensatz zu Marthes relativ simplen Problemstellungen war die Lösung seiner Probleme selten einfach. Das musste sie doch wirklich einsehen.

      Marthe seufzte aufgebend und streichelte Gustav, der erschöpft vom nachmittäglichen Ausflug in die Wildnis der Villengärten, zu ihren Füssen eingeschlafen war und leise schnarchte. Ab und zu lief ein krampfartiges Zittern durch seinen Katzenkörper und er fuhr die Krallen aus. Marthe war offenbar nicht die einzige, die sich mit ungelösten Problemen herumschlug. Sie würde dieses Dilemma heute ohnehin nicht mehr lösen können, es würde sich schon alles historisch entwickeln. Heute Abend würde sie erstmal ein paar Weihnachtskarten schreiben und sich danach zusammen mit einer Flasche Rotwein aus dem gut bestückten Keller über Tante Wilhelms Briefe hermachen.

      4.

      „Dieses Mal haben wir ja richtiges Kaiserwetter und der Wind - wie bestellt.” Gerhard Mathiesen ließ sich mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in den Korbstuhl fallen und sandte ein breites Lächeln in die Runde. Er hatte einen herrlichen Tag auf der Förde hinter sich, sein kräftiges, dunkelblondes Haar war sonnengebleicht weizenblond, sein Gesicht gebräunt, auf dem Nasenrücken und den Ohrmuscheln pellte die Haut leicht ab. Wenn er lächelte, und das tat er oft und gerne, zeigte er ein fast makelloses Gebiss, in dem nur ein leicht schiefer Schneidezahn im Obermund aus der Reihe tanzte. „Auf eine ordentliche Platzierung!” Er erhob sein Bierglas, dessen Schaumkrone unter leisem Knistern in sich zusammensank und sandte ein herzliches Lächeln in Richtung Wilhelmina, die sich fröstelnd an einer Tasse Tee zu wärmen suchte und ihm einen strahlenden Blick zurücksandte. Wenn sie sich im Freundeskreis umschaute, dann hatte sie mit Gerhard wirklich ins Schwarze getroffen. Beim Gedanken daran, dass sie ihn in sechs Wochen heiraten würde, lief ihr ein erwartungsvoller Schauer über den Rücken. Ein neues, aufregendes Leben. Weg aus dem elterlichen Haus mit seinen ehernen Regeln, ein eigenes Heim stiften, in der Großstadt leben.

      Es war ein lauer, heller Frühsommerabend, der aber hier draußen und so nahe am Wasser immer noch die Kühle des Frühlings spüren ließ. Sie saßen unter der Markise auf der Terrasse des Kaiserlichen Yachtklubs mit Blick über das Hindenburgufer und den Olympia Segelhafen, in dem selbst zu diesem Zeitpunkt