Susanne B. Kock

Wilhelmina


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will ich immer!" Marthe war so erleichtert, dass sie am liebsten geheult hätte, schämte sich aber für ihre Einbrecherangst, biss ihm stattdessen zärtlich ins Ohr, und begann sein Hemd aufzuknöpfen. „Mmh, soweit ich erinnere war es Dir wichtiger, den Kasten hier zu hüten als mich zu betütern", murmelte er heiser, während er versuchte einhändig den Knoten des Bademantelgürtels zu lösen, da seine andere Hand mit Marthes linker Brust beschäftigt war. „Hätte ich gewusst, wie desperat du bist, wäre ich gekommen, Hand aufs Herz.” Marthe war es mittlerweile gelungen vier Hemdknöpfe zu öffnen und sie spreizte ihre Finger an der Stelle der Brustregion, an der sie Stefans Herz vermutete.

      „Desperat! Noch einen Tag länger und ich wäre explodiert, du kannst nicht einfach zwei Wochen wegbleiben, ich brauch dich doch, zum Teufel noch mal.” Der Bademantel fiel mit einem satten Plumps zu Boden, begrub Kater Gustav, der sich hin- und her gerissen zwischen fortgesetzter Nachtruhe unter dem warmen Federbett und tiefer Neugier ob des nächtlichen Getöses in die Halle hinunter begeben hatte, wo er nun unter wütendem Kratzen und fauchenden Drohlauten versuchte, der grünen Velourshölle, die ihn eingeschlossen hielt, zu entkommen. Vollkommen ineinander absorbiert und mit dem Körper des anderen beschäftigt, bemerkten weder Stefan noch Marthe Gustavs wütenden Kampf, der zeitgleich mit einem intensiven, ungeduldigen Liebesakt auf dem grünen Velours stattfand und immer noch synchron nach wenigen Minuten mit einem befreiten Schrei aus drei Kehlen endete.

      Der durch zwei aufeinander treffende Frontsysteme über Skandinavien verursachte Sturm, entwickelte sich wesentlich heftiger als von den Meteorologen erwartet und erreichte seinen Höhepunkt mit kräftigen Orkanböen an der Ostküste der Insel Seeland gegen 5 Uhr morgens. In etwa zeitgleich mit Stefans letztem gutturalen Grunzlaut, der den verstörten Gustav endgültig aus dem ersten Stock in die ruhigeren niederen Regionen des Wohnzimmer vertrieb. Während er es sich unter wohligem Schnurren auf dem zerfledderten roten Samtkissen im Sofa bequem machte, lieferte der Orkan draußen in einem letzten Kraftakt Böen von bis zu 130 km/h über der Stadt ab. Baugerüste wirbelten durch die Luft und erschreckten müde Nachtwanderer auf dem Nachhauseweg, Dachziegel klatschten auf Bürgersteige und verursachten Beulen auf parkenden Autos und Kopfschmerzen bei deren Besitzern. Ganze Schonungen, die einzelnen Baumpositionen akribisch berechnet, um das Aufziehen kerzengrader Nadelbäume zu ermöglichen, lagen plötzlich waagerecht auf dem weichen, braunen Waldboden, Strommasten knickten ein wie Streichhölzer und auf den Fährschiffen warteten müde, frustrierte Passagiere bei Kaffee und Keksen auf eine Möglichkeit, endlich von Bord gehen zu können. In Marthes Nachbargarten gab die altersschwache Ulme, trotz jahrelanger fachkundiger Pflege durch Gärtnerhände nach mehrstündigem, erbitterten Widerstand den Kampf gegen die Elemente auf, ließ sich unter Ächzen und Quietschen quer über die Garage auf dem Nachbargrundstück fallen und kam mit einem aufgebenden Stöhnen mit der Krone am äußersten Rand des Daches zur Ruhe.

      „Sieht so aus als würdest du einen Haufen Brennholz und eine gratis Dachsanierung bekommen, falls die eine ordentliche Versicherung haben." Stefan nahm mit zurückgelegtem Kopf den Schaden in Augenschein. „Aber bis dahin musst du das Loch ordentlich abdecken lassen, sonst steht dir beim nächsten Schauer die ganze Hütte unter Wasser." Er schaute mit einer routinemäßigen Bewegung, die Marthe hasste, auf seine Patek Philippe Uhr, die Morgengabe seiner Frau, die Rolex vulgär fand.

      „Ich kann dir leider nicht viel helfen mein Schatz, muss sehen, dass ich zurückkomme, hab noch einen Haufen zu tun. Der Vertrag mit den Franzosen du weißt.“ Marthe verkniff sich die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Natürlich, jedes Mal, wenn sie ihn brauchte, war er entweder nicht da oder auf dem Weg weg. Und wie immer hinterließ er Marthe in irgendeiner Form von Chaos, gefühlsmäßig oder ganz einfach in einer Wohnung, in der es aussah wie nach einem Bombenangriff. Meist beides. Sie stand fröstelnd in ihrem dünnen Wollpulli auf der Strasse und sah ihm nach, bis die Rücklichter um die Ecke verschwunden waren. Exit Stefan. Wieder eine Chance dahin, sie hatte ihn wieder nicht zur Rede gestellt.

      Die Luft, die Marthe beim Öffnen der Bodentür entgegenströmte war zwar eiskalt, duftete aber angenehm nach frischem Holz. Auf dem staubigen Dielenboden häuften sich zerbrochene Dachziegel, Putz und Mörtel. Das Ganze sah so aus als hätte jemand mit einer Riesenfaust durchs Dach gestoßen. Bei näherem Hinsehen konnte sie konstatieren, dass die Wucht des Aufpralls auch noch fast die ganze Seite des Daches eingedrückt hatte. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der ganze Dachstuhl nachgeben würde. So ein Schaden konnte nicht warten, schon gar nicht im Winter. Marthe hatte keine Vorstellung davon, was das hier kosten würde, hoffte aber inständig, dass ihre Nachbarn eine ordentliche Versicherung besaßen. Das war mal wieder typisch. Endlich hatte sie geglaubt, sich ausnahmsweise mal nicht um ihre Finanzen sorgen zu müssen, da kam es wieder alles dicke und jetzt stand sie hier mutterseelenallein in ihrem Millionenmärchenschloss mit Dachschaden. Sie musste wohl oder übel ihren Anwaltsengel anrufen, alleine bekam sie das hier nie geregelt. Verdammt, konnte nicht langsam mal irgendetwas in ihrem Leben problemlos verlaufen. Wütend trat sie gegen den Schuttberg und schrie vor Schmerz auf, als die Zehen in den dünnen Mokassins auf eine Dachpfanne trafen. Ein Ladung Mörtel rutschte zischend vom Gipfel des Trümmerberges zu Boden und gab die Ecke eines altmodischen braunen Koffers frei, der wie ein Toblerone Dreieck aus dem Schutt herausragte.

      Der Koffer war schwer und obwohl Marthe beim Herausziehen sehr behutsam zu Werke ging, wirbelte sie hinreichend Staub auf, um die feinen Putzkörner bis zwischen die Zähne zu spüren. Vorsichtig versuchte sie den Grauschleier von der Strickjacke abzuklopfen, was die Sache nur noch schlimmer machte und entschloss sich hustend und niesend, ihre Beute nach oberflächlicher Reinigung im warmen Wohnzimmer näher in Augenschein zu nehmen. Als sie den Koffer unter Stöhnen und Ächzen in die Küche wuchtete, schrillte das Telefon. Mit einem erneuten Nieser wischte sie sich die Hände an der Hose ab und griff nach dem Hörer. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht gestört, ich wollte nur hören, ob Sie den Sturm gut überlebt haben, sieht ja wirklich furchtbar aus, also die Bilder in den Nachrichten." Mads Grønholt. Marthe seufzte erleichtert, den hatte der Himmel geschickt. Wenn jemand all das hier schmerzlos für sie regeln konnte, dann er. Sie ließ eine warme Welle der Dankbarkeit durch die Leitung schwappen. „Danke der Nachfrage, ich schon, der Kater auch, aber die Ulme auf dem Nachbargrundstück leider nicht. Die liegt jetzt auf meiner Garage."

      Mads Grønholt lauschte interessiert und kommentierte mit echter Anteilnahme in der Stimme. Sie konnte ihn vor sich sehen, den Kopf ein wenig schiefgelegt, einen konzentrierten Ausdruck in den leicht kurzsichtigen blauen Augen. „Haben Sie weitere Schäden, die durch den Baum verursacht wurden? Wagen, Garten, Garage. Sie sollten am besten ein Foto von allem machen.“ Marthe bemerkte, dass er automatisch in einen geschäftsmäßigen Ton überging und musste ein Lachen unterdrücken. Ein Anwalt, der einen Auftrag riecht.

      „Ich glaube es ist am besten, wenn ich mal zu Ihnen rübergucke und das ganze persönlich in Augenschein nehme. Seine korrekte, etwas altmodische Aussprache wirkte beruhigend. Alles würde sich ordnen, er würde ihr schon weiterhelfen. „Haben Sie schon mit Ihren Nachbarn gesprochen?" „Nein, ich wollte …, also ich glaube die sind verreist." Sie kam ins Stottern und fühlte sich ertappt. Marthe war es plötzlich peinlich zuzugeben, dass sie sich seit ihrer Ankunft noch nicht einmal dazu aufgerafft hatte, sich bei ihren Nachbarn vorzustellen. Auch wenn sie die nachmittäglichen Spaziergänge des alten Paares schon öfters durchs Fenster beobachtet hatte. Solange niemand hier Marthe kannte, konnte sie sich die Illusion totaler Anonymität und Unerreichbarkeit bewahren. Und auf ein stundenlanges Gespräch über Enkel und Urenkel und die gute alte Zeit mit den beiden Alten von nebenan hatte sie bisher wahrlich keine Lust gehabt. „Warten Sie, bis ich komme, wir machen das dann gemeinsam. Ich bin in 15 Minuten bei Ihnen“. Und als wäre er sich plötzlich seiner Aufdringlichkeit bewusst geworden, fügte er noch rasch ein „also natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist", hinzu.

      Eine Viertelstunde! Sie hatte Spinnweben in den Haaren, Schmutzstreifen auf der Stirn, Kalkflecken auf den Jeans und zwischen ihren Zähnen knirschte der Putz. Marthe stürzte unter die Dusche, fand das letzte Paar saubere Jeans und besprühte sich großzügig mit Chanel Nr. 5. Wenn sie mit etwas nicht zu geizen brauchte, dann war es Parfüm. Ihr Vorrat würde auch bei extrem großzügigem Einsatz für die nächsten paar Jahre reichen. Pünktlich vierzehn Minuten nach dem Anruf klingelte es an der Tür. Nett, zur Abwechslung mal ein Mann, der 15 Minuten meinte, wenn