Katrin Maren Schulz

Rapsgezeiten


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wird immer leichter, mein Geist immer leerer. Die Klarheit von außen scheint sich über mein fragendes Innen zu stülpen.

      Die Zeit vergeht ganz friedlich und sacht.

      Am Abend ist Leuchtturmfest. Gleich in der Nähe meines Häuschens, am kleinen, knuffeligen Böhler Leuchtturm aus braunem Backstein. Wie ein treuer, guter Freund steht er da auf dem Deich, seit so vielen Jahrzehnten, und dreht Nacht für Nacht seine Leuchtfeuerkreise. Ihm zu Ehren ein Fest, das bedeutet: Bratwurst, Fischbrötchen, Ponyreiten, Bier. Auf dem sonnendurchhitzten Asphalt des Deiches sitzend beobachte ich die Szenerie: eine durch Bierstände hervorgerufene Menschenansammlung im weiten Nichts der Salzwiesen. Als ihr Mitglied fühle ich mich nicht. Aber als eine, die die Szenerie mag.

      So routiniert wirken sie alle, die Einheimischen, und die Touristen. Nordsee-routiniert. Braungebrannt, in ihrem selbstverständlichen Dasein, vor dem Leuchtturm, mit der Bratwurst in der Hand. Viele kennen sich. Stimmengewirr und Gelächter.

      Sitze am Rand dieser Szenerie, und in mir rumoren meine Fragen vor sich hin. Meine Unsicherheiten darüber, wie mein Leben aussehen soll in Zukunft. Darüber, was mir wertvoll ist in meinem Leben, und was ich gerne verändern würde. Aber wer will ich sein, wenn nicht die Angestellte aus der Stadt mit all ihren Regelmäßigkeiten? Regelmäßigkeiten der Verpflichtungen, Regelmäßigkeiten der Sicherheiten. Wie kann ich sie auflösen, die vielen Routinen - ohne dabei in der völligen Unsicherheit zu landen?

      Eine Mischung aus Ungeduld und Nervosität mir selbst gegenüber stört mein Idyll, an diesem ruhigen Ort.

      ‚Städter kommt in Stille an’, heißt das Symptom wahrscheinlich.

      Lasse den Tag ausklingen mit einem Abendspaziergang durch die Salzwiesen, weit weg vom Trubel des Leuchtturmfests.

      Stille. Blubberndes Grün, in dem es quakt und tschilpt, zwischen Strand und Deich. Wiese, regelmäßig in Salzwasser getaucht. Ein ganz eigenes Biotop. Darin wirkt das, was ich als vermeintliche Probleme mit mir herumtrage, ganz nichtig und klein. Das Leben der kleinen Getiere und salzwassergewöhnten Pflanzen blubbert hier friedlich vor sich hin.

      Und ich frage mich, warum das mein Leben nicht auch einfach tun kann.

      Tag 3

      Die Frage nach meinem Lebensentwurf wird zur treuen Begleiterin. Ich vertraue darauf, dass sie verschwinden wird, wenn es bei mir nichts mehr zu holen gibt. Solange sie bei mir ist, nehme ich sie eben mit, wohin ich gehe und radle.

      Auf dem Weg zum Ordinger Strand, vom Radweg zwischen Feld und Wald aus, sehe ich die Kites der Surfer auf der anderen Seite des Deiches durch den Himmel tanzen, und vom nahen Wasser verkünden. Ein kurzer Stopp beim Strandwärter, Gästekarte vorzeigen, und dann rauf auf den Holzsteg, auf dem man mit dem Fahrrad am weitesten Richtung Wasser fahren kann, mit Rückenwind rasend schnell. Es vermittelt das wundervolle Gefühl, Richtung Meer zu fliegen.

      Dort angekommen, steuere ich die Surfschule an. In ihr gibt es eine kleine Bar, und eine Terrasse davor. ‚everybody’s welcome’ steht groß auf den Holzplanken über dem Eingang. So ist es dann auch: die Frau hinter dem Tresen gibt mir meine Limo mit einem Strahlen, als würden wir uns schon seit langem kennen. Um die Bar herum eine Mischung aus Surfschülern, die sich an der Rezeption anmelden, und Touristen, die sich einfach nur ein Eis oder ein Getränk holen. Draußen eine bunte Mischung verschiedenster Sitzmöglichkeiten. Die Leute auf der Terrasse schieben mir einen freien Hocker zu. Alle lächeln, und sind entspannt. Ich auch, immer mehr.

      Alle Altersstufen scheinen hier versammelt, mit meinen 37 passe ich da ganz gut rein. So vielfältig die Altersstufen, so bunt gemischt sind auch die Gäste. Unterschiedlichste Typen, bunte Klamotten, lässiger Stil. Die Buntheit der Gäste erinnert mich an meinen Kiez in Berlin, und lässt die Fremdheit verblassen, die ich gestern noch verspürt habe.

      Der kleine Hund eines jungen Paares neben mir wickelt sich mit seiner Leine um meinen Stuhl. Das Mädchen und ich lachen, und wechseln ein paar Worte. Aus Hamburg kommen sie. Das, mindestens, hatte ich mir auch so gedacht. Stylisch wie sie aussehen, könnten sie auch aus London oder New York sein. Ihre Klamotten haben weder etwas vom Surfer-Stil, noch etwas von der einschlägigen Outdoor-Bekleidung, die so verbreitet ist an der Küste. Sie sehen eher aus wie selbst designt, aus ausgefallenen Stoffen und Materialien, hauptsächlich in schwarz. Darunter blitzen volltätowierte Arme und Rücken hervor.

      Er trägt ein Brillengestell wie Andy Warhol, und scheint sich auch für jemanden ähnlich Prominentes zu halten. Von der Unterhaltung jedenfalls distanziert er sich mittels eines gedankenschweren Blickes in die Ferne.

      Das Mädchen gleicht seine Distanziertheit mit ihrer Aufgeschlossenheit aus.

      Warum sie hier sind, möchte ich wissen. Die Andy-Warhol-Muse scheint etwas erstaunt über diese Frage zu sein.

      „Von Hamburg ist es doch nicht weit“, sagt sie. Sie kämen öfter mal hier hoch nach Nordfriesland, für ein, zwei Tage, wenn sie einen klaren Kopf bräuchten.

      Mich verblüfft die Selbstverständlichkeit, mit der sie das sagt. Weil es in meinem Leben eben einen Urlaub pro Sommer gibt. An mehr habe ich nie gedacht, und wenn, hätte ich es wahrscheinlich für übertrieben gehalten. Aber sie hat Recht, natürlich: wenn einem die Stadt zu viel wird, dann fährt man eben an die Küste. Ganz selbstverständlich.

      Warum mache ich das nicht auch so? Weil Berlin viel weiter weg ist von der Nordsee als Hamburg? Das ist keine wirkliche Ausrede. Weniger als zwei Stunden Bahnfahrt liegen zwischen Berlin und Hamburg.

      Viel weiter entfernt von der Umsetzung ist wahrscheinlich meine Vorstellungskraft: nämlich die, in den Norden zu fahren, wann auch immer ich es will. So ließe sich auch mehr Norden in mein Leben bringen: mit Pendeln. Es muss nicht immer gleich ein Umzug sein ...

      Die Hamburger brechen auf, wollen ein Stück gehen. Ich bleibe noch, und beobachte das Treiben der Kitesurfer auf dem Wasser. Sie fliegen durch die Luft, und gleiten über die See. Durch meinen Kopf fliegt die Idee des Pendelns, zwischen Stadt und Land, und gleitet über die Frage nach meinem Nordleben. Es könnte eine Lösung sein. Das Bild der Umsetzung allerdings, befindet sich noch außerhalb meiner Vorstellungskraft: Pendeln benötigt Geld, und Zeit.

      Später lockt mich mein Hunger in die ‚Arche Noah‘, das Pfahlbaurestaurant am Strandabschnitt von Bad. Ein Restaurant auf meterhohen Pfählen. Wie auf Stelzen. Alles am Strand hier, von dem wenigen, was da steht, steht auf Stelzen: die Häuschen der Badeaufsicht, die Toilettenbauten, die Restaurants. Das Wasser macht das notwendig - wenn es denn da ist, mit der Flut kommt, um im Hochwasser zu gipfeln. Jetzt, hier, ist es weg. Es ist Ebbe. So sitze ich hoch oben im Pfahlbau, und unter mir liegt der trockene Strand. Vor mir der grandiose Blick über die Weite, das Watt, die See.

      Von so hoch oben betrachtet wirkt das Leben luftig und leicht.

      Ist es doch auch, oder?

      Dankbarkeit macht sich in mir breit. Dankbarkeit darüber, Bestandteil dieses großen Ganzen zu sein. Bestandteil dieser Freiheit und Unendlichkeit hier. Sie scheint auf die Gedanken überzuschwappen wie die Flut über den Strand. Irgendwie kommt es, dass ich plötzlich ‚Happy Birthday’ vor mich hin summe. Unerklärlich, unbegründet eigentlich. Oder doch?

      Auf dem Heimweg mache ich Halt in Bad. Schlendere durch die touristische Fußgängerzone, mit ihren Geschäften voller Nordsee-Nippes; der zieht mich magisch an. Kaufe mir eine Piratentasse. Touristenkitsch, ja. Aber sie wird mich noch oft an diesen Tag erinnern.

      Psychologen sagen, dass dieser Kult um personifizierte Tassen daher kommt, dass das Trinken daraus dem Küssen ähnelt, und das Küssen wiederum ein Ausdruck des Liebens ist. Vielleicht kann ich die Nordsee küssen, in Berlin, durch diese Piratentasse hindurch.

      Tag 4

      Eigentlich wollte ich heute nach Friedrichstadt. Aber mir ist gar nicht mehr nach Stadt zumute.

      Tag 5

      Den Morgenkaffee nehme ich inzwischen auf der Gartenterrasse meines Häuschens zu mir. Etwas Dunst liegt noch über der Landschaft, es tschilpt und zwitschert in den Bäumen. Ab und zu krächzt eine