Katrin Maren Schulz

Rapsgezeiten


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      „Ja, gerne.“

      Ich war ihm anfangs suspekt, vermute ich, dem Herrn Hansen. Habe es an seinen taxierenden friesisch-herben Blicken gesehen, als er mich am Bahnhof abgeholt hatte: ‚Großstadttussi’ muss er gedacht haben, jedenfalls sah er so aus, als ob er das dächte. ‚Denk Du nur’, habe ich gedacht. Soweit kenne ich mich nun doch schon, mich, und mich an der Küste, dass ich mich in diese Schublade nicht stecken lasse. Heute nun bestehe ich wohl seinen Test. Er beobachtet mich, versucht-heimlich aus dem Augenwinkel, ich merke es genau, auch wenn er wohl will, dass ich es nicht bemerke: er beobachtet mich beim Flens-Flasche-Öffnen. Ich bekomme den Plopp meines Lebens hin (was mich zugegebenermaßen selbst überrascht, aber was ich mir selbstverständlich nicht anmerken lasse). Ab diesem Moment, ab diesem Bilderbuch-Plopp, scheint Herr Hansen mich ins Herz zu schließen. Herzlich, väterlich, vertraut.

      Es ist sehr lecker, dieses ganz besondere Eisbrecher-Flens. Ganz schnell bin ich mittendrin in der fröhlichen Runde, im Geplauder und Gelächter, im Erzählen und Austauschen. Mit offenen Armen willkommen geheißen zu werden ist etwas Wunderbares. Fühle mich von seltener, unglaublich offenherziger Gastfreundschaft umhüllt.

      Auf dem Heimweg fällt mir ein, dass ich vergessen habe, Herrn Hansen nach der Vagabundin zu fragen. Was soll’s. Es ist egal. Sie ist mir sympathisch, auch wenn ich nichts über sie weiß. Vielleicht sogar dann umso mehr.

      Die Nächte, in denen ich das Alleinsein, und die Abwesenheit anderer Menschen, besonders wahrnehme, sind ein wunderbares Training des Vertrauens. Des Vertrauens in den Schutz, der über mir liegt. Anfangs hatte ich ein wenig Angst. So ungewohnt, sich dem Schlaf hinzugeben, wissend keinen einzigen Menschen in der nächsten Umgebung zu haben, den ich um Hilfe rufen könnte, wenn was wäre. Aber was sollte sein? Die Nachtgeräusche des Häuschens, des Gartens, sind mir noch jetzt manchmal fremd. Was ist natürliches Knacken, was ein durch Fremde hervorgerufenes? Streunt die Vagabundin am Haus vorbei, nachts?

      Vertrauen ist da das einzige, was hilft. Vertrauen ist der Gegenspieler der Angst. Wenn die Situation, die ich herbeiführe, sich richtig anfühlt – dann ist das die Grundlage für das Vertrauen. Vertrauen darauf, dass alles gut geht, weil ich weiß, dass ich das Richtige tue. Und meine Zeit an diesem Ort, in diesem Haus zu verbringen, ist das Richtigste, was ich mir nur vorstellen kann, zu tun.

      Das Häuschen steht hier nicht wie die anderen: aufrecht auf ebenem Boden. Der Boden auf dem es steht, mutet eher an wie eine Mulde. Und in diese erdige Mulde schmiegt sich das ebenerdige Häuschen, als würde es kuscheln mit der Landschaft.

      Dieses Bild sehe ich beim Einschlafen. Das Häuschen kuschelt sich vertrauensvoll in die Erde. Ich kuschele mich vertrauensvoll in das Häuschen. Doppelter Kokon. Geborgenheit.

      Es ist erdend, allein zu verreisen. Erdend, als würde das Selbst Wurzeln bekommen und sie eingraben, weil es weiß, wer es ist: das Selbst, verwurzelt in sich. Das ist beruhigend, und stärkend. Als würde ich das zum ersten Mal erleben.

      Vielleicht macht es das auch nur an ganz besonderen Orten? Besondere Orte, wie dieser einer ist?

      Ich liebe es inzwischen, dieses Land.

      Tag 9

      Dies ist mein letzter Urlaubstag auf Eiderstedt. Trotz regenverkündender Wolken will ich noch mal raus heute, auf dem Deich entlang, Richtung Eidersperrwerk. Da sollen die Schafe sein, hat Herr Hansen mir Auskunft gegeben. Die habe ich nämlich bislang vermisst. Nordsee ohne Schafe auf dem Deich - eigentlich geht das doch gar nicht. Hier schon, denn der Deich zwischen Böhl und Ording ist geteert. Relativ selten ist das wohl an der Küste, aber die St. Peteraner wollten das so: einen geteerten Deich, überzogen mit weißem Kies. Der ‚weiße Deich‘ wird er genannt. Und auf ihm würden sich Schafe nicht nur nicht wohl fühlen, er braucht auch keine. Auf einem Grasdeich mähen die Schafe das Gras, und trampeln zugleich den Boden beständig fest, damit er nicht abgetragen wird im Sturm, oder beschädigt bei einer Sturmflut. Auf dem weißen Deich macht das der Asphalt.

      Den will ich heute aber nicht sehen. Radle also zum grünen Grasdeich, mit weißen Schafen darauf wie Wollknäuel. Ewig und ewig schlängelt der Radweg sich am Wasser entlang. Links das Grün, rechts die Nordsee. Grau heute, ohne Sonne. In der Ferne höhere Wellen und Gischt.

      Die Wolken werden dunkler und dichter. Fordern mich auf, umzukehren. Aber ich mag nicht auf sie hören. Mag mich vielmehr hingeben, dem ganzen Tag, und mit jeder Zelle meines Körpers diesem Land. Und je mehr ich mich hingebe, umso dichter werden die Wolken, umso dunkelgrauer bäumen sie sich auf.

      Dann geht es ganz schnell: binnen weniger Sekunden erwischt mich eine Regenwand, und nimmt mich auf in das Grau, das sich nun breit macht. Das Grau, in dem Wasser und Deich sich verbinden zu einem eigenen Kosmos. Fühle mich wie aufgehoben darin. Bestandteil eines Kosmos aus grauem Himmel, grauem Dunst, grauem Regen, der sich auf sattem Grün ergießt.

      Ich verschmelze damit und werde eins mit dem Land.

      Regentropfen perlen vom Friesennerz ab und tropfen mir von dort in die Schuhe. Das Wasser läuft mir übers Gesicht, am Hals entlang, unter die Jacke. Alles egal. Ich lache, aus ganzem Herzen, den ganzen Rückweg lang.

      Das Zuhause ist trocken und wärmt. Und trotzdem überkommt mich Wehmut. Denn was mir jetzt zu tun bleibt, ist nur noch das Koffer packen, und das Abschied-Nehmen. Sehr früh morgen geht mein Zug, zurück nach Berlin. Ich darf nicht vergessen, die Antworten einzupacken, die ich hier gefunden habe. Zusammen mit den Resten von Fischernetzen vom Böhler Strand.

      Tag 10

      Herr Hansen holt mich ab, um mich zum Bahnhof zu bringen. Er freut sich, dass es mir hier gefallen hat, in seiner Heimat. Würde sich noch mehr freuen, wenn ich denn auch mal bei ihm einen Urlaub verbringen würde. Sie haben eine kleine Wohnung zu einem günstigen Preis, die würde auch gut zu mir passen, meint er.

      Seine Frau und er sind so entspannt, so herzlich. Was ich anfangs als friesisch-herbe Wortkargheit an Herrn Hansen wahrgenommen hatte, ist einer unglaublich offenherzigen Freundlichkeit gewichen. Ich mag sie, die Hansens. Und bin glücklich darüber, diesen Ort entdeckt zu haben, diese Halbinsel der Ruhe und Gelassenheit. Glücklich darüber, und dankbar.

      Nach der Verabschiedung von Herrn Hansen stehe ich am Bahnhof und weiß, felsenfest: ich werde wieder hier her kommen. Die Vision, die ich schon als Teenager hatte, flackert auf. Die Vision vom Arbeiten in einem Haus mit Garten an der Nordsee. Sehe mich, als sei es Realität, in einem Garten vor einem Haus sitzen, und schreiben. Aber sie flackert nur auf, die Vision. Ebenso wie die Frage, ob sich für eine längere Zeit in diesem Häuschen wohl ein günstigerer Preis aushandeln ließe. Nur ein Flackern. Schon ist es wieder weg.

      Der Gong der Schranke ertönt, lässt die Autos anhalten, den Weg frei machen für meinen Zug, der sich mit seinem typischen Tuten aus der Ferne ankündigt. Es hat tatsächlich zwei Bahnhöfe, dieses kleine St. Peter-Ording. Macht Sinn, weil es so langgestreckt ist an der Küste entlang: eine Haltestelle in Bad, und eine hier in Böhl. An der ich warte, und eigentlich gar nicht weg will.

      Es war ergreifend schön zu erleben, wie Ebbe und Flut meinen Rhythmus bestimmt haben hier: ihn gleichmäßig gemacht haben, ruhig und beständig. Ich kann mir mich als Städterin gar nicht mehr vorstellen. Und freue mich doch auf meine Freunde, auf bekannte Gesichter, auf meinen Kiez, mein Biotop in der Stadt. Auf meine Familie: die beiden Menschen, die mich kennen, gut kennen, um mich wissen, seit Jahren. Ein wenig habe ich die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben doch vermisst, und den Austausch mit ihnen. Denn der ist einfach etwas anderes als diese zwischenmenschlichen Momentaufnahmen, die hier stattfinden.

      In der Stadt wird es wieder wesentlich lauter sein. Aber ich habe mich mit Stille gut aufgetankt. Vollgefüllt mit Stille fühle ich mich, als könnte ich sie mitnehmen, in ein Glas packen, es fest zuschrauben - für schlechte, laute Zeiten.

      Ich stehe am Rand des Bahnhofs Süd, und sehe dem Zug hinterher. In ihm sitzt eine, die mir aufgefallen ist unter den Touristen, denn Alleinreisende sind selten hier in der Hochsaison.

      „Marielou“ wurde sie von Herrn Hansen genannt, der sie zum Bahnhof gebracht hat. Sie hat in dem Haus von Frau Martens am