Erich Rudolf Biedermann

Wann die Zeiten wehen


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Betriebswirtschaft, kam aus gutem Hause, hatte eine makellose Figur und sah blendend aus. Wenn sie ihr schulterlanges blondes Haar zu einem Knoten hochsteckte, glich sie in ihrer schlanken Anmut einer antiken Liebesgöttin, die in marmorner Vollkommenheit die Jahrhunderte überdauert hatte. Wegen ihrer grazilen Schönheit nannte sie Niki mein Schwanenhals.

      Neben ihrem Liebreiz besaß Marga ein Charaktermerkmal, das man bei ihr, auf dem ersten Blick, nicht vermutet hätte: Sie verfügte über eine ausgeprägte Willensstärke, wusste immer, was sie wollte, und war nur ungern zu Kompromissen bereit. Nach Wochen des ersten Liebesglücks befriedigte sie die perspektivlos dahinplätschernde Beziehung nicht mehr, und sie begann, sich Gedanken über eine gemeinsame Zukunft zu machen. Sicher wurden diese Überlegungen auch von ihrer Familie bestärkt, die das lose Verhältnis der Tochter gern in eine feste Beziehung umgemünzt sehen wollte. Wie es sich in guten Kreisen gehörte, sollte sich das Paar verloben, nach angemessener Frist heiraten und natürlich auch Kinder haben. Bis zu Nikis Examen wären Margas vermögende Eltern für den Unterhalt der jungen Familie aufgekommen und selbstverständlich hätten sie auch bei der Einrichtung einer ärztlichen Praxis des Schwiegersohns eine finanzielle Hilfestellung gegeben. Für die Verwirklichung dieses Lebensplans hätte Marga sogar ihr Studium an den Nagel gehängt. Allein Nikis bohemienhafter Charakter konnte sich mit ihren Vorstellungen nicht anfreunden. Er wollte vor allem keine Einengung seiner persönlichen Freiheiten hinnehmen. Eine Heirat hätte ihn gebunden und sein Studium nur noch weiter verzögert. Familie und Kinder wären da ein Klotz am Bein gewesen. Zunächst wollte er sein Studium abschließen, was danach kam, würde die Zukunft schon zeigen.

      Diese unterschiedliche Sicht der Dinge führte regelmäßig zu Streit, und weil seine Freundin unbeirrt an ihren Ansichten festhielt, brach Niki die Beziehung schließlich ab. Für Marga bedeutete die Trennung eine Katastrophe. Mit aller Macht wehrte sie sich gegen das Ende ihrer Beziehung und versuchte zu retten, was nicht mehr zu retten war — Niki war nämlich schon wieder auf Freiersfüßen gewesen. Allerdings genoss die neue Freundin im Studentenheim nicht den allerbesten Ruf. Regelmäßig nahm sie an den gesellschaftlichen Veranstaltungen im Hause teil und hatte dort schon zwei Liebschaften hinter sich. Meistens erschien sie in Begleitung einer ansehnlichen Busenfreundin, die es mit Männerbekanntschaften ebenfalls recht locker nahm. Wohl deshalb hatten ihnen die Studenten den eher unpassenden Spitznamen die beiden Mistamseln angehängt.

      Als Marga wieder einmal bei Niki vorbeikam, fand sie die Tür zu seiner Studentenbude verschlossen. Die nach außen dringenden Geräusche waren aber eindeutig und nicht zu überhören. Weinend erschien die maßlos Enttäuschte in meiner Stube. Ich ahnte bereits den Grund.

      „Wusstest du, dass er eine andere hat?“, fragte sie nach einer Weile.

      Ich wagte nicht, mit der Wahrheit herauszurücken, setzte mich neben sie und legte tröstend den Arm um ihre Schultern. Sie tat mir von Herzen leid.

      „Dieser gemeine Schuft, zumindest hätte er es mir sagen können“, brach es aus ihr hervor, „nun muss ich auch noch erleben, wie er es mit einer anderen treibt. Ist das nicht widerlich?“

      „Ich kann nicht verstehen, weshalb er sich mit dieser Gans eingelassen hat, im Vergleich zu dir ist sie eine Null. Er hätte doch keine Bessere finden können, als dich“, versuchte ich zu trösten.

      Meine Worte halfen ein bisschen.

      „Kann sein“, meinte sie, „jedenfalls danke ich dir.“

      Allmählich beruhigte sie sich.

      „Jetzt ist aber endgültig Schluss! Er wird mich kennenlernen!“, sagte sie nach einer Weile bestimmt.

      „Was hast du vor?“

      „Ich nehme mir einen anderen. Er soll nur nicht glauben, dass ich keinen finde.“

      „Marga, du bist eine wunderschöne Frau und jeder im Studentenheim wäre glücklich, wenn er dich als Freundin hätte. Du bist überhaupt nicht auf ihn angewiesen.“

      Lange herrschte Schweigen, doch ich merkte, wie es in ihrer Seele kochte.

      „Weshalb kann er nicht so sein wie du?“, fragte sie plötzlich.

      „Wie meinst du das?“

      „Ich kann es dir jetzt ja sagen“, meinte sie zögernd, „manchmal überlegte ich schon, wie es wäre, wenn du mein Freund wärst. Sicher wären mir die vielen Streitereien erspart geblieben.“

      Ich war über dieses Geständnis überrascht und auch nicht sicher, ob ihre Meinung so ganz zutraf.

      Unvermittelt nahm sie meine Hand. „Weißt du, was ich jetzt möchte?“

      „Nein, aber du wirst es mir sagen.“

      „Komm´, geh’n wir ins Bett, ich möchte mit dir schlafen. Das bringt mich auf andere Gedanken!“

      Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben, doch es war klar, dass sie es Niki heimzahlen und ihren Rachefeldzug mit mir beginnen wollte.

      „Nein, Marga, gerade weil ich dich so gern habe, machen wir das lieber nicht. Ich könnte dir sonst nie wieder in die Augen sehen.“

      Sie schien einen Augenblick enttäuscht, doch dann nickte sie. Und als sie mich nach einer Stunde verließ, ging es auch mir hundeelend.

      Am späteren Abend, als Niki bei mir auftauchte, sparte ich nicht mit Vorwürfen. Bewusst erzählte ich ihm von Margas Wunsch, mit mir ins Bett zu gehen. Er schien darüber betroffener, als er es sich anmerken lassen wollte.

      Sein Verhältnis mit der einen Mistamsel dauerte wie üblich nur kurze Zeit. Schon nach zwei Wochen befand sie sich in der gleichen Situation wie ihre Vorgängerin. Als sie dann eines Abends an meine Tür klopfte und sich über die Untreue Nikis beklagte, tat sie mir leid. Helfen konnte ich indes auch diesmal nicht.

      Kapitel 5

      Während der laufenden Semester, vor allem aber in den Ferienmonaten, war Niki darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Das Stipendium reichte zur Finanzierung seines Lebensstils nicht aus. So war er ständig an Jobs interessiert, die finanziell etwas einbrachten. Lange Zeit arbeitete er deshalb ab Freitagabend in einer Schwabinger Tanzbar, die ihn als Garderobier beschäftigte. Diese Tätigkeit war wie für ihn gemacht. An der Universität versäumte er keine Lehrveranstaltung, die Gäste in der Bar sparten nicht mit Trinkgeldern und während seiner Dienstzeit war für Essen und Trinken gesorgt.

      An den Wochenenden herrschte in dem, in einem Schwabinger Kellergeschoss untergebrachten, Lokal großer Andrang. Bei schummrig-roter Beleuchtung wechselte nach jeder Tanzpause Herren- und Damenwahl. Das war sicher der Hauptgrund, weshalb das Etablissement regelmäßig auch von Damen ohne Herrenbegleitung aufgesucht wurde. Sie konnten während des Abends selbst zum Tanz auffordern und waren nicht auf die Initiative männlicher Barbesucher angewiesen.

      Eines Samstagabends gaben zwei Damen ihre Mäntel an der Garderobe ab. Sie mochten Anfang dreißig sein und kamen ohne Herrenbegleitung. Noch während er den Damen aus den Mänteln half, plauderte Niki mit ihnen, und als eine der Besucherinnen am späteren Abend an der Garderobe vorbeikam, suchte er erneut das Gespräch mit ihr. Wie er bemerkte, schien sie an persönlichen Kontakten durchaus interessiert. Das Lokal war ihr und ihrer Freundin wegen seiner zwanglosen Atmosphäre empfohlen worden. Es gefalle ihnen gut hier, meinten sie, und sie würden sicher wiederkommen.

      Am nächsten Wochenende begrüßte Niki die Damen bereits als gute Bekannte. Als dann seine Gesprächspartnerin einige Male bei ihm vorbeikam, wusste er, woher der Wind wehte. Und als er sie dann später hinter einen seiner Garderobenständer zog und sie dort küsste, hatte sie nichts dagegen.

      Seine neue Bekannte hieß Ilse und war Chefsekretärin in einem großen Münchner Elektrokonzern. Auf Nikis Vorschlag, sich an einem der nächsten Tage zu treffen, konnte sie jedoch nicht eingehen, weil sie mit ihrem Chef auf Dienstreise war. Am kommenden Wochenende wollte sie jedoch wieder in die Bar kommen. Wenn möglich, solle er doch einen netten Bekannten für ihre Freundin mitbringen, sie habe bisher noch nicht den richtigen