Eva Eichert

Alte Seelen I: Die Macht der Erinnerung


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nickte nervös und konnte sich nur schwer beherrschen, nicht immer wieder zu dem Mann zu schielen, der langsam zum Fenster ging und gedankenversunken hinausblickte.

      Mr. Bernstein atmete tief durch, stand etwas übereilt auf, nahm den Arbeitsvertrag von seinem Schreibtisch und setzte seine Unterschrift darunter.

      „Nehmen Sie ihn mit nach Hause und lesen Sie ihn sich in aller Ruhe durch. Rufen Sie mich am besten morgen nochmal an. Bis dahin habe ich auch mit Mrs. Thorn über den Schulplatz gesprochen.“ Er reichte ihr den Vertrag und gab ihr die Hand.

      „Ich hoffe, Sie entschuldigen diesen abrupten Abschied.“

      Ann nickte verwirrt. „Natürlich.“

      „Wir hören dann morgen voneinander.“ Er lächelte ihr noch einmal zuversichtlich zu und schob sie sanft hinaus.

      Ernest verharrte noch einen Augenblick mit der Türklinke in der Hand und verzog unwillig das Gesicht.

      „Du hast kein besonders gutes Timing, Nathaniel“, knirschte er, als gerade in diesem Augenblick die Tür erneut geöffnet wurde und mit einem dumpfen Geräusch gegen seine Stirn stieß.

      „Ihr Mineralwasser, Herr von Falkenberg“, lächelte Mrs. Milton scheu, bevor sie ihren Chef bemerkte, der sich mit verkniffenem Gesicht die schmerzende Stelle rieb. „Wie ich sehe, ist das Timing deiner Angestellten beispielhafter“, sagte Nathaniel und nahm sein Glas entgegen.

      Sie lächelte verlegen, blickte wieder kurz zu ihrem Chef, stammelte eine Entschuldigung und ließ die beiden Männer allein.

      „Was ist denn so dringend, dass es nicht noch zehn Minuten hätte warten können?“, fragte Ernest sichtlich genervt.

      „Die Cailbrook Corporation ist auf den Spiegel von Rub al Chali gestoßen. Es heißt, sie hätten ihn bei Ausgrabungen in Ubar gefunden.“

      Ernest winkte ab. „Es gibt keinerlei Beweise, dass der Spiegel jemals existiert hat. Die Bruderschaft ist schon öfters auf machtlose Artefakte hereingefallen, weil irgendjemand meinte, eine mysteriöse Geschichte darüber zu schreiben.“

      „Du hast Recht, doch er ist es. Obwohl sie noch nicht wissen, was sie da eigentlich gefunden haben“, erwiderte Nathaniel.

      Ernest ließ sich nachdenklich in seinen Bürosessel sinken und fing an, seine Pfeife zu stopfen.

      „Hältst du weiter ein Auge drauf?“

      Anstatt zu antworten, wechselte von Falkenberg das Thema. „Der Dormitor, auf den du gewartet hast, ist also eingetroffen“, bemerkte er mit einem Kopfnicken zur Tür.

      Ernest nickte. „Seit wann interessierst du dich dafür?“

      „Sag Vivien, dass noch einer dazu kommt.“

      Ernest blickte ihn überrascht an.

      „Er wird in ein paar Tagen hier sein“, erklärte Nathaniel.

      Ernest sog nachdenklich den Rauch ein. „Wir sollten ein Treffen einberufen.“

      „Das denke ich auch.“

      „Darf ich noch erfahren, wer es ist?“

      „Ich werde ihn dir vorstellen, sobald es mir möglich ist“, erwiderte von Falkenberg und wandte sich zum Gehen.

      Ernest drehte seinen Sessel in Richtung Fenster und starrte nachdenklich in eine Ferne, die auch von den Mauern gegenüber nicht verdeckt werden konnte. Sanft kaute er auf dem Mundstück seiner Pfeife herum. Der Spiegel von Rub al-Chali, dachte er beunruhigt, bevor er endlich zum Telefon griff und die Nummer von Vivien Thorn wählte.

      Die Versammlung

      London, 07. August

      Arthur Kruger stand hinter der Bar und beobachtete seine Bedienung dabei, wie sie die Snackkarten und Bierdeckelständer auf den Tischen auffüllte. Das Great Puppy lag in einem der Hinterhöfe von West End. Zwei Jahre hatte Arthur liebevolle Handarbeit in die Räumlichkeiten gesteckt und mit viel Geschick das rustikale Flair eines Kellergewölbes geschaffen. Nach weiteren drei Jahren, kurz bevor ihm das Ersparte ausging, war die Rockerbar zu einem absoluten Insidertipp geworden. Eigentlich wollte er nie mehr verdienen, als das, was er zum Leben brauchte. Arthur selbst hatte keine großen Ansprüche. Das kleine Zweizimmerapartment über dem Great Puppy und eine Harley Davidson vor der Tür. Mehr brauchte und wollte er auch nicht. Das meiste, was er darüber hinaus verdiente, steckte er in, wie er es nannte, kleine Details, mit denen er seiner Bar immer wieder einen besonderen Schliff verlieh. So veranstaltete er zum Beispiel einmal im Monat einen Actionabend, an welchem sich seine Gäste mit Bier und filmreifen Schlägereien vollkommen ihrem Adrenalinrausch hingeben konnten. Das Mobiliar an diesem Abend war nur leicht gedübelt, aber nicht geleimt, es gab Bierflaschen aus Zuckerglas und alle möglichen anderen Requisiten, die für die richtige Stimmung sorgten, ohne dass es zu Polizei- und Rettungsdiensteinsätzen kommen musste. Zweimal in der Woche Livemusik, wobei die Kneipe gerade bei den Auftritten von Destruction Crape aus allen Nähten zu platzen drohte.

      „Sie war da!“ Bjorns aufgeregte Stimme riss ihn aus den Gedanken. Arthur hob den Blick und musterte das entschlossene Gesicht seines selbsternannten Ziehsohnes.

      “Wer?“

      “Mrs. Jones. Und da ist noch mehr“, platzte aus dem Gitarristen heraus. „Ich habe beim Sozi angerufen, und jetzt halt dich fest. Sie ist schon seit zwölf Tagen verschwunden.“

      Arthur atmete tief durch und zuckte mit den Schultern. „Dann hat sie wohl einfach nur durchgedreht. Würde ich auch, bei ihrem Job.“ Er grinste breit. „Siehste, hättest du dir die Haare abgeschnitten und dich beworben, wie sie es wollte …“

      Bjorn blitzte den Biker wütend an. „Das ist nicht lustig!“

      Arthur wurde wieder ernst. „Nein, natürlich nicht. Aber ich weiß nicht, wieso dich das so aufregt. Wahrscheinlich ist sie auf dich losgegangen, du hast dir den Kopf angestoßen und warst k.o. Die Dame hat sicher Schiss bekommen und ist abgehauen.“

      Bjorn schüttelte entschlossen den Kopf. „Sie wollte mich umbringen.“ Er überlegte, ob er dem Altrocker nicht die ganze Geschichte erzählen sollte, doch die Gefahr, dass sein Mentor ihn eventuell für völlig irre halten würde, war ihm doch zu groß.

      “Ich glaube, die Jungs warten auf dich“, lächelte Arthur versöhnlich und wies mit einem Kopfnicken zur Bühne, wo die Band mit dem Aufbau begonnen hatte.

      *

      Als Destruction Crape zwei Stunden später die winzige Bühne betrat, die aus einigen leeren Bierfässern und Brettern bestand, wurden sie mit begeisterten Rufen empfangen, und Bjorn griff voller Leidenschaft in die Saiten. Arthur lächelte, während er mit einem leicht entrückt wirkenden Blick das Geschehen um sich herum beobachtete. Am Ende des Abends würden alle kraftlos nach Hause gehen. Alle … bis auf einen. Er lehnte sich an das Regal hinter seiner Bar und lauschte andächtig der Musik, die ihm von längst vergessenen Zeiten erzählte und sehnsüchtige Erinnerungen weckte.

      „Er ist wirklich gut“, riss ihn eine rauchige Frauenstimme aus seinen Träumen.

      „Vivien“, Arthur wandte sich lächelnd um. „Ich hätte nicht gedacht, dass du heute auftauchst.“

      „Hatte ich auch nicht vor.“ Die schlanke Frau mit den kurzen dunklen Haaren zog einen großen Umschlag aus ihrer Handtasche und schob ihn über den Tresen.

      Arthur warf einen kurzen Blick auf den Absender und nickte.

      „Wird höchste Zeit.“

      „Ich hoffe, du kannst ihn überzeugen. Das würde einiges für uns erleichtern. Und für ihn auch.“

      Arthur nickte nachdenklich. „Er ist nicht der Mann, der es leichter haben will“, murmelte er.

      „Junge“,