Horst Giesler

EXPAT UNPLUGGED


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an diesem Abend gewonnen, ohne auch nur einen Schuss abgefeuert zu haben.

      Natürlich konnten sich Alessandro und Luigi bei diesen Anekdoten ebenfalls feste auf die Oberschenkel klopfen. Derlei Geschichten gab es einige und das Vogelsberger Original macht es sich heute noch zu seiner Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder aufs Tablett kommen.

      Auch wenn es manchmal knirschte und trotz aller germanischer und italo Machospielchen, am Sonntag auf dem Sportplatz war (fast) alles vergessen. Ein Doppelpack von Alessandro, ein Abstauber von Strafraumschreck Luigi und das ganze Dorf lag ihnen wieder eine Woche zu Füßen. Forza TSV!

      Opa und Oma waren es auch, die das zarte Pflänzchen der amicizia italiana-tedesca schon früh auf eine neue Ebene gehoben hatten. Zusammen mit einigen Freunden hatten sie einen Verein gegründet, es gab ja auch so wenige in Stockfeld, dessen Ziel nicht nur "die Aufnahme und Pflege aufrichtiger deutsch-italienischer Freundschaftsbeziehungen” war. Auch die Sprache sollte laut Satzung erlernt und gepflegt werden sowie Kunst und Kultur bei den monatlichen Treffen vermittelt und ausgetauscht werden. So steht es heute noch auf der Hompepage.

      So richtig Fahrt nahm die Geschichte aber erst auf, als der Bürgermeister von der Idee hatte begeistert werden können. Danach dauerte es nicht mehr lange und Stockfeld konnte sich die Verschwisterung mit Poggibonsi, dem Heimatort der beiden italienischen Spaßvögel in der Nähe von Siena, auf das Ortsschild drucken.

      Es folgten Kochkurse, Weinseminare, Vorträge und Sprachkurse, Omas und Opas noch heute berühmter Lichtbildvortrag von ihrer Reise Milano – Roma – Napoli (angeblich hatte Opa ein paar Dias eingebaut, die vorher nicht mit seiner Gattin abgesprochen waren) und, und, und. Die lokale und überregionale Presse schwärmte von den Italienbummlern aus der Oase in der Kulturwüste Oberhessens und vom Dolce Vita al volcano.

      Bis heute hat sich die Tradition gehalten, dass man sich abwechselnd jedes Jahr entweder in Italien oder im Vorderen Vogelsberg für ein langes Wochenende trifft und die Freundschaft hochleben lässt.

      Mein Cousin Roland ist seit fast 2 Jahren der Präsident des Vereins und kann sich immer darauf verlassen, dass ihm Opa noch ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg gibt. Dabei wird auch öfters das eine oder andere Hühnchen gerupft. Nicht-los-lassen-können, auch so eine Alte-Männer Krankheit.

      Allerdings hat Roland bereits den ultimativen Loyalitätsbeweis für sein Amt geliefert. Seit seinem 21. Lebensjahr ist er mit Isabella, einer entfernten Verwandten von Luigi, verheiratet und zusammen mit ihren beiden Töchtern gelten sie als das Musterbeispiel der gelebten Völkerverständigung.

      Darüber freuten sich besonders unsere Eltern, denn damit hatten sie ihren Titel als deutsch-italienisches Glamourpaar endlich abgeben können. Zumindest in Stockfeld.

      Ich hatte mich noch gewundert, dass am Sportplatz, der noch deutlich vor dem Ort liegt, sämtliche Parkplätze belegt waren, ohne auch nur einen Zuschauer erkennen zu können. Aber der Groschen fiel erst als ich am Ortseingang das über die Straße gespannte Banner mit der Aufschrift: "Poggibonsi – Stockfeld: 4 5 anni d‘amicizia italiana – tedesca" las und rechts und links am Straßenrand die Fußgänger Richtung Dorfmitte strömten.

      "Hej, hier ist ja richtig wat los? Und det allet wejen uns. Det nenn ick ene Bejrüßung!”

      Auch ohne das Banner gelesen zu haben, war meinen gut gelaunten Passagieren gleich aufgefallen, dass sich hier etwas abspielte, was aus dem dörflichen Alltagsrahmen fiel.

      Es ging nur im Schritttempo voran und während meine Sportsfreunde das Fußvolk winkend aus dem Minibus grüßten, Sir Hape und Königin Beatrix wären stolz auf sie gewesen, versuchte ich Opa Herbert zu erreichen. Es dauerte etwas bis ich ihn am Handy hatte und er mir in bester Laune kurz mitteilte in welcher Garageneinfahrt ich den Minibus parken sollte. Seine Stimme konnte sein Grinsen nicht verbergen. Tatsächlich war an ein Weiterfahren wegen der Menschenmassen nicht mehr zu denken.

      Noch während ich die Vollzähligkeit meiner Truppe überprüfte, fast alle hatten den Minibus fluchtartig verlassen und waren im Garten hinter dem Haus verschwunden, stand plötzlich meine kleine Nichte Maria mit einem strahlenden Lächeln vor mir. Bevor ich mich versah, hatte ich ein Schild mit der Aufschrift "Berlin gratuliert zum Jubiläum!" in der Hand und meine Jungs wedelten wie Schulkinder mit kleinen italienischen und deutschen Fähnchen. Maria führte uns Richtung Dorfmitte und ehe ich es realisiert hatte, waren wir ein fester Bestandteil des gerade beginnenden Festzugs.

      Direkt hinter uns spielte der Spielmannszug aus Poggibonsi einen italienischen Marsch und mit lautem "links, zwo, drei, vier” marschierten die angeschlagenen Großstadtbengel in alter preußischer Tradition und sichtbarem Spaß ("det jlobt uns keener!”) einer unbekannten Zukunft entgegen.

      Wir waren vielleicht fünf Minuten unterwegs, statt Marschmusik dröhnte mir der Schädel nun von einem italienischen Schlager, da hatte meine kleine Armada von gestandenen icke!-Schreiern bereits intensiven Kontakt mit der vor uns laufenden Brigade der Landfrauen aufgenommen und gemeinsam versuchte man die musikalischen Vorgaben in mehr oder weniger rhythmischen Bewegungen auf der Straße umzusetzen. Auch die nicht mehr ganz taufrischen Damen in ihrer aufgedonnerten Haarpracht hatten anscheinend ordentlich vorgeglüht und standen den Großstadtjungs in nichts nach. Um nicht ganz den Anschluss zu verlieren, gab ich schon bald meinen Widerstand auf und ließ mich ebenfalls von den vielleicht etwas zu auffällig geschminkten Dorfschönheiten im gesetzten Alter mit Getränken aus der Region verwöhnen.

      Das Trinken gestaltete sich jedoch schwieriger als gedacht, denn fast ständig schlug mir jemand auf die Schulter und bedankte sich für die "riesen Überraschung”, die bereits zu diesem frühen Zeitpunkt zum absoluten Sahnehäubchen unserer Bildungsreise gekürt wurde. Meine Beteuerungen, von diesem Spektakel absolut nichts gewusst zu haben, sorgten lediglich für ein noch breiteres Grinsen auf den Gesichtern und mehr Schulterklopfen.

      Weiter ging es durch die Gassen vorbei an feierlich geschmückten Fachwerkhäusern und ausgelassenen Menschenmassen. In der Dorfmitte, direkt gegenüber der Kirche, in der ich vor ungefähr zweieinhalb Jahrzehnten getauft worden war, hatte man eine kleine Tribüne aufgebaut, die den lokalen und regionalen Würdenträgern den besten Ausblick auf die vorbeiziehenden Legionen der Festzugsteilnehmer bot. Schon von Weitem sah ich den rätselhaften Patienten mit seiner Heino-Brille im Gesicht und der ferrariroten DEKRA-Mütze auf dem schütteren Haupthaar. Das blühende Leben und fit wie ein Fußballschuh. Magenprobleme, Flotter Otto und so? Keine Spur.

      Eingerahmt von der regionalen Show- und Politprominenz brachte er in seinem gewohnt stilsicheren Rustikalschick aus brauner Cordhose und gestreiftem Tchibo-Polo-Shirt die Tribüne mit seinen waghalsigen Tanzeinlagen fast alleine zum Beben. Der Grobmotoriker machte seinem Zweitberuf als bekennender Euphoriker wieder einmal alle Ehre.

      Auch er musste mich schon erkannt haben. In seinen Händen hielt der Pädagogen-Tornado plötzlich ein Sitzkissen großes Pappschild mit der Aufschrift: Stockfeld – Berlin: 1 – 0. Einige Schritte weiter konnte ich dann auch lesen, was unser Pfundsopa in etwas kleinerer Schrift darunter geschrieben hatte: "1:0 – H. Zimmermann, 1. Spielminute”. Sein amüsiertes 300 Watt-Grinsen mit seinen schneeweißen Beißerchen wurde mit jedem Schritt breiter. Das verhieß nichts Gutes.

      Jetzt hatte mich auch Oma Gisela erkannt und eilte die Tribüne hinunter um mich zur Begrüßung fast zu erdrücken.

      "Heiliger Bimbam! Menschenskinder! Das gibt es doch nicht!”, schrie sie, drückte mühsam ihre Tränen weg und griff sich an den Busen. Sie war völlig von den Socken.

      Oma, die Haare zum Dutt gebunden, schien tatsächlich nichts von unserem Besuch zu wissen. Der Familiengroßfürst mit dem herben Charme hatte wieder einmal alle ausgedribbelt. In bester Boris Becker-Manier ballte der Kukident-Wonneproppen mit jungmännlichem Furor die Fäuste und krächzte mir ein "Ciao Bello!” entgegen.

      Sein Triumph war perfekt.

      Oma schien immer noch nicht zu verstehen. Dafür verstand ich umso besser. Ich stellte der Großmutter der Herzen noch kurz die im Stechschritt herumstolpernde Reisetruppe vor und nach zwei Kirschlikör von ihren Freundinnen den Landfrauen machte sie