Dr. Phil. Monika Eichenauer

Scheinheilung und Patientenerschaffung - Die heillose Kultur - Band 3


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irreleitender und/oder erschlagender Informationsflut und sachlichen Mitteilungen differierender Bezugnahme auf Fachgebiete und deren Darstellungssausschnitt hinsichtlich Vergleichbarkeit verunmöglicht. Auf gut Deutsch: Vorhandene Verantwortungsübernahme durch Patienten trifft auf durch ökonomische Interessen geleitete Darstellung diverser Klinikführer. Die fehlende ökonomiefreie Orientierung am Prinzip der Heilung lässt die Suche nach den richtigen Behandlern zum Desaster werden. Ergo: Verantwortungsnahme der Patienten trifft auf fehlende Verantwortungsnahme in der Gesundheitswirtschaft. Die Orientierung am Wettbewerbsprinzip macht’s möglich.

      Wirtschaft und Gesundheitswirtschaft orientiert sich generell weiter gewinnträchtig und profitabel, konzentriert sich auf die Erwirtschaftung von Mehrwert. Während im Gegenzug der Lebens- und Selbstwert, mit dem Gesundheit, Freude, Förderung von Fähigkeiten, Sicherheit, Zuversicht und Zukunft gekoppelt sind, für Menschen Unten weltweit abgebaut werden. Die Marx’sche Lösung oder Vision, wie sich Wirtschaft nicht gegen die Bedürfnisse von Menschen wendet, sondern das Leben einerseits in ein Reich der Notwendigkeit durch Arbeit wandelt, und andererseits die freie Zeit als Grundlage und Ziel der Selbstverwirklichung des Menschen diente, löst sich nach vielen Jahren, in denen man in Deutschland in der Betrachtung der Oberfläche hätte sagen können, man peile kulturell eine entsprechende Entwicklung an, auf. Denn in der Tiefe, folgt man der Marxschen Analyse des Kapitals und der Theorie der Entfremdung des Menschen von seinem Selbst, müssen immer einzelne und/oder viele Menschen mit ihrem Leben, mit ihren Kräften, mit ihrer Psyche, mit ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit ausgleichen, was ihnen mittels kapitalistischer Wirtschaft und dem Streben, Profit zu erwirtschaften, genommen wird. Marx beschrieb das gemeinschaftliche kulturelle Leben von Menschen wie folgt:

      „Das produktive Leben ist aber das Gattungsleben.

      Es ist das Leben erzeugende Leben.“

      (MEW, Bd. 40, Seite 666ff.)

      Das produktive Leben, das Gattungsleben, driftet in der Oben-Unten-Gesellschaft auseinander: Die Werte und Ziele dieser beiden künstlich durch wirtschaftliche Interessen erzeugten Gruppen stimmen nicht überein, sind völlig gegensätzlich. Das einzig gemeinsame ist, leben zu wollen. Die eine Gruppe muss sich mit Haut und Haaren selbst verkaufen, um das monatlich notwendige zum Leben zu haben. Die andere hat in jeder Hinsicht alle Hände voll damit zu tun, ihre wahren Ziele in der immer wieder neuen Schaffung von Abhängigkeiten zum Zwecke der Kapitalvermehrung so zu entstellen, dass sie noch irgendwie glaubhaft Unten ankommen. Sprich, sich selbst (persönlich) wie die Ziele ihrer Ökonomie (Rolle im Rahmen der Ökonomie) als edel und unabdingbar notwendig für den Bestand der Gesellschaft und damit letztlich Leben, erscheinen zu lassen. Nebenbei bemerkt, vermischt sich auf dieser Ebene der Diskussion immer wieder persönliche Verantwort und Haltung, mit den vom Kapitalismus geforderten Rollen zur Verwirklichung und Erhalt des Systems. Denn auch Oben ist man entfremdet und auch dort spiegelt man nur die halbe Wahrheit des Mensch- und Personsein wieder. Beliebig wird dafür schon mal ohne Ankündigung die Rolle vertauscht und derjenige, der die kapitalistische Rolle eines in der Wirtschaft Tätigen anspricht, steht plötzlich als die Person non grata da, weil sie den Menschen vernachlässigte! Für das Funktionieren dieses Oben-Unten-Systems in der Gesellschaft werden viele gutgläubige von Unten, die diese Arbeit wiederum für ein relativ geringes Endgeld, verglichen mit dem, was es Oben einbringt, zu verrichten. Unten hat man immer die Entschuldigung, man habe keine andere Wahl. Die fehlende Wahlmöglichkeit ist die entscheidende Stelle und Wunde, die dieses System so erhält, wie es immer funktioniert hat. Ungeniert wird diese psychoökonomische Abhängigkeitsstelle und -wunde in der Seele immer wieder bei Millionen von Menschen getroffen und die Psyche bemüht sich in jedem einzelnen Menschen um Ausgleich. Argumentiert wird von allen Seiten mit Notwendigkeit, um dem Untergang dieses kapitalistischen Systems im großen oder kleinen Stil entgehen zu können. Immer weitere und größere Opfer zu bringen, ist universale Notwendigkeit. Oben hat man freilich mehr davon. Aber dies auch nur bis zu dem Punkt, bis man alles dem Ziel des Profites geopfert hat und Kapital lange genug hin- und her geschoben, Umwelt und Welt vollends zerstört hat. Wie man liest, muss das kapitalistische System in sein eigenes System zum Selbsterhalt Kapital hineinpumpen. Abhängigkeitswille, Opferung des eigenen Lebens, Anpassung um jeden Preis.

      Dieses Gattungsleben erzeugt nur bedingt und entfremdet Leben; bestenfalls Überleben. Es erzeugt in zunehmenden Maßen Zerstörung, Konflikt und Krankheit. In den letzten Monaten war in den Nachrichten zu hören, wie verheerend sich die kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen auswirken. Aktuell ist zu lesen: „Banken-Crash, Rettungsaktionen – rund ein Jahr nach dem Ausbruch der Kreditkrise in den USA schrillen die Alarmglocken lauter denn je. Mit Hochdruck sucht die US-Regierung nach milliardenschweren Beruhigungspillen für die Finanzmärkte.“ („Milliardenschwere Stütze.“ Neuer Höhepunkt der Kreditkrise/ US-Regierung mit Rettungsplan für zwei Banken. In: Ruhr Nachrichten, 15. Juli 2008). Der Euro überflügelt den Dollar und Deutsche fliegen zum Einkauf gen New York! Internationale Mobilität der Schnäppchenjäger ist gefragt, auch wenn das Leid des einen Landes die Billig-Freude der anderen besiegelt. Das Gattungsleben in unserer Kultur scheint sich demgemäß, so oder so, in eine chronische Konfliktkultur entwickeln zu müssen, um Lösungen aus diesem Käfig zu finden. Vor allen Dingen ohne Konsequenzen lediglich zu dokumentieren, zu diskutieren und Löcher notdürftig zu stopfen, um alles so belassen zu können, wie es ist, scheint nicht die versprochenen Lösungen zu bringen. Neue Verordnungen und Gesetze zur Kontrolle aller von Unten werden wild verabschiedet, um der Lage im Lande Herr zu werden.

      Bewegung ist weltweit Privileg derer von Oben, ob Kapitalbewegung, (die gleichfalls jegliche Bewegung in Natur, Umwelt und Mensch umfasst) die fast unnötig ist zu betonen, denn Unten hat man keines, um eigene Interessen zu verwirklichen.

      Unten ist Bewegung in jeder Form mittels Anpassung an die jeweilig favorisierten Wirtschaftsziele zwanghaft wie notwendig anzutreffen. Aber, so wird Not nicht gewendet. Wer es von Unten schafft, sich immer wieder neu einzustellen, flexibel sein Leben wie sich selbst, sein Leben, seine Familie und seine Kinder hinsichtlich Fähigkeiten und Vorlieben begeistert auf Forderungen der Wirtschaft ein- und umzustellen, auch mit Wohnungs- und generell Ortwechsel, kann auch noch ungekrönter König in den Billig-Metropolen der Welt werden. Aber zusätzlich wird diese Anpassungsfähigkeit nicht belohnt. Das liegt nicht in der Natur des Systems.

      Menschen haben am Ende des Monats so viel Geld auf dem Konto, wie sie brauchen, um den nächsten Monat zu überleben. Wenn sie Glück haben, können sie hoffnungsvoll noch ein paar Euro zum Erhalt ihrer Illusion mittels Lottospiel, um den Jackpot zu ergattern, investieren. Oben ist existenzielle Sicherheit im Überfluss insofern gewahrt, wie man in der Lage ist, das System geschickt so zu erhalten, wie es ist. Selbstverwirklichung hinsichtlich Fähigkeiten und Vorlieben werden gefördert und gesichert. Freude und Fortschritt sind so selbstverständlich wie das tägliche Brot.

      Diese Menschen kennen sich in der Welt aus, Reisen und Bildung sind selbstverständlich. Man könnte auch sagen, ihnen gehört die Welt. Elegant wie letztlich schemenhaft und unverbindlich, aber mit psychologischem Appell an Groß-gesinntheit, formuliert Peter Sloterdijk in seinem Buch „Im Weltinnenraum des Kapitals“ (2005) die konsequenzreiche Zweiteilung von Mensch, Leben und Kultur:

      „Daß aber die Seelen mit den Weltformen wachsen, in den Steppen, in den Städten und in den Reichen, ist eine der Tatsachen, von denen die Philosophie ihren Ausgang nahm: sie könnte ihr auch bei der jetzt angesichts der globalen Situation nötigen Metamorphose die Richtung andeuten. Zur Zeit der Polis vertrat Aristoteles die Meinung, dass Bürger nur sein könne, wem großseelisches Empfinden (megalopsychìa) zur zweiten Natur geworden sei. Man sieht nicht recht ein, warum das für die Zeitgenossen der nationalstaatlichen und globalen Ära nicht mehr zutreffen sollte, bloß weil diese jetzt Kreativität statt Großgesinntheit sagen. Die Kreativen, so heißt es hin und wieder, sind jene, die das Ganze daran hindern, in schädlichen Routinen zu versinken. Vielleicht ist die Zeit gekommen, die Phrase beim Wort zu nehmen.“ (Sloterdijk, 2005, S. 414-415).

      Der letzte Satz konfrontiert, bissig und hilflos zugleich, im Appell ein Eingeständnis an Abhängigkeit in reflexiv freiwilliger Selbstauskunft. Konfrontation auf der Metaebene mittels