Gerd-Rainer Prothmann

Oktoberstürme


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      * * *

      2.

      »Am schlimmsten sind die Residenten.«

      Comisario Juliano Vargas musste schmunzeln, als er an diesen Satz seiner Frau Ursula dachte. Auch alle Spanier von der Iberischen Halbinsel, die hier Häuser hatten, wurden Residenten genannt.

      Sie meinte aber ausschließlich deutsche Residenten. Eigentlich sogar nur deutsche Ferienhausbesitzer, denen ihre ganze Verachtung galt. »So abfällig können nur Deutsche über die eigenen Landsleute reden«, murmelte Vargas. Seit fünfzehn Jahren lebten sie jetzt auf Mallorca und seine Frau war zu einer fanatischen Mallorquinerin geworden, während er durchaus nicht verbarg, dass er aus Barcelona kam. Von der Peninsula, wie die Leute hier sagten.

      Er war gut gelaunt. Er liebte es, mit seinem alten Citroën DS 19 hydraulisch gefedert über die Insel zu schweben.

      Nach ein paar Kilometern auf der Straße zwischen Manacor und Felanitx sah er auf der rechten Seite einen Wagen der Guardia Civil stehen. Er bremste und hielt hinter dem Wagen. Ein Polizist stieg aus und kam auf ihn zu. Durch das geöffnete Seitenfenster zeigte er ihm seine Marke. »Comisario Vargas, Brigada de Investigación Criminal.« Der Polizist grinste breit: »Endlich, Señor, wir warten schon auf Sie! Ich fahre vor Ihnen her. Es ist nicht so leicht zu finden!«

      Er stieg in seinen Wagen, fuhr los und winkte Vargas, ihm zu folgen.

      Vor dem kleinen verbauten Bauernhaus stand neben einem grünen Peugeot ein hellblauer Renault Kastenwagen. Vargas war gerade ausgestiegen, als ein sehr großer Mann auf ihn zukam. Er konnte sich die Komik des Bildes genau vorstellen und musste lachen. Da ging ein Hüne von fast zwei Metern auf einen kleinen Mann von knapp über eins sechzig zu.

      »Sind Sie Comisario Vargas?«

      »Ja. Haben Sie bei der Guardia Civil angerufen?«

      Er sprach sehr gut deutsch. Nur bei Worten wie »Sie« klang es wie »Ssie«, bei »Polizei« wie »Polissei«. Er rollte das R, verhauchte das H am Anfang eines Wortes und so weiter.

      »Ja, mein Name ist Borsum, Jan Borsum.«

      Vargas spürte sofort, dass dieser Mann einen Teil seines Selbstbewusstseins auch aus der bloßen Körpergröße nahm.

      Dass es ihm nicht leichtfiel, den kleinen Mann mit dem penibel geschnittenen grauen Bart, den dunklen Stoppelhaaren und den lebhaften braunen Augen ganz ernst zu nehmen.

      »War es wirklich nötig, die Polizei zu rufen?« Der große Mann schaute fast mitleidig auf ihn herunter.

      »Ich weiß gewöhnlich sehr genau, warum ich etwas tue. Ob es nötig war, werden Sie hoffentlich herausfinden. Ich habe mir berechtigte Sorgen um Isabela gemacht.«

      »Isabela?«

      »Isabela Balke. Ich war mit ihr verabredet.«

      »Wo?«

      »Hier.«

      »Und?«

      »Aber ich habe nur schreckliche Schreie gehört.«

      »Von ihr?«

      »Nein, wahrscheinlich von ihrem Mann.«

      »Und was haben Sie gemacht?«

      »Ich habe geklopft und versucht, ins Haus zu kommen.«

      »Ist Ihnen das gelungen?«

      »Nein. Vielleicht war der Sturm auch zu laut und sie konnten mich nicht hören. Dann bin ich weggefahren und habe die Guardia Civil angerufen.« Vargas warf einen kurzen prüfenden Blick nach oben: »Und Señora Balke?«

      »Ist verschwunden«, antwortete Borsum mit unüberhörbar vorwurfsvollem Unterton, als wäre die Polizei dafür verantwortlich.

      »Comisario. Kommen Sie bitte!«

      Ein Polizist der Guardia Civil winkte Vargas zu. »Ich komme!« und an Borsum gewandt:

      »Bleiben Sie bitte noch einen Augenblick hier!«

      »Ich werde schon nicht weglaufen«, antwortete der große Mann lächelnd und schaute wieder auf ihn herab.

      »Ich würde Sie auch kriegen«, bemerkte Vargas mit der Sicherheit desjenigen, der viele überrascht hat, die ihn leichtfertig unterschätzt haben.

      Im Haus herrschte ein, wenn man es gut meinte, künstlerisches Chaos. Es roch penetrant nach Räucherstäbchen. So wie in manchen Wohnungen Ende der sechziger Jahre. Vargas kam durch einen kurzen Flur in die Küche. Im Küchenbecken erhob sich ein babylonischer Turm aus unabgewaschenem Geschirr und Töpfen.

      Am oberen Ende des Holztisches saß ein dürrer Mann mit langen, fettigen, schmutzig braunen Haaren, der sich mit zittrigen gelben Fingern eine Zigarette drehte. Neben ihm saß ein Uniformierter der Guardia Civil, der sich erhob, als Vargas in die Küche trat.

      »Señor Comisario!«

      »Setzen Sie sich nur«, bat ihn Vargas schnell, dem Formalitäten unangenehm waren.

      »Was wissen wir bis jetzt?«

      Mit Stolz auf die bereits geleistete Vorarbeit legte der Mann los:

      »Señor Balke hier hat eingeräumt, dass er mit seiner Frau gegen 13 Uhr einen gewaltigen Streit gehabt hat. Allerdings ohne ernsthafte Folgen. Dass so ein Streit was ganz Normales in ihrer Ehe wäre. Aus verschiedenen Gründen, über die er nicht sprechen will. Den Señor Borsum hat er nicht gehört. Wohin seine Frau gegangen ist, weiß er nicht.«

      »Hat sie kein Auto?«

      »Doch. Einen roten R4, aber der ist nicht mehr da.«

      »Geht Ihre Frau denn normalerweise zu Fuß weg?«, wandte sich Vargas an Bernd Balke.

      »Kommt vor«, antwortete der mundfaul.

      »Und heute scheinbar nicht«, bemerkte Vargas trocken.

      »Sie ist zur Tür raus. Was sie dann gemacht hat, weiß ich nicht.«

      Er nahm einen tiefen Zug aus seiner Zigarette. Mit geschlossenen Augen und so konzentriert, als würde er Haschisch rauchen.

      »Machen Sie sich denn keine Sorgen um Ihre Frau?«

      »Warum? Sie haut öfter ab, und ich weiß nicht, wo sie ist. Sie sagt es mir ja auch nicht!«

      »Wollen Sie eine Vermisstenanzeige aufgeben?«

      »Wozu? Das ist doch Schwachsinn! Ich weiß gar nicht, was das Ganze hier soll?«

      »Señor Borsum hat sich aber Sorgen gemacht.«

      »Vielleicht hat er Gründe dazu.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Da müssen Sie ihn fragen.«

      »Und Ihrer Frau ist tatsächlich nichts passiert?«

      »Nein! Das habe ich doch schon ein paar Mal gesagt!«

      »Nun gut. Sobald sie wieder auftaucht, verständigen Sie mich bitte sofort. Hier ist meine Karte.«

      Vargas stand auf und bedeutete den beiden Polizisten, mit ihm zu kommen.

      »Sie halten sich bitte bereit und verlassen die Insel nicht, ohne uns zu informieren.«

      »Ich habe nicht vor, mein Zuhause zu verlassen«,

      erwiderte Bernd Balke trotzig.

      Er blieb sitzen, während die Drei das Haus verließen.

      Jan Borsum lehnte lässig eine Pfeife rauchend an seinem Auto. Als Vargas aus der Tür trat, machte er keine Anstalten, auf ihn zuzukommen. Vargas verweigerte das Spiel »Wer kommt auf wen zu« und ging ohne Umstände zu Borsum.

      Er gab ihm seine Karte: »Falls etwas Besonderes eintritt, oder Señora Balke sich bei Ihnen melden sollte.«

      »Meine Adresse und Telefonnummer hat die Guardia Civil schon notiert«, antwortete der große