Gerd-Rainer Prothmann

Oktoberstürme


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aufgefordert werden.

      »Hier kann man auf Dauer nicht leben. Jeder ist bescheuert, der nicht die erstbeste Gelegenheit ergreift, hier abzuhauen. Die Behörden machen dich fertig. Gewerbeaufsicht, Gesundheitsamt, Ordnungsamt und das Finanzamt natürlich. Bei der kleinsten Aussicht, dass du etwas verdienen könntest, sind die Geier da. Dann kriegst du Auflagen, dass es nur so kracht. Oder du kannst gleich zahlen. Nee, in unserem Land sollst du nichts verdienen. Das wird bestraft.«

      »Aber du bist doch ganz gut durchgekommen, bis jetzt!«

      »Nur mit Blackbox. Anders geht’s nicht. Gerd Ramseck hat das früh kapiert. Erst hat er seine Schwarzkohle in Immobilien auf Mallorca angelegt und vor drei Jahren ist er ganz auf die Insel gezogen. Er hat so was wie ein deutsches Ärztezentrum aufgemacht. Vom Zahnarzt bis zum Orthopäden. Direkt neben meinem Hotel plant er ein zweites. Nächstes Jahr geht es los. Du könntest da vielleicht mit rein. So was wie Lebensberatung. Überleg’ es dir.«

      Wilhelm war ein Spinner. Aber ein unterhaltsamer. Niemand glaubte ihm, wenn er seine weit ausholenden Reden hielt, die immer damit begannen, wie gebeutelt und gequält jeder in Deutschland wäre, der auch nur einen Ansatz von Initiative zeigte. Und wie notwendig es wäre, dieses Land so schnell wie möglich zu verlassen. Da er das aber seit so vielen Jahren erzählte und dieses Land seit sieben Jahren wieder von der politischen Partei mitregiert wurde, die er als Einzige für wählbar hielt, glaubte niemand daran, dass er jemals Ernst machen würde. Aber alle hatten sich getäuscht.

      Die ersten Planierungsarbeiten hatten schon begonnen. Jan war selbst dann noch skeptisch geblieben, als Wilhelm stolz die fotografischen Beweise vom Fortschritt der Bauarbeiten in der Kneipe rumreichte.

      Und jetzt war er hier tatsächlich gelandet. Auf der Insel, die vielleicht für längere Zeit seine Heimat werden könnte.

      Zunächst wollte er sich nur umsehen. Eine Art Vorbereitungsurlaub sollte es werden.

      Es war der 1.Oktober 2012. Peinlich berührt hatte er sich in seinem Sitz kleiner gemacht, als die Mehrzahl der Fluggäste die geglückte Landung auf dem Flughafen von Palma de Mallorca beklatschte. Nur den Kindern verzieh er diese Unsitte.

      Vom Flughafengebäude ging er hinüber zur Garage. Den bestellten Leihwagen abholen.

      Die wartenden Taxifahrer trugen noch kurzärmelige Hemden. Es mussten mindestens 20 Grad sein. Bei fünf war er in Deutschland abgeflogen.

      Nach kurzer Suche fand er den Mietwagen. Einen unauffälligen grünen Peugeot. Stellte Koffer und Tasche in den Kofferraum und fuhr los. Richtung Osten. Wilhelm hatte es arrangiert, dass er die erste Zeit bei den Rolands wohnen konnte. In der Nähe von Felanitx.

      Als er den Seitenweg in das abgelegene Tal hinunterfuhr, sah er am Hang knapp unter dem grünen Piniensaum des Hügels schon das riesig wirkende Haus.

      Eine mallorquinische Finca im Gewand einer toskanischen Villa. Mit zwei Ecktürmen.

      Der protzig wirkende Bau passte zwar nicht in die Landschaft aber zu Dirk Roland. Einem Szenezahnarzt mit Pferdeschwanz, dem man auf keiner Gesellschaft entgehen konnte.

      Jan war gespannt, ob sich die aufschneiderische Attitüde im Inneren des Hauses fortsetzen würde. Elfi Roland war schließlich Innenarchitektin. Vielleicht hatte sie ja bei der Inneneinrichtung einen gnädigen und mäßigenden Einfluss auf ihren Mann gehabt. Da war sie wieder. Seine gewohnte Arroganz. Die würde er bezähmen müssen. Denn genau mit diesen Leuten würde er es in Zukunft zu tun haben. Von ihnen würde er leben müssen.

      Schon jetzt kamen ihm Zweifel, ob er die latente Selbstverachtung, die damit verbunden war, aushalten könnte.

      Der Peugeot quälte sich die kaum befestigte Schotterstraße hinauf.

      Merkwürdigerweise stand das schmiedeeiserne Gittertor weit offen. Dabei hatte ihm Elfi Roland umständlich erklärt, mit welchem der vielen Schlüssel er das Tor aufschließen müsste.

      Als er die letzten beiden Serpentinen des nun mit Beton befestigten Weges hinauffuhr, sah er, dass alle taubenblauen Fensterläden geöffnet waren. Elfi Roland hatte nichts davon erzählt, dass noch jemand im Haus wohnen sollte. Vielleicht war es die Putzfrau.

      Während er gerade einen Schlüssel an der Haustür probierte, wurde diese plötzlich von innen aufgerissen. Er schaute in zwei strahlende bernsteinfarbene Augen unter einer fast helmartigen blonden Kurzhaarfrisur.

      »Hallo Herr Borsum, ich bin Isabela, willkommen auf der Insel«, sagte sie mit akzentfreier, etwas heiserer Stimme. Sie schenkte ihm ein breites Lächeln ihrer schönen Zähne, die genau in der Mitte durch eine attraktive Lücke geteilt waren.

      »Ich wusste gar nicht ...«, stammelte Jan für seine Verhältnisse ungewohnt verwirrt.

      »Ich habe heute Morgen zufällig mit Herrn Roland telefoniert«, unterbrach sie ihn, »und dabei erfahren, dass Sie erst einmal hier wohnen sollen. Normalerweise muss ich nur alle vier Wochen nach dem Rechten sehen. Wenn Sie meine Hilfe brauchen, müssen Sie anrufen oder zu uns kommen. Isabela Balke«, stellte sie sich vor.

      »Jan Borsum«, erwiderte Jan förmlich, während sie ihm einen Zettel in die Hand drückte. Darauf stand eine Telefonnummer und eine Wegbeschreibung zu einem kleinen Bauernhaus zwischen Manacor und Felanitx.

      »So, jetzt zeige ich Ihnen erst mal das Haus«, beschloss sie energisch und ging voraus.

      Sie war mittelgroß und hatte eine schlanke sportliche Figur. Über ihren ausgebleichten Jeans trug sie ein weißes Männerhemd, darunter ein braunes Top. Ihre hellbraunen spanischen Stiefel waren völlig ausgelatscht, was die Grazie, mit der sie sich vor ihm bewegte, seltsamerweise noch verstärkte.

      Sie zeigte ihm alle Einzelheiten mit einer Selbstverständlichkeit, als wäre sie hier tatsächlich zu Hause.

      Bei dem Rundgang stellte Jan mit Genugtuung fest, dass Elfi Roland sich im Inneren des Hauses offensichtlich umfassend durchgesetzt hatte, und dass sie zu Recht eine erfolgreiche Innenarchitektin war.

      In Beton gefasste Kieselsteinböden, helle Marès-Wände, gemauerte Regale. Alle Materialien -viel Stein und Holz- entsprachen dem klaren einfachen mallorquinischen Rustikalstil. Jan hatte selten einen größeren Gegensatz zwischen dem Inneren und dem Äußeren eines Hauses gesehen.

      Während er diesem Gedanken noch nachhing, drückte ihm Isabela die Hand, sagte »Auf bald«, ging zu ihrem verrosteten roten R4 und fuhr den Weg hinunter

      * * *

      5.

      »Kann man alle vööln! Alle, wie sie da sind, kann man vööln!«, lallte der besoffene Deutsche an der Bar des kleinen Restaurants an der Plaza España in Felanitx vor sich hin. Jan war froh, dass noch ein Hocker zwischen ihm und seinem alkoholisierten Landsmann stand. Er verstand nicht ganz, aber er ahnte, was er sagen wollte.

      Er tat so, als hätte er nichts gehört und bestellte sich eine Cerveza.

      Das Mädchen mit den dunkelbraunen Locken und den mandelförmigen hellen Augen hinter der Bar zuckte bedauernd die Achseln, als müsste sie sich für das Verhalten seines Landsmanns entschuldigen.

      »Sind alle gleich, alle!«

      Mit einer abfälligen Geste bezog er sämtliche weiblichen Anwesenden ein. Dann drehte er sich wieder zur Bar und murmelte in sein Bierglas: »Kann man alle vööln.«

      Jan beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er sah nicht wie ein Säufer aus. Er hatte weiche, etwas teigige Züge, die von einer barocken grauen Lockenpracht umrahmt waren. Der Körper war breit und aufgedunsen. Unter dem blauen Hemd zeichnete sich ein gewaltiger Rettungsring um die Hüften ab. Jan versuchte, sich vorzustellen, was der Mann in Deutschland wohl tun würde. Hatte aber noch keine Idee, als dieser mit schwerer Zunge: »Ein’ Oruho«, bestellte.

      Das Mädchen hinter dem Tresen stellte ihm ein Glas Orujo hin, das er nachdem er: »La huenta«, gerufen hatte, in einem Zug runterkippte. »Doscincuenta«, sage das Mädchen. Er kramte vier Euro aus der Hosentasche, legte sie nachlässig mit der Bemerkung: »Alles Spielgeld«, auf den Tresen.

      Rutschte