Gerd-Rainer Prothmann

Oktoberstürme


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Cala Antena und Porto Christo.

      Kurz nach Cala Mandia bogen sie auf einen Schotterweg ab und fuhren zwischen Rinderweiden Richtung Meer. Bis es nicht mehr weiterging.

      Sie holte eine längliche Reisetasche aus dem Kofferraum und drückte sie ihm in die Hand.

      »Kommen Sie!«

      Der Weg führte abwärts durch ein Kiefernwäldchen. Über weißbraune Felsen, natürliche Treppenstufen, lose Steine, Baumwurzeln und mit braunen Nadeln gepolsterte Mulden.

      Süßlich würziger Kiefernduft vermischte sich mit dem Salzgeruch des Meeres, von dem aber noch nichts zu sehen war.

      Nach einer Weile waren Brandungsgeräusche zu hören. Der Wald lichtete sich und man sah auf eine fast karibisch anmutende Bucht. Weißer Sand und türkisfarbenes Wasser.

      Zu beiden Seiten stiegen ockerfarbene Kalkfelsen steil nach oben. Der Einschnitt der Bucht war mehrere hundert Meter lang. Die Kiefern reichten bis hinunter an den breiten Strand.

      Höchstens zehn Personen verloren sich dort. Darunter eine Familie mit vier Kindern, die immer wieder schreiend ins Wasser und zurück zu ihren Eltern liefen, um sie mit Wasser zu bespritzen.

      Jan stellte die Tasche ab und band sich sein Badehandtuch um die Hüften, um darunter die noch feuchte Badehose anzuziehen. Isabela hatte ihren Bikini unter T-Shirt und Jeans schon an und war lange vor ihm badefertig. Sie war bereits weit Richtung offenes Meer geschwommen, als er sie einholte.

      Er war ein guter Schwimmer und versuchte, sie abzuhängen. Aber sie konnte mit ihm mithalten.

      Das Wasser war nicht so kalt, wie er befürchtet hatte. Bevor sie das offene Meer erreichten, schwamm Isabela zu einem flachen Felsvorsprung auf der rechten Seite. Jan folgte ihr. Der Vorsprung war wie ein breiter Sessel mit Rückenlehne geformt. Prustend ließen sie sich darauf nieder.

      Lange saßen sie nebeneinander und schauten auf die beiden Segelboote, die vor der Bucht ankerten. Sie beobachteten die jungen Leute, die lachend und kreischend von den ausgeklappten Badeplattformen am Heck ins Wasser sprangen.

      Die Felsen waren angenehm warm und die Sonne war kräftig genug, ihre nassen Badesachen zu trocknen. Sie schwiegen.

      Isabela hatte ihre Knie umschlungen und schaute nach vorn. Unauffällig beobachtete er sie von der Seite. Ihre kurze, kompakte Nase mit dem breiten Mund darunter. Die kleinen, schön geformten Ohren. Den Leberfleck auf der Wange. Die Sommersprossen. Das dichte blonde Haar, das die langsam sich verfärbende Sonne mit einem rötlichen Schimmer überzog und die hell strahlenden Augen. Wenig an ihr war schön im klassischen Sinn, aber alles zusammen sehr anziehend.

      »Warum siezen wir uns eigentlich noch?« Sie hatte es so leise vor sich hingesprochen, als hätte sie nur sich selbst gefragt, ohne ihn dabei anzusehen. Erst als sie ihm das Gesicht zuwandte, hatte Jan es verstanden.

      »Isabela«, sagte sie lächelnd.

      Statt einer Antwort küsste er sie.

      Sie ließ es nicht nur zu, sondern erwiderte den Kuss leidenschaftlich und fordernd. Plötzlich stieß sie ihn weg, sprang ins Wasser und kraulte mit kräftigen Schlägen in Richtung Strand. Jan war so verblüfft, dass er ihr erst mit großer Verzögerung folgte.

      Als er aus dem Wasser stieg, hatte sich der Strand bis auf ein eng aneinander gekuscheltes Pärchen geleert.

      Sie reichte ihm sein Handtuch und wartete, bis er sich abgetrocknet hatte. Dann nahm sie die Tasche und forderte ihn auf, ihr zu folgen.

      Die untergehende Sonne hatte das Wäldchen in einen leicht rötlichen Zauberwald verwandelt.

      Ein paar Mal stolperte er fluchend über Wurzeln und stieß sich dabei schmerzhaft einen großen Zeh an. Dann war Isabela plötzlich verschwunden.

      Er fand sie hinter einem bewachsenen Felsvorsprung. Sie hatte auf dem struppigen Heideuntergrund eine Decke und darauf einen großen Schlafsack ausgerollt, in den sie gerade hineinschlüpfte.

      Jan drehte sich weg, um seine Badehose auszuziehen. Sie brach in ein raues, kehliges Lachen aus.

      »Hast du Angst, ich schaue dir was weg?«

      Sie lachte noch einmal, während er in den Schlafsack krabbelte. Sie blieben nackt nebeneinander liegen.

      Dann sagte er: »Ich komme mir vor wie zu Studentenzeiten.«

      »Ist das so schlimm?«

      »Überhaupt nicht. Ich genieße es.«

      »Ich auch«, sagte sie leise und begann, zärtlich seine Brust zu streicheln.

      »Das ist schon über dreißig Jahre her«, murmelte er.

      »Was?«, neckte sie ihn provokativ.

      »Dass ich Student war.«

      »Manchmal kommst du mir noch immer so vor«, spottete sie weiter. Er kniff ihr in die Seite.

      »Hör auf! Hör auf! Ich beiße sonst!«, schrie sie lachend.

      Sie kämpften noch ein bisschen miteinander und blieben dann nach Luft schnappend liegen.

      »Wie bist du eigentlich auf die Insel gekommen?«, fragte er sie.

      »Mit meinem Mann.«

      »Das meine ich nicht. Ich meine warum?«

      »Wir mussten weg aus Deutschland.«

      »Was hattet ihr denn angestellt?«

      »Ich nichts, aber Bernd. Er war dabei, an H zu verrecken. Das ganze Geld, das er mit seiner Band verdient hatte, war schon verballert. Ich musste was tun.«

      »Wo hast du ihn denn kennengelernt?«

      »Auf einem Konzert in Barcelona. Er sah damals toll aus. Wie ein bleicher Engel. Und er spielte fantastisch Gitarre. Ich möchte nicht mehr darüber reden«, brach sie schroff ab.

      »Entschuldige bitte. Ich wollte keine Wunden aufreißen.« Er küsste sie. Sie schob ihn sanft weg. »Schon gut. Das kannst du ja nicht wissen. Obwohl ihr das sicher gerne macht.«

      »Was?«

      »In fremden Wunden rumstochern.«

      »Wer ihr?«

      »Ihr Psychologen.«

      »Verheb dich nicht, wenn du so einen großen Kerl wie mich auf den Arm nehmen willst.«

      »Ich habe schon ganz andere Kerle als dich gestemmt.« Mit erstaunlicher Kraft schob sie ihn zur Seite, legte ihn auf den Rücken und begann, ihm sanft die Ohren zu küssen. Jan bekam eine immer stärker werdende Erektion. Sie drückte seine Arme weg und arbeitete sich küssend langsam unter den Schlafsack.

      * * *

      9.

      Isabela war erst zwei Tage verschwunden. Und er vermisste sie schon.

      Die kurzen Zeit ihrer Beziehung war nie etwas anderes als ein vergnügliches und entspanntes, vor allem sexuell reizvolles Verhältnis gewesen. Er war einfach gern mit ihr zusammen. So ordnete er für sich seine Beziehung zu Isabela ein. Aber es gelang ihm nicht vollkommen. In einer tief vergrabenen Schicht seines Bewusstseins protestierte ein dünnes Stimmchen gegen den üblichen Mechanismus seiner Beziehungsangst. Aber er stellte sich taub.

      Er fuhr zu der kleinen Bucht. Ging durch das Kiefernwäldchen hinunter zum Strand und setzte sich auf einen Felsen. Der Strand war fast leer. Ein ganz gewöhnlicher Wochentag. Und es wehte ein frischer Wind, der die Temperatur auf maximal 12 Grad drückte. Er stopfte sich seine Pfeife. Zündete sie an und rauchte.

      Er musste sich eingestehen, dass er für seine Pläne auf der Insel noch immer keinen Schritt weitergekommen war. Natürlich auch, weil er dazu noch gar keinen Schritt getan hatte. Das lag nicht an Isabela. Es gab nichts, wovon sie ihn hätte abhalten können.

      Wie hatte ihn etwas, was er nicht einmal wirklich liebte, so viele Jahre so komplett definieren können? Plötzlich war nichts mehr da.