Gerd-Rainer Prothmann

Oktoberstürme


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mit überhöhter Geschwindigkeit davon.

      * * *

      6.

      »Oh Verzeihung«, klang es eher belustigt als bestürzt aus dem Wohnzimmer und ging in ein schallendes Gelächter über. Weil Jan sich etwas hektisch darum bemühte, seine Blöße mit einem Handtuch zu verdecken.

      Er hatte mit niemand gerechnet.

      Hatte sie bei ihrer ersten Begegnung nicht erzählt, sie kümmere sich nur jeden Monat um die Finca?

      Für sein Alter hatte er eine gute Figur.

      Er war über eins neunzig groß, joggte regelmäßig und war Träger des schwarzen Gürtels. Aber hinter seiner etwas großspurigen Fassade versteckte sich eine ausgeprägte Neigung zur Schamhaftigkeit.

      Was seine Studienkollegen früher spotten ließ, er hätte nur deshalb Psychologie studiert, um diese Schamhaftigkeit zu überwinden.

      »Tut mir wirklich leid«, traute sich Isabela wieder näher.

      »Ich dachte, Sie rechnen ab und an mit mir.«

      Für eine Spanierin war sie wirklich erstaunlich unbefangen, so wie sie seine Figur taxierte.

      »Kann ich irgendetwas für Sie tun?«

      Die Frage war in einem so deutlich unverfänglichen Tonfall gestellt, dass Jan nicht umhin konnte, sie als besonders doppeldeutig und frech zu interpretieren.

      Dabei war er es gewohnt, dass Frauen ihn attraktiv fanden. Die hellblauen Augen. Das männlich kantige Gesicht mit der hohen, breiten Stirn. Das leicht gewellte dunkelblonde Haar mit den ersten grauen Strähnen über den Ohren. Selbst die etwas zu schmalen Lippen, auf denen immer ein leicht spöttisches Lächeln zu liegen schien.

      Aber Isabela hatte seine Gedankenpause als Verneinung verstanden und war in die Küchenecke gegangen. Sie schraubte die leere Butangasflasche unter dem Gasherd ab. Ging mit der Flasche zu ihrem Wagen, kam mit einer vollen wieder rein und schloss sie an. Dann wusch sie das von ihm noch nicht weggeräumte Frühstücksgeschirr ab und stellte es weg. Danach begann sie, die Zimmer und Terrassen zu fegen. Jan nutzte die Gelegenheit, um sich Shorts und Poloshirt anzuziehen. Als sie fertig war, kam sie auf die Terrasse, setzte sich ohne Umstände zu ihm, drehte sich eine Zigarette und ließ sich Feuer geben. Um ihrem linken Arm schlängelte sich ein breiter silberner Armreif, auf dem gut lesbar der Name Isabela eingraviert war.

      Eine einfache spanische Hausangestellte war das sicher nicht. Dafür sprach sie auch zu gut deutsch. Aber bevor Jan das erfragen konnte, stellte sie ihm Fragen.

      »Machen Sie Urlaub hier?«

      »Nein, ich bin dabei, hier neue berufliche Möglichkeiten auszuloten«, begann Jan etwas umständlich die Wahrheit zu umkurven. Er wunderte sich über den starken Rechtfertigungsdrang, den er dabei empfand. Sie beendete das aber knapp und treffend mit:

      »Sie haben also keinen Job.«

      »Stimmt«, bestätigte er lächelnd.

      »Und was haben Sie vor?«

      »Eine Praxis. In einem Gesundheitszentrum.«

      »Zahnarzt und keinen Job?«, wunderte sie sich.

      »Nein, Psychologe«, korrigierte er sie.

      Einen kleinen Moment schaute sie ihn mit jenem etwas mitleidigen Blick an, der Karl Kraus' Pointe auszudrücken schien: »Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.«

      »Ein Seelendoktor also.« Und es klang so, als müsste sie von jetzt an etwas vorsichtiger sein mit dem, was sie sagte.

      »Nur Psychologe«, verbesserte Jan sie. »Kein Psychoanalytiker.«

      Aber er war sich nicht sicher, ob sie den Unterschied für angenehmer halten würde.

      »Was wollen Sie denn damit machen?«

      »Psychologische Beratung. So was wie Lebensberatung.«

      »Für wen?«

      »Für Leute, die das brauchen. Und die sich das leisten können«, lachte Jan.

      »Aha«, bemerkte sie nicht sehr überzeugt.

      Seine mühsam antrainierte Sicherheit in Bezug auf diese Pläne fing jetzt schon an zu bröckeln.

      »Ich muss noch ein paar Fincas machen«, sagte sie wie zur Entschuldigung und stand auf. Als wollte sie den Eindruck verwischen, sie hätte das Kartenhaus seiner Existenzgrüdungsfantasien zum Schwanken gebracht. Höflich erhob er sich mit ihr.

      »Lassen Sie nur«, wehrte sie fröhlich ab »Ich kenne mich bestens aus.«

      Sie winkte ihm noch zu und war schon verschwunden.

      * * *

      7.

      Isabela Balke war die Tochter deutscher Aussteiger. Ihre Eltern hatten sich auf Ibiza kennengelernt. Sie gehörten zwar zur Generation der Achtundsechziger, hatten aber mit politischen Zielen nichts im Sinn. Ihnen gefielen die Nebenerscheinungen. Der Psychotrip. Haschisch. Partys und Flowerpower.

      Die Eltern von Isabelas Mutter waren bei einem Autounfall in Florida ums Leben gekommen. Sie hatte sich ihr Erbteil auszahlen lassen, während der Bruder das Bauunternehmen des Vaters weiterführte.

      Isabelas Vater lebte damals schon seit zwei Jahren auf Ibiza. Ein Lebenskünstler auf kleinstem finanziellen Niveau. Er hielt sich mit selbst gebasteltem Silberschmuck und selbst entworfenen Flatterkleidern über Wasser. Dankbare Kundinnen waren meist ältere wohlhabende Frauen.

      Isabelas Mutter gefiel dieses Leben am Rande des existenziellen Abgrunds. Sie liebte den Kick mit der Rückversicherung ihres Erbteils im Hintergrund.

      1978 wurde Isabela geboren und im Tragetuch mit auf die Hippiemärkte geschleppt, wo Vater und Mutter weiter Schmuck und Kleider verkauften. Wenn die Geschäfte nicht so gut liefen, hob die Mutter das Notwendige von ihrem Konto ab.

      Als Isabela vier Jahre alt war, begannen ihre Eltern, sich auf Ibiza zu langweilen. Zu voraussehbar war für sie das Leben dort geworden. Sie wollten noch einmal etwas anderes versuchen.

      Sie hatten einen deutschen Antiquitätenhändler kennengelernt, der bei ihnen für seine Frau mehrere Kleider gekauft hatte. Er hatte ihnen davon erzählt, dass alte spanische Möbel und Antiquitäten seiner Einschätzung nach in Deutschland zusammen mit dem sich immer weiter ausbreitenden Landhausstil ein Renner werden könnten. Er wäre auf der Suche nach Leuten, die auf dem spanischen Festland nach solchen Dingen Ausschau halten und sie für ihn kaufen könnten. Das war etwas, was Isabelas Eltern reizte.

      Sie siedelten sich bei Barcelona an, kauften auf Kosten des Antiquitätenhändlers ein Chevrolet Pick-up und durchkämmten das Land kreuz und quer. Ihre Fundstücke schickten sie dann per Schiff nach Hamburg. Die Eltern verdienten dabei so gut, dass sie es sich leisten konnten, ihre Tochter ins Internat und auf die deutsche Schule zu schicken, wo sie hauptsächlich mit Diplomatenkindern die Schulbank drückte. Mit siebzehn, kurz vor ihrem Abitur, war sie mit zwei Mitschülerinnen zu einem Konzert einer damals bekannten deutschen Rockband in die Stierkampfarena von Barcelona gegangen.

      Sie war äußerst aufgeregt. Sie besaß schon zwei Alben der Gruppe und hatte sich rettungslos in den Gitarristen verknallt. Auf dem Cover, eine Kippe lässig im Mundwinkel, war er gerade dabei, mit einem seiner ekstatischen Gitarrensoli abzuheben.

      In ihrem kleinen Internatszimmer war sie immer wieder mit ihm geflogen.

      Und nun stand sie direkt vor der Bühne. So nahe, dass sie ihn fast berühren könnte. Er sah noch besser aus als auf dem Foto. Seine braunen Locken fielen ihm über das schmale bleiche Gesicht mit den großen braunen Augen und reichten ihm bis auf die Schultern. Er war sehr schlank, fast dünn. Auf der flachen Brust, die unter dem bis zum Bauchnabel geöffneten Hemd zu sehen war, wuchs kein einziges Haar. Isabela hatte sofort das Gefühl, ihn beschützen zumüssen.

      Nach dem Konzert war sie wie betäubt einfach stehen geblieben.

      Vergeblich