Nieke V. Grafenberg

Die Efeufrau


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aus rubinrotem Bleikristall. Die ausgespülte Teekanne kam zum Anwärmen in die Mikrowelle, Eva beobachtete sich. Das feinste Kristall und Porzellan, das Beste, was ihr Haushalt hergab. Brauchte sie diese Äußerlichkeiten, weil innerlich alles in Unordnung war? Bis Nina aus dem Kino zurück war, blieb sie allein, konnte bei einer Tasse Tee die drückende Last des Anrufs bei ihrer Schwiegermutter hinter sich bringen. Der Gespräch mit Anna musste noch warten, in Melbourne herrschte die Nacht.

      Das Teewasser summte leise. Was Nina wohl tat? Knutschereien im schummrigen Kino, damit war zu rechnen, aber darüber hinaus?

      „Was du immer denkst!“

      Wenn Nina nur einen Schimmer von Evas schlimmster Befürchtung erhaschte, stellte sie sämtliche Stacheln auf und ergriff die Flucht. So wie Eva vor Jahren die Flucht ergriffen hatte.

      „Bring mir bloß kein Kind nach Haus!“ hatte Mutter ihr mit auf den Weg gegeben und „Männer wollen nur das Eine!“

      Gut, die Zeit damals war anders gewesen, aber Mutters Warnung hatte Eva verunsichert, ja zutiefst misstrauisch gemacht. Auch wenn sie nicht an den Klapperstorch glaubte, hatte sie doch nicht die blasseste Ahnung von Männern gehabt, geschweige denn, wie ein Baby zustande kam.

      Nina war beinahe fünfzehn, das betonte sie oft und gern. Evas Meinung nach viel zu jung für Sex, ihre Mutter war dreiundzwanzig gewesen. So lange brauchte das Kind nun auch wieder nicht zu warten, und im Gegensatz zu ihr in dem Alter war sie längst aufgeklärt, aber dennoch stellte sich die Frage: Wie ging Nina mit ihrer Aufgeklärtheit um?

      Evas Handflächen umspannten den vorgewärmten Bauch der Kanne, sie setzte sie zum Teegeschirr und goss simmerndes Wasser auf rotbraune Teeblätter. Wie süchtig inhalierte sie den aromatischen Duft des Australian Outback Tea, von dem Anna eine bemalte Halbpfunddose geschickt hatte. Auch wenn die bodenständige Teemischung nicht zum besten Geschirr und dem vergoldeten Holztablett passte, sie würde vielleicht den bohrenden Kopfschmerz lindern und ihr für Ernsts Mutter die passenden Worte eingeben.

      Die angrenzenden Gärten waren noch immer verwaist, kein Nachbar in Sicht, doch bevor Eva das Telefon zu sich an den Küchentisch holte, schloss sie die Schiebetür zum Balkon, als gälte es, sich vor Lauschangriffen zu schützen.

      VIER

      Der Teerest in Evas Tasse war kalt geworden. Auf seiner Oberfläche schillerten bunte Schlieren wie Teerlachen nach einem Regen. Angestrengt lauschte sie dem Rufzeichen des Telefons. Einmal, zweimal, dreimal ... bei fünf hörte Eva auf zu zählen. Sie runzelte die Stirn und suchte die Zeiger der Armbanduhr zu entziffern. Die Geschäfte längst zu, Schwiegermutters Wohnung überschaubar - auch wenn es nicht allzu oft vorkam, war sie vielleicht außer Haus? Doch dann knackte die Leitung, ein Schnaufen drang an Evas Ohr.

      „Hier Brandner.“

      „Hallo Muttchen, ich bin's - Eva! Was treibst du, dass du so abgekämpft klingst?“

      „Ach du bist's ...“

      Ein deutliches Zögern, sie schien nach Worten zu suchen, bekundete dann spitz: „Was ich treibe? Ich liege - wie meistens übrigens, wenn du anrufst - gerade in der Badewanne!“

      „Oh, das tut mir aber Leid! Ich kann mich ja später noch einmal melden!“

      Eva wollte schon einhängen, da rief ihre Schwiegermutter schnell: „Nein, nein, bleib dran! Jetzt, wo ich schon mal draußen bin ...“

      Sie ächzte und stöhnte, als würde sie einen ihrer mit Büchern gespickten Glasschränke über das Parkett schieben, brachte dann heraus: „Na, endlich – geschafft, die Hausschuhe sind an! Ist bei euch alles in Ordnung?“

      „Das wollte ich gerade dich fragen - sag, geht es dir gut?“

      „Danke für die Nachfrage, jetzt nach dem heißen Bad ... Na, du weißt ja, der Rücken, jeder Schritt tut weh, aber ich kann doch den ganzen Tag nicht nur liegen! Dienstag bin ich beim Doktor, mal sehen, was er mir diesmal Unnützes verschreibt!“

      Das Leder des auberginefarbenen Sofas knarzte, Schwiegermutter legte wohl wie üblich die Beine hoch, thronte jetzt halb liegend, halb sitzend inmitten üppiger Seidenkissen.

      „Wie geht es meiner Enkelin in Australien“, begann sie im Plauderton, „was macht ihr Heimweh?“ Ehe Eva antworten konnte, fuhr sie fort: „Seit Tagen versuche ich, das Kind zu erreichen, aber es ist wie verhext: Immer wenn ich richtig wach bin, scheint sie zu schlafen ... oder sie ist gerade außer Haus!“

      Evas presste die bebenden Knie zusammen. Nach all den Wochen der Trennung spürte sie immer noch den schier unbezähmbaren Drang, in unbeherrschte Schluchzer auszubrechen, sich durchschütteln zu lassen, bis jeder einzelne Muskel schmerzte. Annas Abflug, die Faust in der Magengrube, so schmerzhaft hatte sie sich die Trennung nicht vorgestellt. Nach einem Seitenblick hatte Ernst gesagt: „Mein Gott, das Kind ist doch nicht aus der Welt!“

      Ein Summen im Hörer, ein Knacken, Schwiegermutters: „Bist du noch da?“ ganz weit weg. Dann kam die Stimme wieder.

      „Auf jeden Fall bin ich froh, dass du hinfliegst! Meinst du, Ernst wird es sich noch einmal überlegen?“

      „Muttchen, Ninas und seine Ferien gehen dann dem Ende zu. Außerdem will er nur wandern, wandern, du kennst ihn ja, er ...“

      „Entschuldige wenn ich dich unterbreche, aber mir fällt ein ... Habe ich richtig gerechnet, ist er schon gut eine Woche unterwegs?“

      „Ja, genau deshalb rufe ich an ... “

      „Wie seltsam ... bisher kein Lebenszeichen im Briefkasten. Sonst hat er mir doch auch ab und zu eine Karte geschickt!“

      Ab und zu entsprach keineswegs den Tatsachen, von seinen Wanderungen pflegte er ihr täglich einen Etappengruß zu schicken. Ob er es tat, weil er nach Anerkennung lechzte? War er auf Bewunderung aus für eine Leistung, die daheim nicht genügend gewürdigt wurde? Oder war diese Handlung ein bloßer Akt der Pflichterfüllung, weil er seine Mutter so selten anrief? Auch wenn Eva sich über den Grund nicht klar werden konnte, der Stoß Ansichtskarten in Schwiegermutters Bücherschrank war nicht wegzuleugnen. Jede einzelne Karte hatte sie ihr vorgeführt, Ernsts schwungvolle Handschrift stand Eva deutlich vor Augen:

      Viele Grüße aus ..., wo ich zu Fuß hingegangen bin.

      Ohne Anrede, aber: Dein Ernst.

      Der Text immer gleichbleibend, nur die geschönten Ortsansichten mit den Schneekuppen im Hintergrund und die Briefmarken wechselten mit dem Datum.

      „Du also auch nicht!“ So etwas wie ein Schluchzer entrang sich Evas Kehle. „Dabei hatten wir so auf dich gehofft! Wenn nicht du, wer außer uns sollte von ihm gehört haben!“ Sie stöhnte auf. „Nina und ich, wir machen uns ziemliche Sorgen!“

      Versehentlich führte Eva die Tasse zum Mund. Bitter wie Galle rann die abgestandene Teepfütze ihre Kehle hinunter, sie würgte und rang nach Luft. Dann sagte sie mit halb erstickter Stimme: „Ehrlich gesagt, allein wegen Ernst rufe ich an. Letztlich die alte Leier ... seine Einstellung zur Unabhängigkeit beim Wandern ist dir ja nicht fremd. Wir mussten uns notgedrungen daran gewöhnen, dass er uns auf die Folter spannt, aber diesmal ... diesmal hat er die Grenze überschritten“. Evas Stimme wollte brechen, sie fing sich aber und brachte ein hässliches Krächzen zustande. „Muttchen, hör zu, es ist nicht zu fassen! Acht Tage sind vergangen, und bisher nicht das kleinste Lebenszeichen!“

      Eva zählte die Schweigesekunden, nach einer schier endlosen Spanne hörte sie ihre Schwiegermutter gepresst sagen: „Das ist ja wirklich seltsam ...“

      „Ich will dir nicht umsonst schlaflose Nächte bereiten ...“, fiel Eva ihr ins Wort, „aber eins musst du wissen: Nina und ich, wir machen uns mehr als nur Sorgen. Wir haben uns zu einer Vermisstenmeldung durchgerungen ... wir waren sogar schon bei der Polizei.“

      „Was sagst du da? Vermisstenmeldung? Bei der Polizei?“

      Zweifellos saß Schwiegermutter kerzengerade in ihren Seidenkissen. „Du denkst